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Tassilo, obwohl es ihn kaum interessierte.

      »In zwei Monaten, sagt ihre Hebamme. Ich bin heilfroh, wenn es endlich vorbei ist. Ihre Laune ist nicht zu ertragen.« Mathes trank Wein und verzog den Mund. »Zu viel Nelke drin, oder?«

      Tassilo nickte. »Schon gut, lässt sich trotzdem trinken.«

      »Oh, da fällt mir etwas ein. Ich wollte dir noch etwas Gutes tun. Entschuldige mich bitte einen Moment.« Mathes stand auf, verschwand kurz im Haus und kam mit einer kleinen Tonpfeife zurück, die er mit getrocknetem Huflattich füllte. Dann zündete er sie an und reichte sie Tassilo. »Hier, rauch das. Das tut den Lungen gut und bekämpft mögliche Miasmen.«

      Während Tassilo inhalierte, erinnerte er sich daran, dass er die Penisse der anwesenden Herren und ihrer männlichen Nachkommen verflucht hatte, also auch den seines Freundes Fenggenmathes. Kurz meldete sich sein schlechtes Gewissen, dann beruhigte er sich mit dem Gedanken, dass er dank der Kräuterdämpfe gute Chancen hatte, gesund zu bleiben.

      »Pass auf, Tassilo: Ich sage dir als dein alter Freund, dass du den Auftrag der Ratsherren annehmen solltest! Wenn schon die Mutter Äbtissin der Klarissen mit dabei ist und offenbar auch die Herzöge, dann bleibt dir gar keine andere Wahl. Ich verstehe sowieso nicht, warum du dich so sträubst. Du kommst mal raus aus deiner Giesinger Burg …«

      »Sensation!«, rief Tassilo sarkastisch. »Ich komme bis nach Oberhaching und Schäftlarn. Welch Reise. Da bleibe ich lieber in meiner Giesinger Burg.«

      »Reisen wird allgemein überschätzt«, lachte Mathes höhnisch. »Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.« Es war etwas über zwei Jahre her, da hatte der Fenggenmuck die Nase voll von dem Unsinn, den sein Sohn trieb – Hurerei, Glücksspiele, Turniere, Saufgelage, Schlägereien. Das war zwar für einen Sohn aus reichem Hause nicht ungewöhnlich, doch Vater Fenggen drängte darauf, dass der Spross den Ernst des Lebens und vor allem Demut kennenlernen sollte, um eines Tages sein Erbe antreten zu können. Ausschlaggebend waren wilde Nächte mit dem Erbprinzen Albrecht und Tassilo nach einem Turnier in Augsburg. Tassilo konnte sich kaum noch erinnern, was damals alles geschehen war – nur, dass es wild war. Und wie!

      Kaum zurück in München befahl Vater Fenggen dem überraschten Sohn an einem kalten Februarmorgen, seine Sachen sofort zu packen und auf Reisen zu gehen. Hinaus in alle Himmelsrichtungen zu den Handelspartnern der Fenggens. Als Begleiter gab er Mathes einen gestrengen Kartäuserpater aus dem Kloster Christgarten bei Ederheim mit. Nun waren die Kartäuser bekannt dafür, dass sie Einsamkeit und Schweigen als bestmöglichen Weg zu Gott sahen. Der Fenggenmuck hatte diesen Orden mit Bedacht gewählt und genug gezahlt, damit selbst der menschenscheuste Eremit seine Kartause verließ. Mit einem wortkargen, jede Gesellschaft verachtenden, alles Weltliche hassenden Geistlichen namens Julius durch Europa zu reisen, war nicht wirklich nach Mathes Gusto. Doch man widersetzte sich den Befehlen des Vaters nicht. Als Mathes nach rund eineinhalb Jahren im November 1429 heimkehrte – übrigens ohne den Kartäuser Julius, der hatte sich nur wenige Wochen vor der Rückfahrt nach München in Turin einfach abgesetzt, warum, darüber schwieg Mathes –, schien er tatsächlich gereift. Zumindest verändert. Und dann holte der Vater zum finalen Schlag aus und setzte Mathes eine Braut vor die Nase. Rosa Pichler, die Tochter eines Salzhändlers aus Reichenhall. Nein, dem Befehl seines Vaters widersetzte man sich nicht. Mathes nahm sogar den Weg nach Reichenhall auf sich, um die Künftige vor Ort pflichtschuldig zu heiraten und nach München zu führen.

      Nicht zuletzt deshalb fand Tassilo, dass ihre Freundschaft gelitten hatte. Die unbeschwerten Zeiten der Adoleszenz waren endgültig vorbei. Gut, wer so viele Monate auf Wanderschaft geht, kehrt niemals unverändert zurück, das war Tassilo klar gewesen. Mathes schien vor allem eines bei seinem Reisebegleiter gelernt zu haben: Schweigen. Wobei er durchaus gerne und viel redete, doch er sagte wenig. Er erzählte kaum von seiner Reise oder seinen Interessen oder den Liebschaften. Tassilo hatte die äußerst zurückhaltende Mitteilsamkeit zunächst gefuchst. Schließlich hatte er damals dem Mathes alles erzählt, als Tassilo einst unsterblich und unglücklich in Prinzessin Beatrix, die Tochter von Herzog Ernst, verliebt gewesen war und wie sehr ihn die Prinzessin gedemütigt hatte. Das empörende Verhalten der Prinzessin, inzwischen durch Heirat eine Pfalzgräfin, zehrte bis heute an Tassilo und insgeheim schmiedete er immer noch verwegene Rachepläne.

      »Wie ich schon sagte«, griff Mathes das Thema wieder auf. »Ich an deiner Stelle würde es machen. Du befragst ein paar Leute, und das war es dann. Einfältige Bauern und dumme Knechte. Die werden dir alle möglichen Erlebnisse mit Dämonen und Geistern berichten. Die sehen ihren eigenen Schatten und beten vor Schreck sofort zum heiligen Korbinian. Vielleicht findest du in den Wäldern fahrende Gaukler, die sich verstecken, weil sie keine Genehmigung haben, das Land zu durchqueren. Ja, und? Was soll passieren? Niemand erwartet ernsthaft, dass du dem Leibhaftigen gegenübertrittst.« Er bekreuzigte sich nachlässig.

      »Ich hatte schon den Eindruck.«

      »Und wenn, dann hast du immer noch deinen Stoffel an deiner Seite, der für dich alles tun würde, inklusive dem Teufel in die Hölle folgen.«

      »Da hast du recht. Aber willst du mich nicht lieber begleiten, Mathes?«

      Da er eben einen Schluck getrunken hatte, prustete Mathes Wein über den Tisch. »Tut mir leid, mein Freund. Das mache ich mit Sicherheit nicht. Das wirst du alleine schaffen. Abgesehen davon wird mich mein Vater nicht weglassen. Pfffh, und mein Weib schon gleich gar nicht. Ich könnte mich ja versehentlich amüsieren … Die Knute des Vaters zu ertragen mag schicklich sein, ist manchmal aber eine schwere Prüfung für einen Sohn. Sei froh, dass du dein eigener Herr bist!«

      »Mein eigener Herr? Du kennst meine ältere Schwester!« Tassilo zog amüsiert die Augenbrauen hoch.

      »Stimmt.« Mathes lachte, beugte sich über den Tisch und flüsterte fast. »Hast du schon gehört, dass es einen interessanten Neuzugang im Haus der gemainen Töchterlein gibt?«

      »Nein.« Tassilo war ganz Ohr. Neuzugänge im Bordell waren immer interessant. Und typisch für Mathes, dass er darüber Bescheid wusste. Trotz Gattin. Vielleicht auch deswegen. Verheirateten war der Besuch im Frauenhaus streng verboten. Aber das hielt kaum einen Verheirateten vom Besuch ab. Die reichen Herren konnten sich die Strafen finanziell leisten. Der Fenggenmathes pflegte sich für die nächtlichen Abenteuer zu verkleiden. Meist als Scheffler.

      »Eine Mohrin«, wisperte Mathes und schnalzte mit der Zunge.

      »Nein!« Tassilo hatte noch nie eine Mohrin gesehen. Wie absolut aufregend und voller Exotik das Leben in der großen Stadt doch war.

      »Wenn ich es dir sage. Eine echte Mohrin aus dem Mohrenland. Ich werde ihr heute noch einen Besuch abstatten. Man muss um Termine ersuchen und diese einhalten. Erwarte also nicht, dass ich dir den ganzen Abend Gesellschaft leiste und morgen früh anwesend bin.«

      »Absolut verständlich!« Es war nicht das erste Mal, dass Mathes Tassilo in seine Fremdgehaktivitäten einweihte. Tassilo beschloss, so bald als möglich den Henker aufzusuchen, der für das Bordell zuständig war und eine Verabredung mit der Mohrin zu vereinbaren.

      »Und du bist sicher, dass du nichts essen möchtest?«, fragte Mathes.

      »Danke, der Appetit ist mir vorhin vergangen.«

      »Schade. Meine Köchin hat für uns Blancmanger vorbereitet.«

      »Blancmanger? Mandelpudding mit Huhn oder Fisch?«

      »Diesmal mit Hecht.«

      »Ach. Hecht. Nein danke. Iss ruhig.«

      »Etwas Leichteres vielleicht? Wir haben sicher noch Veilchenpaste mit Schmalz im Haus. Das hast du doch immer gerne. Oder ein Karbenada hat die Köchin auch schnell gezaubert.«

      »Karbenada klingt jetzt doch verlockend.« Tassilo schnalzte mit der Zunge. Scharf angebratener Bauchspeck, ordentlich gesalzen – »Keine Scheu, salzt ordentlich! Salz wird in diesem Haus nicht mit Gold aufgewogen«, wie Mathes stets zu scherzen pflegte –, zuletzt gewälzt in Zimt und Zucker, darüber reichlich gehackte Petersilie, dazu Brot und Wein … Der Hunger war wieder da.

      4

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