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rel="nofollow" href="#ulink_73bdc5ac-78c7-56bf-af41-e265eceeab7f">1 Die Welt muss also so sein, dass sie in sich das Potential enthält, in unserem Denken und unserer Sprache beschrieben zu werden, was eine vor aller Erfahrung anzunehmende Möglichkeitsbedingung des wissenschaftlichen Wissens von der Welt einschließt. Nur dann kann sich unser Denken sprachlich so zum Ausdruck bringen, dass sich darin die Welt selbst darstellen kann.

      Hegel hatte dieses Problem von der Welt her gedacht so auf den Punkt gebracht: das ‚Absolute‘ muss bei uns sein wollen, wenn wir eine solche Auffassung durchführen wollen. Das Problem dabei ist offenbar, dass wir mit einer solchen Konzeptualisierung des Sich-zur-Sprache-Bringens der Welt in unseren Sprachen beträchtliche metaphysische Verpflichtungen eingehen müssen, die wir vermutlich nicht ohne Weiteres auf uns nehmen werden. Von der Sprache her gedacht hat Ludwig Wittgenstein im ‚Tractatus logico-philosophicus‘ ausführlich dargelegt, wie wir uns eine Sprache denken müssen, in der die Welt und ihre Sachverhalte sich selbst zum Ausdruck bringen können. Das dabei entstehende Problem, ob unsere wissenschaftliche Sprache dieser idealen Sprache entspricht oder entsprechen kann, hat Wittgenstein in seinem späteren Werk ‚Philosophische Untersuchungen‘ eingehend erörtert, und das Ergebnis war negativ. Unsere Sprachen sind durchaus nicht so, dass wir uns eine solche Angepasstheit an die Welt als solche vorstellen könnten, und wollten wir eine Sprache entsprechend konstruieren, damit sie diese Bedingung erfüllt, so würden wir sie nicht mehr verstehen, denn sie würde gegen fundamentale Voraussetzungen der Verwendung der Sprache zur Verständigung verstoßen.

      In dieser Lage könnten wir also doch versucht sein, uns mit der rationalen Akzeptierbarkeit unserer wissenschaftlichen Aussagen zu bescheiden, die gegenüber einer bloßen Konsenstheorie den Vorteil hat, dass stets die Möglichkeit offen gehalten wird, dass jeder faktische Konsens in der Gemeinschaft der Wissenschaftler sich als falsch herausstellen könnte. Aber in diesem Fall können wir das wissenschaftliche Wissen gegenüber anderen Wissensformen nicht mehr mit einer besseren Einsicht in unsere Beziehungen zur Welt rechtfertigen. Allerdings können wir auch auf der Grundlage der Behauptung, wissenschaftliche Aussagen könnten sich nur durch ihre Übereinstimmung mit Sachverhalten in der Welt ausweisen, nicht auf das Argumentieren und damit auf das Gründegeben verzichten. In der Wissenschaft müssen für jede Behauptung über eine bessere Einsicht Gründe angegeben werden. Darin verwandelt sich die vermeintlich bessere ‚Einsicht‘ in die Welt auf jeden Fall in ein Argumentieren. Das gilt auch dann, wenn der Verteidiger einer nach seiner Vermutung besseren Einsicht eigentlich für die Wahrheit seiner Weisheit nur seine exklusive Beziehung zur Welt, wie sie an sich selbst ist, heranziehen wollte. In der Wissenschaft transformiert sich seine Vorstellung von selbst, indem sie Wirklichkeit nur durch den Eintritt in das Bemühen um rationale Überzeugung gewinnt.

      Auf dieser Grundlage kann die Wissenschaftsphilosophie etwa gegen eine evolutionäre Auffassung des Wissens darauf verweisen, dass die Erklärungsansprüche der Naturwissenschaften sich nicht nur durch Anpassungserfolge und damit durch die biologische Selbsterhaltung ausweisen. Sie sind Leistungen eines sprach- und vernunft-begabten ‚Tieres‘, das zugleich ein ‚politisches‘ Lebewesen ist, weil es mit anderen Menschen zusammenlebt und mit ihnen Wissen erwirbt. Es lebt im Raum der Gründe, wo es anderen gegenüber nicht nur sein Handeln, sondern auch sein Wissen begründet. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften stützen sich deshalb keinesfalls nur auf die Beziehung des Menschen zur Natur, sondern ebenso auf die Begründungszusammen-hänge zwischen Menschen. Der Mensch ist ein Wesen mit Gründen, die er in seinen Handlungen realisiert, und diese Gründe verweisen auf ein Selbstverständnis in der Auseinandersetzung mit anderen sich selbst verstehenden Wesen. Wissen, wie die Naturwissenschaft es beansprucht, ist also nur in einem sozialen Raum möglich, in dem der Mensch als ein soziales Lebewesen lebt.

      Wenn wir also Gründe geben, um uns für oder gegen eine bestimmte wissenschaftliche Theorie zu entscheiden, so halten wir uns nicht einfach an die ‚Sachen an sich‘, sondern an einen Prozess des Gründegebens, der im Dialog bzw. im Gespräch zwischen Menschen stattfindet. Wir halten uns dabei auch nicht an eine Vernunft an sich, die unabhängig vom Dialog irgendwo in der Welt herumliegen würde und uns sagen könnte, was für uns ‚Gründe‘ sind. Das soll keineswegs heißen, dass die Vernunft keine Rolle spielt. Aber wir müssen auf den Begriff der ‚Vernunft‘ den gleichen Gedanken anwenden wie auf den Begriff der ‚Wahrheit‘. Dann können wir nicht sagen, es gebe so etwas wie ‚Vernunft‘, wie es Katzen, Verkehrshindernisse oder Überschwemmungen gibt. Es ist nicht etwas ‚da draußen in der Welt‘, sondern es handelt sich um einen Begriff, der mit Gründen und Gegengründen bestimmt wird. Der Begriff der ‚Vernunft‘ erhält gerade durch diesen Prozess des Begründens eine gute Bestimmung, die freilich wieder mit Gründen in Frage gestellt werden und mit Hilfe von anderen Gründen gestützt werden kann.

      Wie geht dieser Prozess des Dialogs zwischen Menschen vor sich, in dem wir begründen? Üblicherweise versuchen wir dabei andere Menschen davon zu überzeugen, dass sie sich unserer eigenen Auffassung anschließen sollen, und die anderen gehen genauso vor, d. h. sie versuchen, für ihre Gedankengänge bei uns zu werben. Das hört sich sehr einfach an, aber diese Beschreibung des Vorgangs des Begründens enthält eine wichtige Grundsatzentscheidung darüber, wie wir das Begründen auffassen wollen. Wenn dieser Dialog so vor sich geht, dann gibt es keine letzte Instanz für die Entscheidung darüber, was als ‚begründet‘ und was als ‚unbegründet‘ oder als ‚nicht ausreichend begründet‘ gelten soll. Man könnte auch sagen: es gibt keine letzte Instanz außerhalb des Dialoges selbst. Wenn wir im Dialog zu einer Definition – allgemein: zu einer Einigung über ein bestimmtes Verständnis – gekommen sind, so gilt sie.

      Natürlich kann diese Einigung immer wieder revidiert werden. Etwa können andere Teilnehmer zu diesem Dialog kommen und andere Gründe und Gegengründe vorbringen. Es gibt Teilnehmer, die neue Erkenntnisse vorbringen, d. h. sich auf bestimmte bereits als geltend anerkannte Teile des Wissens stützen. Dann kann der Prozess des Begründens neu einsetzen. Es kann auch sein, dass einem Teilnehmer etwas Neues einfällt, was dazu führt, dass die diskutierte Angelegenheit in einem ganz neuen Licht gesehen wird und der Prozess des Begründens neu beginnen kann. Wie ein solcher Prozess des Begründens ganz genau aussieht, kann man im Grunde vorher nie genau wissen. Aber die Begründung endet nie bei einer ‚Sache selbst‘ oder bei einem Machtspruch einer Instanz, die ‚die Vernunft‘ genannt werden könnte und unabhängig von diesem Prozess des Begründens besteht. Wir können also den folgenden Begriff der Vernunft formulieren: als Vernunft können wir eben dieses Geschehen der Begründung in einem offenen und dialogischen Prozess zwischen sprachfähigen Lebewesen auffassen.

      Wir haben mit einem einfachen und weithin akzeptablen Begriff von Wissenschaft begonnen und daraus einige Probleme entwickelt, die nicht mehr selbst als wissenschaftlich bezeichnet werden können. Sie betreffen in erster Linie das Begründen, ohne das wir keinen Begriff von Wissen formulieren können. Wissenschaft beansprucht, den Regress des Begründens stoppen zu können. Empirische Wissenschaft beansprucht, diesen Regress durch die Berufung auf Erfahrung als sinnliche Wahrnehmung beenden zu können. Damit hat es die Wissenschaftsphilosophie zunächst mit dem Problem der Wahrnehmung zu tun, d. h. mit der Frage, ob und wie das sinnliche Wahrnehmen zur begründenden Grundlage für das Wissen der empirischen Wissenschaft werden kann. Mit dieser Frage beschäftigen wir uns im 2. und 3. Kapitel. In ersterem geht es um die Frage, wie das Wahrnehmen zum Begründen werden kann und was das für den Anspruch der Wissenschaft bedeutet, Aussagen und Theorien über die Welt machen zu können, wie sie wirklich ist. In letzterem wird die Frage nach dem Wahrnehmen in Bezug auf das Experiment gestellt, das heute als die entscheidende Instanz für die Begründung wissenschaftlichen Wissens gilt.

      Von den unter den Titeln ‚Wahrnehmung‘ und ‚Experiment‘ aufgeworfenen Fragen führt der gedankliche Weg notwendig auf die Problematik des Zusammenhanges von Sprache, Bedeutung und Welt. Unsere fragmentarische Untersuchung einer weitgehend akzeptablen Beschreibung von Wissenschaft zeigte bereits eine durchgehende Problematik, auch wenn wir sie nicht immer explizit ausgeführt haben. Es ist das Problem Sprache und Welt, das die wissenschaftsphilosophische Frage nach der Erklärbarkeit der Welt in der Wissenschaft (‚science‘) seit

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