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kürzte, kam es zu massenhaften Demonstrationen der Arbeiter, die von den bürgerlichen Nationalgarden blutig auseinandergetrieben wurden. („Praterschlacht“, 23.8.1848). Diese Spaltung konnte nicht mehr überwunden werden.

      Den Rest kennen wir. Der kroatische Banus Josef Jelačić marschierte in Ungarn ein, was zum Krieg zwischen Ungarn und der kaiserlichen Armee führte. Als Truppen aus Wien nach Ungarn entsandt werden sollten, löste dies die Oktoberrevolution aus, mit der letztlichen Folge der militärischen Eroberung Wiens durch die Kaiserlichen am 31. Oktober. Zahlreiche Festnahmen und Hinrichtungen folgten.

      Aber wie das retardierende Element vor dem katastrophalen letzten Akt der Tragödie trat doch noch einmal der Reichstag zusammen, im mährischen Kremsier (Kroměříž), im repräsentativen Schloss des Erzbischofs von Olmütz – in dessen Olmützer Residenz seit dem Oktober 1848 die kaiserliche Familie weilte. Hier waren die durchwegs „deutschen“ bürgerlichen Liberalen in einer tschechischen Umgebung isoliert, es drohte keine Gefahr eines Volksaufstandes für dieses Parlament. Dennoch leistete der Reichstag bis zu seiner Auflösung am 7. März 1849 noch eine äußerst positive Arbeit – man einigte sich auf den Entwurf einer Verfassung, die nicht nur das Prinzip der Volkssouveränität und die bürgerlichen Freiheiten verkündete, sondern auch das Problem des Zusammenlebens verschiedener Sprachgruppen im Vielvölkerstaat lösen wollte.

      Zugleich mit der Auflösung des Reichstages verkündete die Regierung des Fürsten Felix Schwarzenberg eine eigene (wieder: oktroyierte) Verfassung, mit Datum 4. März 1849. Die als radikal geltenden Abgeordneten wurden verhaftet, gegen etliche Todesurteile gefällt (unter anderem gegen den „Prediger der Revolution“, Anton Füster, gegen Josef Goldmark, gegen Ernst (von) Violand und den „Bauernbefreier“ Hans Kudlich, der wie viele andere noch rechtzeitig fliehen konnte).9 Bis zum Sommer 1849 waren auch die Unabhängigkeitskämpfe der Ungarn und Italiener niedergeschlagen, die der Ungarn mit russischer Hilfe.

      Der Neoabsolutismus – Restauration oder bürgerliche Herrschaft?

      Zum Unterschied vom alten Absolutismus wurde im Neoabsolutismus entschlossen regiert. Rasch führte man die Grundentlastung durch. Jetzt erst wurde das Kaisertum Österreich wirklich zu einem einheitlichen Staat, erhielt eine einheitliche Verwaltung, ein einheitliches Zollgebiet, ein einheitliches (Privat-)Rechtsgebiet. Die Entscheidungsgewalt wurde beim jungen Kaiser Franz Joseph konzentriert. Getragen wurde dieses neue Herrschaftssystem von der Bürokratie. Man könnte sagen: Das deutsch-österreichische, bürgerlich-bürokratische Element erhielt als Ersatz für politische Mitsprache die faktische Herrschaft nicht nur über den Beamtenapparat, sondern über alle Bewohner des Reiches. Oder anders ausgedrückt: Da ab 1848 das deutsch-österreichische Bürgertum zu den Nutznießern und Trägern der Gegenrevolution, des habsburgischen Zentralismus und Großstaatsgedankens wurde, hatte gerade bei ihnen die Erinnerung an die „bürgerliche“ Revolution später einen so geringen Stellenwert. Gleichzeitig begann die langsame Veränderung des traditionellen kulturellen Überlegenheitsgefühls des deutschen Bürgertums der Habsburgermonarchie in Richtung eines immer radikaleren (und immer radikaler antisemitischen) Deutschnationalismus, in dem vom alten liberalen Erbe zuletzt nur der Antiklerikalismus übrig blieb.10

      Auch das Unternehmertum profitierte vom neuen Einheitsstaat. Schon während der Revolution hatte es sich auf die Seite der Regierung und des Militärs geschlagen. Ihnen lag alles an der Erhaltung des großen habsburgischen Österreichs, mit überall gleichem Recht und einem einheitlichen Zoll- und Währungsgebiet. Wurde der Bourgeoisie dieses Ziel von der Konterrevolution garantiert, von der Revolution aber bedroht, dann wurde sie notwendig zur Verbündeten der Restauration. Ein kleines Beispiel:

      Am 27. März 1848 schrieb Giuseppe Miller-Aichholz, ein aus dem Trentino stammender Wiener Großhändler, an seinen Vater in Cles (in italienischer Sprache), das Verhalten von Mailand und Venedig sei haarsträubend, sie seien eidbrüchige, treulose Verräter. Im Juni reiste er als Mitglied des Gemeindeausschusses nach Innsbruck, um den Kaiser um die Rückkehr nach Wien zu bitten. Begeistert berichtet er dem Vater am 13. August von den Siegen Radetzkys über die Lombarden und Piemontesen. Im März 1849 war Miller Mitglied jener Wiener Bürgerdeputation, die dem jungen Kaiser Franz Joseph den Dank für die oktroyierte Verfassung und die Auflösung des Reichstages (!) zu überbringen hatte. Nur wenige Tage später reiste er mit anderen Gemeinderäten nach Italien, um Radetzky das Ehrenbürgerdiplom der Stadt Wien auf den oberitalienischen Kriegsschauplatz nachzubringen. Das Bündnis von Großbourgeoisie und Armee wurde damit eindrucksvoll besiegelt.

      Die kurze Herrschaft des liberalen Bürgertums

      Zwar herrschte das „deutsche“ Bürgertum in Österreich zunächst nur in Gestalt der Bürokratie.11 Mit der Zurücknahme „bürgerlicher“ Freiheiten erhielt aber das unternehmerische Großbürgertum erhebliche Freiräume. Die schwierige finanzielle Lage des Staates steigerte noch die Einflussmöglichkeiten der Finanzbourgeoisie, denn der Staat brauchte ungeheuer viel Geld für den Aufbau des neuen, staatlichen Gerichts- und Verwaltungssystems mit zahllosen neuen Beamten. Gleichzeitig blieben die Ausgaben für Armee und die (neue) Gendarmerie hoch.12 Und sie stiegen noch, als im Rahmen des Krimkrieges Österreich die rumänischen Fürstentümer besetzte und eine Armee in Galizien stationierte. Diese Politik führte zur Dauerfeindschaft mit Russland, ohne die liberalen Westmächte (England, Frankreich) als Freunde zu gewinnen. Schließlich wurde nach der Niederlage bei Solferino 1859 dem Kaiser bedeutet, dass es neue Kredite für den hoch verschuldeten Staat nur mit einer parlamentarischen Vertretung, zumindest für eine Kontrolle der Staatsfinanzen, geben würde. So erzwang man vom unwilligen Kaiser die Einrichtung von Vertretungskörpern, von Landtagen und eines gesamtstaatlichen „Reichsrats“, die in erster Linie als Kontrollore der Steuerzahler gegenüber der undurchsichtigen Ausgabenpolitik des Staates gedacht waren.

      Das 1861 im Rahmen des „Februar-Patents“ erlassene Wahlrecht für Gemeinden und Landtage, aus denen dann erst die Vertreter im Reichsrat gewählt wurden, war sehr deutlich auf die Interessen des Bürgertums zugeschnitten. Da es theoretisch in erster Linie um die Finanzkontrolle ging, wurde das Wahlrecht konsequent an die Steuerleistung gebunden: In den Gemeinden war jede Person wahlberechtigt, die eine direkte Steuer (Grund-, Gewerbe-, Hausklassen- oder Einkommensteuer) bezahlte. Für die Landtage waren allerdings nur die oberen zwei Drittel der Gemeindewähler bzw. in großen Städten nur Steuerzahler mit einer Steuerleistung von mehr als zehn Gulden pro Jahr wahlberechtigt. Zusätzlich wahlberechtigt waren Inhaber von Bildungspatenten: Lehrer, Professoren, Priester, Ärzte, Ingenieure, Advokaten, in den Küstengebieten auch Kapitäne. Gemeindevertretungen, Landtage und „Reichsrat“ sollten von „Besitz und Bildung“ beherrscht werden.

      Erst 1867 – nach der Niederlage von Königgrätz – erhielten diese Vertretungskörper mehr Aufgaben und alle Staatsbürger mit den fünf Staatsgrundgesetzen („Dezemberverfassung“) die vom liberalen Bürgertum schon lange geforderten Grundrechte, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, die Trennung von Justiz und Verwaltung und eine klare Definition für die Positionen von Parlament und (kaiserlicher) Regierung. Jetzt wurde auch erstmals eine Regierung eingesetzt, die weitgehend aus Herren aus dem Bürgertum bestand – das „Bürgerministerium“. Sein Chef, der Ministerpräsident, war zum Ausgleich für soviel Bürgerlichkeit „Carlos“ Fürst Auersperg, der „erste Kavalier des Reiches“. Die bürgerlichen Minister leisteten in der Tat gute Arbeit. Erwähnt sei hier nur die Verabschiedung des Reichsvolksschulgesetzes, das der Unterrichtsminister Leopold Hasner Ritter von Arta (1818– 1891)1869 im Reichsrat eingebracht hatte. Die Vertretung des Bürgertums, der deutsche, zentralistische Liberalismus, entwickelte noch bis 1875 einige Lösungskompetenzen für Felder, die zukünftiges „zivilgesellschaftliches“ Engagement erleichtern sollten, etwa durch das Genossenschaftsgesetz (1873), das die 1867 errungene Vereinsfreiheit im Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit ergänzen sollte. Mit der Koalitionsfreiheit erleichterten die Liberalen auch die Selbstorganisation der Arbeiterschaft. Nach einigen konfessionellen Gesetzen war um 1875 ihre Gestaltungskraft erlahmt. Die Liberalen wurden zu Verteidigern der errungenen gesetzlichen und der erarbeiteten materiellen Möglichkeiten, aber sie verloren jetzt ihre Rolle als vorwärtstreibende Spitze der bürgerlichen Gesellschaft. Sie wurden tatsächlich konservativ.

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