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damit diese ihre Augen nicht sehen konnten, die vor Freude glänzten, und betrachtete das wechselnde Farbspiel der Pfauenfedern.

      »Ach Papa, sind die nicht schön?!«, seufzte sie.

      Während sie weiter durch den Zoo spazierten, trug Lola die drei Federn stolz vor sich her, sodass alle Menschen, die ihnen entgegenkamen, die schillernden Pfauenaugen bewundern konnten. Lola zeigte sie den Giraffen, die ihre Köpfe über die Absperrung streckten, dem Faultier, das sich kaum merklich bewegte, und den Ziegen, die neugierig zum Zaun kamen, bis der Bock sie auseinanderscheuchte.

      Als sie wieder im »Donnervogel« saßen, schloss Kurt die Federn im Kofferraum ein, damit sie nicht davonfliegen konnten. Aber als er den Zündschlüssel herumdrehte, sprang das Auto nicht an, es gab lediglich ein jämmerliches Kreischen von sich. Kurt pfiff durch die Zähne. Dann lehnte er sich zurück und sagte mit Blick auf das Armaturenbrett: »Madame hat wohl einen schlechten Tag. Wahrscheinlich ist es ihr zu stickig heute.« Er stieg aus, ging um das Auto herum und strich zärtlich über die Kotflügel. »Komm schon. Das Stündchen Fahrt schaffst du doch locker. Lass uns nicht hängen.« Noch ein Klaps auf die Motorhaube, dann stieg er wieder ein und versuchte es erneut. Und tatsächlich: Der Motor sprang an. Lola grinste in sich hinein. Ihre Mutter lachte und klopfte Kurt auf die Schulter. Aber während der Fahrt musste Lola wieder an ihren Vater denken. Sie schloss die Augen, ließ sich vom Wind streicheln und stellte sich vor, dass er hinter dem Steuer saß und ab und zu in den Rückspiegel sah, um Lola zuzuzwinkern.

      Als sie an der »Erbse« ankamen, sagte Lola zu ihrer Mutter: »Ich muss noch zum alten Solmsen. Der wartet bestimmt auf mich. Leg die Federn bitte auf mein Bett!«

      Lola gab ihr einen Kuss auf die Wange und sprang aus dem Auto. Sie zögerte einen Augenblick, drehte sich um, winkte Kurt zu, und schon rannte sie den Hügel hinauf zum alten Solmsen, der vor seiner Hütte auf der Bank saß. Sie setzte sich zu ihm, rückte dicht an ihn heran und blickte wie er auf den Fluss.

      »Na, mein Mädchen, bist heute spät dran. Die Fischer sind schon draußen«, sagte der alte Solmsen.

      »Ich war im Zoo«, antwortete Lola und seufzte, als ob es schrecklich gewesen wäre.

      »Ich glaube, ich hab euch wegfahren sehen. Meine Augen sind allerdings nicht mehr die besten. Und? Alles in Ordnung?«

      »Nein, nichts ist in Ordnung.«

      Nach einer Weile sagte der alte Solmsen: »Sieh dir den Fluss an, wie aufgewühlt der heute ist, als würde er sich über die Menschen ärgern, die auf ihm fahren und in ihm fischen.«

      »Kann ich verstehen.«

      »Dabei lieben die Menschen hier den Fluss. Sie brauchen ihn und wollen nur sein Bestes. Sie wehren sich dagegen, ihn begradigen zu lassen, und setzen sich für ihn ein, wenn jemand sein Wasser verschmutzt.«

      »Na, da hat’s der Fluss ja ganz schön gut.«

      »Eben.«

      Lola kam nach Hause, als der Himmel sich im Licht der sinkenden Sonne rosa färbte. Die »Erbse« schwebte in einem Meer aus Sonnenfunken, die auf dem Wasser tanzten. Ihre Mutter saß auf dem Oberdeck inmitten eines Blütendschungels im Liegestuhl. Ihre Haare waren wieder hochgesteckt und mit einem Lavendelzweig verziert. Sie hatte ein großes Fotoalbum auf dem Schoß. Lola setzte sich zu ihr, und ihre Mama legte den Arm um sie.

      »Schau mal, Lola, wie süß du auf diesem Foto aussiehst. Diese dicken Bäckchen, und hier dein erster Zahn. Damit hast du mich manchmal in die Hand gebissen, und stell dir vor, es tat richtig weh.«

      Frau Lachmann lächelte und hob eine Hand, so als könne man immer noch den Abdruck des Zahnes darauf erkennen.

      Wo ist er jetzt?«, fragte Lola.

      »Ich glaube, in der alten Zuckerdose, in der ich auch ein paar Locken von dir aufbewahre.«

      »Nein, ich meine Kurt«, sagte Lola unwirsch.

      »Ach so.« Ihre Mama blätterte die Seite des Fotoalbums um. »Er ist nach Hause gefahren. Er wollte seinen Hund nicht so lange alleine lassen.«

      »Hast du die Federn?«, fragte Lola.

      »Ja, Auftrag ausgeführt. Sie liegen auf deinem Bett.«

      Lola lächelte, kuschelte sich an ihre Mama und vergrub den Kopf unter ihrem Arm. Aus dem Augenwinkel betrachtete sie die Fotos, die sie gut kannte. Als sie die Bilder von ihrem Urlaub am Meer sah, seufzte sie tief. Damals war sie gerade drei Jahre alt gewesen. Papa, wie er in die Kamera lachte, Mama, wie sie mit Lola auf dem Arm im Wasser stand. Papa, wie er mit Lola auf dem Rücken herumgaloppierte und wie er bis zum Hals im Sand eingegraben war und Mama ihm mit ihren Händen Hasenohren machte. Sie seufzte noch einmal.

      »Man fotografiert immer nur, wenn man glücklich ist«, sagte ihre Mama. »Und man erinnert sich auch lieber an die schönen Momente. Aber du weißt doch, was Papa gesagt hat, es gibt kein Licht ohne Schatten und keinen schönen Tag ohne einen schlechten …«

      »Einen trüben. Einen trüben hat er gesagt«, verbesserte Lola. »Außerdem sagst du das nur, damit ich nett zu deinem Kurt bin.« Sie sah ihre Mutter aus zusammengekniffenen Augen an. »Heute haben wir keine Fotos gemacht.«

      Sie drehte sich um, ging in ihr Zimmer und schloss die Tür. Sie öffnete den Deckel von Nadus Käfig und legte eine Hand sachte auf den weichen Körper des Meerschweinchens, das leise fiepte. Vor ihrem Fenster verschmolz die Sonne mit der Wasseroberfläche, und durch das goldene Licht zog ein Fischkutter mit gerafften Netzen, dem kreischende Möwen folgten.

      Auch in Lolas Zimmer war das Fenster mit einem gemalten Rahmen verziert. Früher hatten ihre Eltern es als Kasperletheater benutzt, denn direkt unterhalb des Fensters verlief die Reling um das Boot herum. Man konnte sich gut dahinter verstecken und Handpuppen in die Öffnung halten. Papa hatte immer den Zauberer gespielt, der alles und jeden verschwinden ließ.

      »Hokus lokus fidibus,

      dreimal schwarzer Rabenfuß,

      viermal grüner Haferschleim,

      bist nicht hier, bist nicht daheim.

      Zauber, nehme deinen Lauf:

      Schnell in Luft löse dich auf!«

      Dabei hatte er mit der freien Hand an die Schiffswand gedonnert und seine Stimme erhoben. Am Ende hatte der Kasper immer dafür gesorgt, dass alles Verschwundene wieder auftauchte: der Seppel, die Zauberblume, der Luftballon oder die Prinzessin.

      Aber das Fenster wurde schon lange nicht mehr als Kasperletheater genutzt. Jetzt stellte Frau Lachmann immer Blumentöpfe davor, die wie ein Stillleben im Rahmen standen. Es sah aus, als ob der Fischkutter am Horizont gerade von den Margeriten zu den Vergissmeinnicht unterwegs wäre. In einem Regal hatte Lola eine Sammlung kleiner Kakteen aufgestellt. Einige von ihnen blühten. Lola gefiel es, dass sie selten gegossen werden mussten. Und dass sie Stacheln hatten, fand sie sehr schlau. So würde niemand auf die Idee kommen, ihnen wehzutun.

      »Warum haben Kinder keine Stacheln, wo man ihnen doch so leicht wehtun kann?«, hatte sie Mama einmal gefragt.

      »Kinder können auch Stacheln haben, man kann sie nur nicht sehen«, hatte Mama geantwortet.

      Lola war daraufhin sehr vorsichtig gewesen, damit sie anderen Kindern nicht zu nahe kam. Aber da bei zufälligen Berührungen nie etwas passiert war, vergaß sie die Vorsicht irgendwann wieder.

      Neben dem Regal mit den Kakteen stand eine Kommode und darauf ein Bilderrahmen, den Lola mit Muscheln

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