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hat diese Unterscheidung ebenso aufgenommen wie der in Tübingen lehrende Gabriel BielBiel, Gabriel (1415–1495). Die Differenzierung zwischen einer absoluten und einer geordneten Macht Gottes steigert freilich die *KontingenzKontingenz des göttlichen Handelns, und zwar ebenso im Hinblick auf das Weltverhalten wie das Heil des Menschen. Die [40]Wahrheiten der Mathematik sowie die der christlichen Heilslehre finden ihre Begründung im Willen Gottes. Gott kann jederzeit eine andere Ordnung setzen, da sein WilleWille durch nichts gebunden ist. Im Horizont eines solchen Gottesverständnisses werden Welt- und Heilserkenntnis unsicher.

      Das hat Folgen für das Verständnis der Theologie als Wissenschaft. Duns ScotusJohannes Duns Scotus weist die Begründung des Thomas zurück. Theologie ist keine untergeordnete Wissenschaft. Bei einer solchen müssten die Prinzipien evident sein. Das ist bei den Glaubensartikeln allerdings nicht der Fall. Theologie als praktische WissenschaftTheologie ist folglich als eine praktische Wissenschaft zu begreifen und nicht als eine theoretische, spekulative Disziplin. Sie handelt von Gott, dem höchsten Guthöchstes Gut, summum bonum (lateinisch: summum bonum), unter dem Gesichtspunkt der LiebeLiebe zu ihm.

      Literatur

      Volker Henning Drecoll: Die Entstehung der Gnadenlehre Ausgustins, Tübingen 1999.

      Kurt Flasch: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, Stuttgart 1986.

      Wolf-Dieter Hauschild: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 1: Alte KircheKircheAlte und Mittelalter, Gütersloh 1995, S. 549–636.

      Charles Lohr: Art.: Theologie II/3. Theologie im lateinischen Christentum des Mittelalters, in: TRE, Bd. 33, Berlin/New York 2002, S. 276–279.

      Wolfhart Pannenberg: Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt a.M. 1987, S. 226–240.

      Miriam Rose: Thomas von Aquin, Summa theologiae, in: Christian Danz (Hrsg.): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait, Darmstadt 32012, S. 85–91.

      Christoph Schwöbel: Art.: Theologie I. Begriffsgeschichte, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 8, Tübingen 42005, Sp. 255–266.

      Aufgaben

      1 Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Entwicklung des Theologiebegriffs im Mittelalter.

      2 Welche Bedeutung hat die Rezeption der Philosophie von Aristoteles für das Theologieverständnis im Mittelalter?

      3 Informieren Sie sich über den Aufbau und die methodischen Grundlagen der Summa theologica des Thomas von Aquin.

      [41]2.3 Die ReformationReformation, Reformationszeit: Der große Umbruch

      Die ReformationReformation, Reformationszeit beinhaltet einen Epochenbruch. Durch sie entstanden unterschiedliche Auffassungen des wesentlich Christlichen in Europa, die sich gegenseitig ihren WahrheitsanspruchWahrheitsanspruch bestritten. In der Theologie kommt es dadurch zu einer *KonfessionalisierungKonfessionalisierung. In den dogmatischen Konzeptionen wird der Anspruch erhoben, die einzig verbindliche Deutung der WahrheitWahrheit der biblischen Offenbarung auf systematische Weise auszuarbeiten. Erst dadurch entsteht die Disziplin der Dogmatik als eine zusammenfassende Darstellung und Erörterung des aus der Bibel entnommenen Lehrbegriffs einer KonfessionKonfession. Durch die Reformation kommt es aber auch zu einer Verinnerlichung der Religion. Zwar halten die Reformatoren an der gleichsam objektiven Bestimmtheit der Inhalte der christlichen ReligionReligionchristliche fest, aber deren Fokus verschiebt sich in die InnerlichkeitInnerlichkeit des Glaubens. Gott begegnet allein im Glauben und nicht in äußeren sakramentalen Handlungen. Damit treten metaphysische Erwägungen über das Wesen GottesWesen Gottes in der Theologie zurück. Gott interessiert allein in seiner Beziehung zum einzelnen Menschen.

      Literatur

      Thomas Kaufmann: Geschichte der ReformationReformation, Reformationszeit, Frankfurt a.M./Leipzig 2009.

      a. Martin LutherLuther, Martin

      Für Martin LutherLuther, Martin ist Theologie als Erkenntnis Gottes und des MenschenTheologie die Erkenntnis Gottes und des Menschen. Dieses Verständnis von Theologie ist das Resultat seiner Auslegung der Bibel im akademischen Lehrbetrieb, zu der er durch die Übernahme der Wittenberger Professur im Jahre 1513 angehalten war. Seine Bibelauslegung stand im Kontext von Kloster und Universität. Sie führte ihn in den folgenden Jahren zu einem von der theologischen Lehrtradition abweichenden Verständnis des christlichen Glaubens. Glaube, so die Meinung des Wittenberger Reformators, ist die GerechtigkeitGerechtigkeitGottesGerechtigkeit Gottes. Diese ist keine göttliche Eigenschaft, sondern eine GabeGabe, die Gott dem Menschen umsonst gibt. Dadurch wird der Mensch vor Gott gerecht. Deshalb ist der Glaube bereits das Ganze des christlichen Heils im Gottesverhältnis. Außer und neben ihm bedarf [42]es keiner weiteren sakramentalen oder kultischen Handlungen. Sein neues Verständnis des Glaubens, der nun zu einem theologischen Zentralbegriff wird, ist Luther in seiner Auseinandersetzung mit dem BußsakramentBußsakrament der mittelalterlichen Theologie und Kirche erwachsen. Bereits in seiner ersten Vorlesung über die Psalmen, den Dictata super psalterium (1513–1515) rückt das Thema der BußeBuße in sein Blickfeld. Gegenüber den drei Bestandteilen des SakramentsSakrament, der Reue, dem BekenntnisBekenntnis und der Genugtuung (lateinisch: contritio, confessio und satisfactio), macht er geltend, die Buße erstrecke sich auf das gesamte Leben des Christen und keinesfalls lediglich auf den sakramentalen Akt. Sie ist Lebensbuße, wie es prägnant in der ersten der 95 Thesen über die Kraft des AblassAblasses heißt.

      Die Bedeutung der BußeBuße für die Herausbildung des theologischen Denkens von LutherLuther, Martin wird deutlich, wenn man sein frühes Bußverständnis genauer in Betracht nimmt. In ihr entsteht bei dem einzelnen Menschen erst das Bewusstsein, dass er selbst ein Sünder vor Gott ist. Buße ist die SelbsterkenntnisSelbsterkenntnis des Menschen hinsichtlich seines eigenen Sünderseins. Darin gibt jedoch der Mensch Gott und seinem Urteil über ihn RechtRecht. Dem Urteil Gottes zufolge sind alle Menschen Sünder und Lügner (vgl. Ps 116,11; Röm 3,4). Der Mensch will dies jedoch nicht wahrhaben. Dadurch verschwindet gewissermaßen die Sünde. Der Einzelne belügt sich dadurch freilich selbst und – gravierender noch – widerspricht dem Urteil Gottes über ihn. Sündenerkenntnis hingegen und deren Bekenntnis entsprechen dem göttlichen Urteil. Der Mensch stimmt mit Gott überein, und darin ist er gerecht. Derjenige, der sich als ein Nichts vor Gott erkennt, vertraut nicht mehr auf sich selbst, sondern allein auf Gott und seine VerheißungVerheißung der SündenvergebungSündenvergebung. Die Übereinstimmung des Menschen mit Gott bildet den Kern von Luthers Verständnis des rechtfertigenden Glaubens. Er entdeckte es in seiner Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen Bußverständnis. In der weiteren Entwicklung seines Denkens zwischen 1513 und 1520 wurde das Verständnis der Buße zur Grundlage seines neuen Verständnisses des Glaubens.

      Der Glaube ist das Ganze des christlichen HeilsGlaube ist das Ganze des christlichen Heils. Er beinhaltet die SelbsterkenntnisSelbsterkenntnis des Einzelnen hinsichtlich seines eigenen Sünderseins sowie das VertrauenVertrauen auf Gottes VerheißungVerheißung der SündenvergebungSündenvergebung. Zwischen den beiden Aspekten besteht eine *AntinomieAntinomie. LutherLuther, Martin hat sie in Anlehnung an 1Sam 2,6 stets so formu[43]liert: „Der Herr tötet und macht lebendig, er führt in die Hölle hinunter und wieder heraus.“ Sowohl die Erkenntnis des eigenen Sünderseins als auch das Vertrauen auf Gott führt Luther auf ein göttliches Handeln am Menschen zurück. Im *GesetzGesetz begegnet Gott dem Menschen als fordernder Anspruch. Es erheischt die bedingungslose LiebeLiebe zu Gott. Der Mensch vermag allerdings der Forderung des Gesetzes nicht zu entsprechen. In sein Handeln sind stets egoistische Motive eingelagert. Deshalb besteht die theologische Funktion des Gesetzes darin, den Abstand des Menschen zu Gott aufzudecken. Der unter der Forderung Gottes stehende Mensch erkennt sich auf diese Weise selbst als Sünder. Gott erscheint ihm unter und in dem Gesetz als unerbittlich fordernde Macht. Das *EvangeliumEvangelium hingegen bezieht sich auf eine doppelte Weise auf die Selbsterkenntnis des Menschen als Nichts vor Gott. Es bestätigt zunächst die WahrheitWahrheit dieser Erkenntnis. Alles Handeln des Menschen, auch das,

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