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– die Guten – haben das Aufstehen nach dem Hinfallen, das Weitermachen des Skatens in ihr Leben übernommen. Meine Kumpels Ingo und Peer zum Beispiel führen sehr erfolgreich den Titus Bonn Shop in der Innenstadt. Christian Kühlem wurde ein Freund über unseren Sport hinaus und später sogar mein Trauzeuge. Aber ja, es gibt auch viele, die aus unserem Hobby die negativen Dinge mitgenommen haben: die Drogen und das Abhängen.

      Zu den Guten gehört besonders Titus Dittmann. Er war schon damals der Star der deutschen Skateboard-Szene und ist es heute noch. Er wohnt in Münster, und dort fand einmal im Jahr das größte Skateboard-Event statt, das »Münster Monster Mastership«, das später sogar zur offiziellen Weltmeisterschaft ernannt wurde. Da mussten wir hin. Wir schliefen auf dem Zeltplatz und veranstalteten mit Hunderten anderen Skateboardern einen Skatetrain durch die Münsteraner Innenstadt. Das war für die kleine Stadt damals ein Skandal. Münster ist ja ein bisschen wie Bonn, da geht es gediegen ab. Und wenn da auf einmal Hunderte von Jugendlichen auf Rollbrettern über die Fußgängerzone herfielen, war das für die Bürger natürlich ein Schock. Es gab regelrechte Proteste gegen uns, und das nicht ganz zu Unrecht. Denn einmal lief dieser Zug durch die Stadt ziemlich aus dem Ruder – einige verwüsteten und plünderten sogar einen ganzen Burgerladen. Das war nicht cool.

Titus Dittmann und Frank Thelen

      Mit Titus beim Deutschen Gründerpreis

      Doch Titus Dittmann war ein Hero – und ich der kleine Junge auf dem Zeltplatz. Heute bin ich stolz, dass ich Titus Dittmann bei seinem Projekt »Skate-Aid« unterstützen kann. Er baut Skateparks in Kriegsgebieten. Denn das Skaten bringt dir bei, dass jeder hinfällt, aber nur derjenige, der wieder aufsteht, den Trick irgendwann lernt. Es bringt dir bei, dass du Schmerz aushalten kannst. Und dass du nach hundert vergeblichen Versuchen Erfolg haben wirst. Du springst über die Rampe, landest auf deinem Board und fährst weiter. Du stehst deinen ersten Kickflip. Das ist wirklich eine Droge, pures Adrenalin. Und es bringt dir auch Demut und Bescheidenheit bei: Egal, was du auf dem Board kannst – es gibt immer einen, der es noch besser kann. Und der hat für seine Skills noch mehr geblutet als du, denn beim Skaten bekommt keiner etwas geschenkt.

      Unsere kleine Rampe in Godesberg war für mich ein Riesenerfolg. Aber sie war winzig – und je besser ich wurde, desto weniger genügte sie meinen Ansprüchen. In Deutschland gab es damals so gut wie keine Möglichkeit, legal und organisiert Skateboard zu fahren. Keine Skaterhalle, keine ordentlichen Rampen, keine Halfpipes. Holland war da schon viel weiter. Und da wir damals weder Führerschein noch Geld hatten, wären die coolen Skateboard-Hallen in Holland ein kühner Traum geblieben – wenn nicht mein Vater viele Wochenenden geopfert hätte, um mich und meine Kumpels dort hinzufahren. Und während wir in der Halle an unseren nächsten Tricks arbeiteten, ging er an irgendeinem See spazieren, um sich die Zeit zu vertreiben. Glücklicherweise kämpften neben mir auch andere für Skateboarding in Bonn. Der Verein »Subculture« hatte jahrelang um eine Baugenehmigung für eine Halfpipe in der Rheinaue gekämpft und im Jahr 1991 endlich die Genehmigung und die Finanzierung durch die »Stiftung Jugendhilfe der Sparkasse Bonn« erhalten. Das Besondere des Projektes: Die Skateboarder sollten ihre Rampe selber bauen. Eine gute Idee – auf dem Papier. Denn keiner von uns hatte Bauerfahrung. Hier zeigte sich aber, was ein Team leisten kann, wenn wirklich alle das Ziel erreichen wollen. Ich glaube, wir bauten drei Monate an dem Projekt. Ein Skater wurde zum Bagger-Experten, ein anderer arbeitete sich in Betonfundamente ein, ein dritter koordinierte die Dienstpläne und so weiter. So bauten wir Skater tatsächlich die größte Halfpipe Europas in der Bonner Rheinaue – und Bonn wurde endlich eine amtliche Skater-Stadt! Die von uns gebaute Anlage gibt es noch heute, musste vor einigen Jahren aber grundlegend saniert werden.

      Auf dem Höhepunkt meiner Skateboard-Laufbahn bin ich sechs Stufen runtergesprungen, während sich das Brett unter meinen Füßen einmal um die Längs- und einmal um die Querachse gedreht hat: ein 360 varial Kickflip. Diesen Trick »zu stehen«, wie man beim Skateboarding sagt, macht Mut. Am Anfang lachten mich die großen und coolen Skater aus. Aber nach zehn Jahren war ich oben angekommen. Das löste zwar dummerweise nicht meine Schulprobleme – aber immerhin hatte ich etwas gelernt: dass Können was mit harter Arbeit zu tun hat. Und dass das auch richtig Spaß machen kann.

      Der entscheidende Impuls meines Vaters

      Bonn, 1991

      Mein Vater sah zu dieser Zeit allerdings keine gute Zukunft für seinen Sohn, und aus heutiger Sicht kann ich das durchaus verstehen. Er liest – übrigens bis heute – jeden Tag den Bonner General-Anzeiger, und eines Tages entdeckte er dort einen Artikel über eine neue Schule, die eine Kombination aus Fachabitur und Ausbildung zum Informatiker anbot – seiner Meinung nach die ideale Ergänzung zu meinem Realschulabschluss.

Frank Thelen und sein Vater

      Mit meinem Vater in Bonn

      Die Deutsche Telekom hat ihren Sitz in Bonn – und für meinen Vater war damals die Telekom der Inbegriff eines soliden Unternehmens. Wer dort landete, hatte es in den Augen meines Vaters geschafft. Er muss sich gedacht haben: Der liebe Gott hat diese Schule für meinen Sohn gemacht, denn wenn er dort angenommen wird, kann er es doch noch zum Telekom-Abteilungsleiter bringen. Aber der Ansturm auf diese neue Schule war groß. Sehr groß. Es gab 150 Bewerber für 30 Plätze, also gab es einen Aufnahmetest, der sich gewaschen hatte. Mein Vater hat mit mir eines Samstags noch morgens gefrühstückt und mich dann mit seinem in die Jahre gekommenen Audi 100 zur Prüfung gefahren. Während ich in dem kargen Klinkergebäude Blut und Wasser schwitzte, saß er draußen im Auto, wartete und war wahrscheinlich sogar noch aufgeregter als ich.

      Heute kann ich es zugeben: Ich habe geschummelt. Neben mir saß ein Junge, der sich (anders als ich) monatelang auf die Multiple-Choice-Fragen vorbereitet hatte. Weiß der Teufel, woher er wusste, welcher Art dieser Test sein würde. Aber er hatte es drauf. Ich habe ganz simpel von ihm abgeschrieben – unter uns Informatikern heißt das »copy & paste«. Das merkte er und fand es gar nicht lustig. Aber ich habe einfach weitergemacht. Anschließend gab es noch zwei Bewerbungsrunden, in denen man sich in Einzelgesprächen beweisen musste, eine davon auf Englisch. Bis heute erinnere ich mich an die Frage: »What is ‘to recycle’?« Ich glaube, das habe ich ganz okay gemeistert, aber ich bin Realist: Unter normalen Umständen wäre ich nicht durchgekommen. Doch »wie durch ein Wunder« erreichte ich die erforderliche Punktzahl und wurde aufgenommen. Der Junge, von dem ich damals abgeschrieben hatte, hat die Schule übrigens nicht beendet. Ich hoffe für ihn, dass er woanders glücklich geworden ist, und möchte mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich dafür bei ihm bedanken, dass er mich nicht verpfiffen hat. Manchmal gibt es im Leben diese Gelegenheiten, die man einfach beim Schopf packen muss. Das soll keine Entschuldigung sein, aber vielleicht hast du auch schon mal abgeschrieben. Ich habe dadurch eine riesige Chance bekommen und nach drei Jahren als Klassenbester die Schule verlassen. Ich war gar nicht dumm oder unfähig – es war die Form des Unterrichts, die mich am Gymnasium verzweifeln ließ. Und jetzt hatte ich begriffen, dass man coole Sachen lernen und dabei auch noch Spaß haben kann. Ich durfte Platinen löten und programmieren und hatte auf einmal richtig Bock. Der wahre Moment der Erkenntnis kam allerdings auch hier wieder außerhalb der Schule: Während der Zeit dort musste man ein Betriebspraktikum machen. Meine Freundin Conny erzählte mir: »Ein Freund von mir hat eine kleine Softwarefirma, den solltest du mal anrufen.« Ich rief ihn an, und er wollte mich auch direkt treffen, wahrscheinlich wegen Conny. Er lud mich am Rosenmontag ein. Wer je im Rheinland Karneval gefeiert hat, weiß, was das bedeutet. Aber so im Nachhinein passt das durchaus, denn dieser im Rheinland heilige Tag wurde letztendlich auch für mich zum Glücks- und Feiertag: Der Freund von Conny hieß Martin Hubert und die Firma Chips at Work. Martin öffnete mir persönlich die Tür – alle anderen waren Karneval feiern. Für einen Chef war Martin sehr jung, gerade mal zehn Jahre älter als ich mit meinen 17 Jahren. Er duzte mich und kam irgendwie richtig cool rüber. Chips at Work bestand aus einem Büro mit fünf Räumen und sah nach Entwicklungslabor aus: Überall standen offene Computer rum, aus denen Drähte und alles mögliche Zeugs raushing, Festplatten lagen in der Ecke. Martin kam direkt zum Punkt: »Conny sagt, du willst ein Praktikum bei uns

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