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nicht im Entferntesten den Fahrzeugen, die Lola kannte. Es sah aus wie ein Papagei im Sturzflug. Die obere Hälfte war gelb, die untere rot lackiert. Am hinteren Ende und an den Seiten hatte es Fortsätze, die an Flügel oder Flossen erinnerten, und von vorn schien es, als ob das Auto ein riesiges Maul aufsperrte und große runde Augen hervorquollen. Das Verdeck war zurückgeschlagen und die Sitze mit dunkelrotem Leder bespannt. Es knatterte und spotzte und hüllte einige Passanten, die herangekommen waren, um das Auto aus der Nähe zu betrachten, in eine dunkle Wolke. Kurt bemerkte Lolas Erstaunen und sagte, während er einen Kotflügel streichelte: »Das ist neben meinem Hund mein liebstes Haustier – ein ›Thunderbird‹, auf Deutsch ›Donnervogel‹. Er ist zahm, aber sehr gefräßig, stinkt und macht Krach. Am schönsten ist es, mit ihm Gassi zu fahren.«

      Beinahe hätte Lola sich anmerken lassen, dass sie den »Donnervogel« sehr aufregend fand, aber ihre Mundwinkel blieben starr, und sie schaute schnell in eine andere Richtung.

      »Ihr müsst euch wohl noch etwas beschnüffeln«, sagte Kurt und machte eine einladende Handbewegung zur Tür hin, die er ihr aufhielt. Schweigend stieg Lola ein, und schweigend verbrachte sie die Stunde Fahrt bis zum Zoo. Der Wind zerzauste ihr das Haar, und wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, mit dem alten Solmsen den Fluss hoch zu schippern. Das war wunderbar. Öffnete sie aber die Augen, sah sie ihre Mama, die heute besonders hübsch war. Ihre frisch gewaschenen Haare wehten im Wind, sie hatte die Lippen geschminkt, und ihre Bluse duftete nach etwas, das Lola das letzte Mal vor langer Zeit gerochen hatte. Sie schien sich blendend zu unterhalten. Sie lachte und erzählte, und ihre Hände waren die ganze Zeit in Bewegung, um mit großen Gesten das, wovon sie gerade sprach, zu beschreiben. Es sah tatsächlich so aus, als ob es ihr so gut ging wie schon lange nicht mehr.

      »Warum habt ihr mich eigentlich mitgenommen?«, fragte Lola, als sie aus dem Auto stiegen.

      Ihre Mama beugte sich zu ihr herunter, legte ihre Hände auf Lolas Schultern und sah ihr in die Augen. »Weil ich dich liebhabe, du Dummerchen.«

      Lola machte sich ganz steif und sah zu der Schlange an der Kasse hinüber. Kurt schob sich in ihr Blickfeld. »Der Tiger hat heute Geburtstag, und du bist eingeladen«, sagte er. »Eigentlich hat er sich eine neue Badehose gewünscht, aber ich …«

      »Ich bin fast neun, Herr Donnervogel, und ich glaube nicht mehr an den Weihnachtsmann.«

      Lola marschierte zum Zooeingang und reihte sich in die Schlange der wartenden Personen ein. Ihre Mama sah mit einem Mal gar nicht mehr so glücklich aus. Sie richtete sich auf, folgte Lola und knuffte sie in die Seite: »Nun komm schon, Lola. Wir gehen in den Zoo. Der Himmel ist blau. Es ist ein wunderbarer Tag. Lass uns ein wenig Spaß haben, ja?«

      Lola wurde wieder ganz steif. Sie sagte nichts, aber sie musste an Papa denken. Es war eben doch einer von den trüben Tagen.

      »Ich lade euch ein«, sagte Kurt. Und mit Blick auf Lola: »Auf eigene Gefahr.«

      Als die Frau an der Kasse Lola sah, sagte sie lächelnd zu ihr: »Na, meine Kleine, du kostest noch nichts.«

      »Ich bin acht Jahre alt, und auf der Tafel da oben steht, dass Kinder ab sechs Jahren fünf Euro Eintritt zahlen.«

      Die Frau an der Kasse war so überrascht, dass sie sich an Kurt wandte, der schon den Geldbeutel in der Hand hatte: »Also entschuldigen Sie, Ihre Tochter …«

      »Sie hat ja recht«, sagte er lachend, »wir wollen doch niemanden betrügen.«

      Die Frau an der Kasse räusperte sich, als ob sie einen Krümel im Hals hätte, und sagte dann: »Also achtzehn Euro bitte.«

      Kurt bezahlte, immer noch grinsend.

      Lola ging schon ein paar Meter voraus, damit man ihr nicht ansah, wie verärgert sie war, und murmelte vor sich hin.

      »Hast du das gehört, Papa? Und Mama hat gar nichts gesagt. Sie stand einfach daneben und hat geschwiegen, als ob alles in Ordnung wäre. Das geht doch nicht. Sie muss doch sagen, dass ich nicht Kurts Tochter bin. Das war doch eine Lüge. Wie kann sie nur so gemein sein … Ich werde immer zu dir halten, Papa, das verspreche ich dir. Wir werden es denen schon zeigen.«

      Schweigend liefen sie durch den Zoo. Jedes Mal wenn Frau Lachmann ihrer Tochter über das Haar streichen wollte, wie sie es sonst immer tat, wich Lola aus und ging ein paar Meter voraus oder blieb ein Weilchen stehen. Die vielen Familien um sie herum schienen heute besonders laut zu reden und zu lachen.

      Kurt war keine Verstimmung anzumerken. Hin und wieder deutete er auf die Tiere, an denen sie vorbeiliefen, und erklärte zum Beispiel, dass Koalas keine Bären, sondern Beuteltiere seien, wie die Kängurus, oder dass das Meerschweinchen Meerschweinchen heiße, weil es ursprünglich aus seinem Heimatland über das Meer nach Europa gebracht worden war und außerdem wie ein Ferkel quieke.

      Als sich ihre Blicke trafen, lachte Kurt Lola an und sagte: »Na, junge Dame, wollen wir Orang-Utans kitzeln gehen?«

      Lola schüttelte den Kopf und sah in eine andere Richtung. Sie dachte an Papa, wie er hüpfend den Affen nachgeahmt hatte. Ein paar Tage später war er verschwunden. Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung. Auch an jenem Tag war der Himmel blau gewesen. Nur aus Mamas Augen hatte es geregnet. Sie hatte eine Sonnenblume im Haar gehabt, und ihr Mund hatte Lola angelächelt. Aber aus ihren Augen hatte es den ganzen Tag geregnet. Jetzt waren schon drei Jahre vergangen, und Papa war immer noch nicht zurückgekommen. Und nun platzte dieser Kurt herein und tat so, als wäre er Papa. Was wollte der eigentlich? Warum war er so an Mama interessiert? Und was um alles in der Welt wollte er von ihr, Lola? Warum hatte er ihr ein Geschenk mitgebracht? Sie hatte doch gar nicht Geburtstag. Was wohl in dem Päckchen drin war? Neugierig war sie schon, aber sie wollte lieber nichts von Kurt annehmen, sonst müsste sie ihm womöglich etwas zurückgeben. Er sollte sich bloß nicht einbilden, dass er sie so leicht für sich gewinnen konnte. Sie musste vorsichtig sein! Und auf Mama würde sie auch aufpassen müssen. Wer weiß, womit er die rumgekriegt hatte? Sie war ja wie ausgewechselt.

      Sie standen zu dritt vor dem Käfig der Orang-Utans und beobachteten ein Affenbaby dabei, wie es mit einem alten Sack spielte und dabei auf dem Bauch eines ausgewachsenen Affen herumtollte. Kurt sagte: »Die Menschen aus Malaysia, wo die Orangs frei leben, dachten früher, dass diese rothaarigen Wesen mit dem dicken Bauch und den langen Armen Menschen seien. Darum gaben sie ihnen den Namen Orang-Utan, das heißt Waldmensch.«

      »Er redet wie ein Lehrer«, dachte Lola, sah sich die Affen aber genauer an, wie sie über den gekachelten Boden rutschten und in Autoreifen schaukelten, die an langen Seilen befestigt waren.

      »Diese hier müssten ›Käfigmenschen‹ heißen«, dachte Lola.

      »Ob Kurt wohl weiß, wie man das übersetzt?«

      Aber sie fragte nicht. Eher hätte sie sich die Zunge abgebissen.

      »Schaut mal!«, rief Kurt plötzlich. »Der Pfau da vorne auf der Wiese schlägt ein Rad.«

      Lola drehte sich rasch um, sah den Pfau und vergaß darüber alles, was ihr gerade durch den Kopf gegangen war. So etwas Schönes hatte sie noch nie gesehen. Der Pfau stolzierte genau vor ihr auf einer umzäunten Wiese herum, und sein Federrad stand wie ein leuchtendes Feuerwerk in die Höhe. Unzählige türkise Augen schillerten in der Sonne. Lola war wie verzaubert.

      »Oh, hat der schöne Federn«, sagte sie, »so eine hätte ich gerne.«

      Sofort sprang Kurt über den Zaun und näherte sich gebückt dem Pfau, der flügelschlagend zurückwich und dabei einige Federn verlor. Kurt sammelte sie auf und kehrte strahlend mit den Trophäen zurück.

      »Hier, Lola, die schenke ich dir.«

      Lola zögerte, doch dann nahm sie die drei Federn. Dabei machte ihr Herz einen Hüpfer, so wundervoll waren sie.

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