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Eltern schliefen längst. Noch ein Kapitel: Formatierung Ihrer Festplatte. Ich war so im Rausch und auch sicher übermüdet, dass ich einfach format c: eingab, weil ich sehen wollte, wie so eine formatierte Festplatte wohl aussehen würde. Der Vorgang dauerte 15 Minuten, dann erschien die Meldung: Bitte Betriebssystem installieren. Jetzt war es vier Uhr morgens, ich fühlte den Adrenalinstoß, startete den PC neu, aber es blieb dabei: Bitte Betriebssystem installieren. O NEIN, hatte ich gerade dieses unfassbar teure Gerät zerstört, das Geschenk meines Opas an unsere Familie? Um fünf Uhr ging ich ohne Erfolg frustriert ins Bett, mein Kopf schmerzte zu stark.

      Mein Vater hatte mir ja zuvor erlaubt, mich an den Computer zu setzen, insofern gab es auch kein langes Drumherumreden, wer für den Schaden verantwortlich war. Ich. Und so gestand ich ihm am Morgen meine Tat sofort – und da ich ihn nicht noch mehr enttäuschen wollte, bat ich ihn: »Gib mir zwei Wochen, ich bringe das wieder in Ordnung!« Also las ich das 420 Seiten umfassende Buch zu MS-DOS noch mal durch, traf mich mit einem Bekannten, der einen PC hatte, und lernte tatsächlich, wie dieses Betriebssystem funktioniert. Und ich hielt mein Versprechen – nach zwei Wochen lief der Familien-PC wieder, sogar besser als vorher. Damals konnte man zwar noch nicht ins Internet, und alles hat sehr lange gedauert. Aber das Gerät machte, was ich ihm sagte. Dieser Erfolg war ein durchschlagender Impuls für mein Leben: Ich hatte richtig Bockmist gebaut, war verzweifelt, hatte Angst, aber nach einiger Zeit hatte ich – wie versprochen – das Problem gelöst. Jetzt gab es sogar Achtung von meiner Familie, und ich konnte anderen bei ihren Problemen helfen. Ich war kein Loser mehr, sondern galt plötzlich als »der PC-Experte«. Und endlich hatte ich mal etwas Cooleres als meine »Freunde«, der dicke Olli und Manuel mit der geflickten Brille.

      Nachdem ich MS-DOS verstanden hatte, kaufte ich mir Bücher über Assembler und C. Ich lernte programmieren. Meine erste selbst gestellte Herausforderung: Ich wollte Computerspiele mit Kopierschutz cracken, um sie kostenfrei zu spielen. Das fand ich so spannend und interessant, dass ich dann keines der Spiele überhaupt jemals wirklich ernsthaft gespielt habe. Hatte ich eines gecrackt, nahm ich mir das nächste mit einem komplizierteren Schutz vor. Der Weg war das Ziel.

      Ich begann, meine Dienstleistungsspezialität »PC-Installation« an Freunde und Verwandte zu verkaufen. Von dem ersten verdienten Geld kaufte ich mir ein 14,4-K-Modem, das mich mit Mailboxen verband, von denen ich Software herunterladen konnte. Später folgte ein 36,6-Zyxel-Modem – 36 kbit, das empfindet man heute als »offline«, also »kein Netz«! – und der Zugang über AOL ins World Wide Web. Erinnerst du dich noch an die AOL-CDs? Eine Zeit lang trugen rund 50 Prozent aller weltweit hergestellten CDs das AOL-Logo, und jeder kannte natürlich den legendären Boris-Becker-Spot »Bin ich da schon drin, oder was?!?«.

      Im letzten Jahr der Realschule gab es dann sogar Informatikunterricht mit allerdings schon für damalige Verhältnisse uralten Computern, die noch 5,25-Zoll-Diskettenlaufwerke hatten. Das fand ich immerhin spannender als den Frontalunterricht in Deutsch oder Geschichte. Es war neu, hatte auch einen praktischen Wert für mich, man konnte etwas anfassen und an der Hardware herumbasteln.

      Eben weil ich das so interessant fand, hat mich eine Aussage meines Informatiklehrers damals besonders getroffen: Er nahm meinen Vater bei meiner Abschlussfeier zur Seite und sagte: »Herr Thelen, was auch immer Ihr Sohn in seinem Leben macht: Er sollte der Informatik fernbleiben!« Das hört sich rückblickend witzig an, aber es hat mich damals tief verletzt. Und wenn das seine verdammte Meinung war, hätte er es bitte schön mir sagen sollen und nicht meinen Eltern. Glücklicherweise haben meine Eltern nichts auf solche Aussagen gegeben und immer an ihren Sohn geglaubt, auch wenn Zweifel an mir manchmal durchaus berechtigt waren.

      Skateboarding: Ausbildung fürs Leben

      Bonn, ab 1988 bis heute

      Vor dem Computer war mein größtes, eigentlich sogar mein einziges Hobby das Skateboard. Nicht nur, dass es mich von Schlägereien und den Drogen abhielt. Nein, es war meine erste große Leidenschaft. Wie war ich zum Skater geworden? Schon auf dem Gymnasium waren die coolen Checker-Jungs die mit den Skateboards. Zu denen hätte ich gerne gehört, aber das war aussichtslos. Ein Board immerhin hatte ich mir allerdings gewünscht – und geschenkt bekommen. Also hing ich im Bad Godesberger Kurpark ab und skatete dort mit meinen Kumpels. Skateboarding wurde der zentrale Inhalt meines Lebens.

Portrait von Frank Thelen mit einem weißen H-Street Pulli

      Mit meinem H-Street-Pulli in der Schule

      In Godesberg war das damals nicht so einfach: überall Polizei, Bundesgrenzschutz, private Sicherheitsdienste für die ganze Politik. Aber im Kurpark gab es einen großen Marmorbrunnen mit Heilwasser. Ursprünglich errichtet für die Flaneure aus dem letzten Jahrhundert, heute nur noch für die Touristen. Diesem Heilwasser verdankt Godesberg seinen Namenszusatz »Bad«. Der Brunnen hatte Stufen, auf denen man hervorragend fahren konnte. Das Problem war: Der Architekt des Brunnens hatte damals nicht bedenken können, dass über 100 Jahre später ein paar Jungs mit Boards und Metallachsen über die Stufen grinden würden. Marmor ist sehr weich, deshalb werden ja auch Skulpturen aus Marmor gehauen. Unsere Skateboards haben dem altehrwürdigen Brunnen schwer zugesetzt: Er wurde zerkratzt, zerschrammt und zum Teil sogar zerstört. Sehr schnell wurde – heute für mich nachvollziehbar – das Skateboarding im Park verboten. Wir sahen das damals natürlich nicht ein. Die Polizei hat uns gejagt, meistens konnten wir uns aber mit unseren Boards schnell genug aus dem Staub machen. Eines Tages hatte ich die Nase voll von der Illegalität und dem Ärger mit der Polizei. Ich bin zum damaligen Bezirksbürgermeister Norbert Hauser gegangen und habe ihm erklärt, dass wir eine Skateboard-Rampe brauchten, wenn der alte Brunnen verschont bleiben sollte. Und tatsächlich: Nachdem ich hinreichend genervt hatte und man merkte, dass ich so schnell nicht aufgeben würde, finanzierte uns die Stadt einen kleinen Skatepark mit drei Rampen. Ich werde das Gefühl an dem Tag nie vergessen, als die Bauarbeiter anrückten, um unseren Skatepark zu bauen – nur 100 Meter von unserer Wohnung entfernt!

      Diese Rampen gibt es heute noch. Und jedes Mal, wenn ich an ihnen vorbeigehe, denke ich mir: Man kann die Welt verändern, jeder von uns. Ich war damals ein normaler Jugendlicher aus einer durchschnittlichen Familie mit schlechten Schulnoten. Aber ich hatte eine Idee, an die ich geglaubt habe, den Willen, diese umzusetzen, und die Energie, durchzuhalten, bis mein Ziel erreicht war. Das hat mich geprägt und ist mir bis heute geblieben. Wenn mich etwas packt, gebe ich alles. So einfach ist das »geheime« Rezept zum Erfolg. Unser neuer kleiner Skatepark mit einer Mini-Ramp, Quarter-Pipe, Jump-Ramp und einem Rail war ein großer Erfolg. Der neue Spot wurde so schnell beliebt, dass selbst die großen und coolen Jungs aus Bonn nach Godesberg kamen. Jetzt hingen wir gemeinsam dort ab oder besuchten im Gegenzug die Bonner im sogenannten »Bonner Loch«. Das war immer eine kleine Reise, also schwänzten wir die Schule, damit es sich auch lohnte.

      Wenn man früher am Bonner Hauptbahnhof ausstieg und die Ampel überquerte, stieß man sofort auf eine der übelsten Bausünden der Stadt. In den 1970er Jahren wurde hier eine Art Einkaufszentrum als Überbauung der U-Bahn gebaut, das sich binnen weniger Jahre zu einem unbeliebten Schandfleck entwickelte. Leerstand, Pizza-Palast, dann wieder Leerstand, Döner-King, Leerstand, Kiosk, Pizzastand prägten das Bild. Direkt benachbart gab es einen tiefer gelegenen, offenen Bereich, der wohl ursprünglich mal als begrünter Treffpunkt im öffentlichen Raum gedacht war. Hier hätte man wie auf mehreren Terrassen sitzen können, wenn das Konzept je angenommen worden wäre. Stattdessen pinkelten Obdachlose in die Rabatten, schliefen in ihren Schlafsäcken auf den Stufen, und Dealer versteckten ihren Stoff in den Ritzen des Pflasters. Überall lagen Spritzen und angekokelte Löffel herum. Im »Bonner Loch« trafen sich die Junkies, die Penner – aber auch die Skater, denn die Betonierung eignete sich hervorragend zum Skaten, die Treppen für den einen oder anderen Stunt. Dies war ein anderes Gesicht von Bonn als die Villenviertel und Regierungsgebäude. Schlägereien und Verbrechen waren leider an der Tagesordnung, sodass die Stadt 1992 eine kombinierte Dienststelle von Polizei und Ordnungsamt errichtete, die »GABI« – »Gemeinsame Anlaufstelle Bonn-Innenstadt«. Inzwischen ist das »Bonner Loch« übrigens Geschichte und weicht gerade einem Neubau.

      Glücklicherweise interessierte mich aber immer nur der Sport. Ich habe weder gekifft

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