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Herr Tassilo«, plauderte Wilhelm fort. »Wir haben gehört, dass Ihr hübsche Gedichte schreibt.«

      »Zu gütig, Durchlaucht.« Tassilo verneigte sich.

      »Eine Ode an den Maikäfer, nicht wahr? Wir finden das erstaunlich, ja, etwas wunderlich. Warum verschwendet Ihr Euer Talent an so ein schädliches Insekt, das uns die Bäume kahl frisst?«

      »Hirschkäfer, Durchlaucht. Nicht Maikäfer. Meine Ode ging an den Hirschkäfer.«

      »Soso. Ist Käfer nicht Käfer?«

      »Verzeiht, wenn ich widerspreche …«, setzte Tassilo an.

      »Ja, wir sind der Ansicht, dass Käfer Käfer ist.« Herzog Ernst – grantig und zielorientiert wie immer. »Doch wir sind nicht hier, um mit Herrn Tassilo über diese Art von Schädlingen zu disputieren.« Dass er momentan arge Probleme mit seinem Sohn hatte, dem einzigen männlichen Nachkommen derer von Bayern-München, dem Erbprinzen Albrecht, war landesweit bekannt und sorgte seit zwei Jahren für Tratsch und Klatsch. Seit Albrecht diese unstandesgemäße Liebschaft zu der Augsburger Baderstochter Agnes Bernauer pflegte, konnte man regelrecht dabei zuschauen, wie sich die Sorgen- und Wutfalten tiefer in Herzog Ernsts Stirn gruben. Albrecht war im Februar 1428 über beide Ohren verliebt von einem Turnier zurückgekehrt und hatte versucht, seine Agnes als offizielle Mätresse am Hof einzuführen. Eine Baderstochter! Als gschlampertes Verhältnis – bitte sehr, das stand einem Prinzen an, aber keinesfalls als offizielle Geliebte und schon gleich gar nicht als Gattin. Tassilo fühlte sich irgendwie mit für die Verhältnisse verantwortlich. Er pflegte mit dem Erbprinzen eine Bekanntschaft, Freundschaft konnte man es nicht nennen, denn der Standesunterscheid verbot Derartiges. Tassilo begleitete Albrecht gerne zu Turnieren, als Nichtadeliger durfte er nur zuschauen. Er war damals in Augsburg dabei gewesen, hatte die Liebe in Albrechts Augen aufflammen sehen, als diese zugegebenermaßen sehr resche Agnes den Raum betreten hatte. Damals, in jener wilden Nacht voller Wein, versetzt mit Alraune, Stechapfel und Weiß-der-Teufel-welchen-anderen-Rauschmitteln sowie Weibern, die mit einem totalen Aussetzer endete, weshalb sich Tassilo nicht wirklich an Details erinnern konnte. Er war halb nackt irgendwo in einem Heuschober aufgewacht, wohin ihn sein treuer Diener Stoffel geschleppt hatte. Seit damals riet er Albrecht stets, die Bernauerin loszuwerden, um sich seinen standesgemäßen Aufgaben zu widmen. Den Widerstand seines Vaters und vor allem den seiner drei Schwestern würde Albrecht ohnehin nicht brechen können. Würde Albrecht seine Geliebte zur Gattin machen, bräuchte es einen neuen Thronfolger im Bayernland, denn Herzog Ernst hatte nur noch drei Töchter, zwei gut verheiratet, eine im Kloster. Schon sah sich der bislang als hartnäckiger Frauenverächter bekannte Wilhelm gezwungen, nötigenfalls den Bund der Ehe einzugehen, um Söhne zu zeugen und die Dynastie zu erhalten. All das hatte Herzog Ernst verhärmt.

      »Wir haben vernommen«, so Ernst weiter, »dass Ihr die Last auf Euch genommen habt, diese unschöne Geschichte mit dem Leibhaftigen aufzuklären, die unser Land aufs Ungünstigste erschüttert.« Die beiden Brüder bekreuzigten sich bei »Leibhaftigen«. Tassilo schloss sich sicherheitshalber an.

      »So würde ich das nicht formulieren, Durchlaucht«, sagte Tassilo. »Ich habe diese Last bisher nicht auf mich genommen. Denn ich glaube nicht, dass ich der Richtige bin.«

      »Das ist bedauerlich.« Herzog Wilhelm zog die linke Augenbraue hoch. »Man hört so viel Gutes über Euch, Herr Tassilo. Man sagte uns, der Rat und auch die Hochwürdige haben Euch bereits beauftragt.«

      »Ich habe den Auftrag aber bisher nicht angenommen.«

      »Ist das so?«, fragt Wilhelm. »Wir schätzen die Hochwürdige sehr. Es stünde Euch gut an, die Hochwürdige nicht zu enttäuschen.«

      »Ich schätze die Hochwürdige ebenfalls sehr.« Tassilo wurde zunehmend unwohl. »Doch dieser Auftrag …«

      »Dann beauftragen wir Euch«, unterbrach Ernst, kein weiteres Widerwort duldend. »Es ist unser Wunsch.«

      »Natürlich, Durchlaucht.« Tassilo innerlich kochend, verbeugte sich. Er saß in der Falle. So schnell konnte es dann doch gehen. »Wenn es Euer Wunsch ist.«

      »Man berichtete uns«, so Ernst weiter, »dass sich vor dem Isartor bereits wieder die Tanzwütigen sammeln.«

      »Das ist mir neu, Durchlaucht.« Tassilo erinnerte sich dann an die eine Bäuerin vom Vortag, die begonnen hatte zu tanzen. Die Tanzwut grassierte in regelmäßigen Abständen unter dem Volk, vor allem, wenn die Zeiten so schlecht waren, dass man den Herrgott besänftigen musste, indem man sich ihm opferte. Mitunter fanden sich Hunderte zusammen, die bis zur völligen Erschöpfung oder gar bis zum Tod tagelang tanzten. Nicht selten gesellten sich Selbstgeißler dazu.

      »Wir dulden keine Tanzwut vor der Stadt«, fuhr Ernst fort. »Schon gar nicht am Isartor, wo es zum Floßhafen geht. Münchens Hafen ist eine unserer Lebensadern, nicht wahr? Wir haben den Platz räumen lassen.«

      »Sehr weise, Durchlaucht.«

      »Wegen all dieser Umstände erwarten wir, dass Ihr unseren Wunsch ernst nehmt.«

      »Selbstverständlich.« Tassilo verneigte sich verärgert. Es gab kein Entkommen.

      »Nun, nun, Herr Tassilo.« Wilhelm III. legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. »Wir wollen Euch doch zu nichts zwingen. Am Ende werdet Ihr dann nicht aufmerksam genug arbeiten. Und jeder Fehler wäre angesichts des Leibhaftigen fatal.« Bekreuzigung. »Wir dachten uns, dass wir Euch vielleicht einen kleinen Anreiz geben, damit Euch diese Aufgabe leichter fällt. Ihr besitzt doch die ehemalige Burg Untergiesing?«

      »Ja, Durchlaucht. Mein Vater hatte einst das Vergnügen, bei Euch die Burg eintauschen zu dürfen.« Was man so hochtrabend als »Burg« bezeichnete, konnte man im klassischen Sinn nicht wirklich so nennen. Es handelte sich eher um einen befestigten Gutshof oben am Hochufer der Isar. Er diente einst tatsächlich als Sitz derer von Giesing, bis diese sich partout nicht mehr fortpflanzen wollten und ausstarben. Als dann 1402 die Münchner wieder einmal gegen die Herzöge rebellierten – gut, dass Ernst und Wilhelm da schon die praktische Neuveste zur Zuflucht hatten –, holten sich die Bürger Herzog Ludwig den Gebarteten von Bayern-Ingolstadt als Unterstützung. Ludwig der Gebartete kaufte flugs ein paar Burgen rings um die Stadt, so die in Untergiesing, um von dort aus seine Vettern mit Krieg zu überziehen. Doch Ernst und Wilhelm siegten über den gebarteten Ingolstädter, und die Münchner mussten wieder einmal Buße tun. Da sich die Stubenrußens nach alter Familientradition politisch geschickt indifferent verhalten hatten, genossen sie weiterhin sowohl das Vertrauen der Herzogsbrüder als auch der Städter. Tassilos Vater tauschte schließlich lehmreiche Ländereien im Dorf Berg am Laim gegen das Anwesen in Untergiesing. So bekamen die Herzöge ihre eigenen Ziegelgründe und die Stubenruß einen schmucken, »Burg« genannten Landsitz.

      »Wenn man eine Burg hat, dann wäre es doch schön, ein richtiger Burgherr zu sein, oder?« Wilhelm lächelte vielsagend, was den Blick auf sein recht ruiniertes Gebiss freigab.

      »Sicher doch, Durchlaucht.«

      »Machen wir es kurz«, ergriff Ernst wieder das Wort. »Wir bieten Euch an, Untergiesing wieder zum Edelsitz zu erheben. Ihr würdet den zugehörigen Ort als Hofmark bekommen mit entsprechenden Rechten und Pflichten.«

      Tassilo bemühte sich, die Aufregung nicht nach außen treten zu lassen. Sein Hirn brauste, die Ohren glühten, das Herz pulsierte frenetisch, und die Knie zitterten. Ein Edelsitz! Eine Hofmark! Richtige Untertanen! Er würde in den Landadel aufsteigen. Er würde ein Edler, vielleicht sogar Ritter oder Freiherr werden. Erblicher Adel. Das wäre der gesellschaftliche Aufstieg. Er würde ein adeliges Fräulein ehelichen können. Eine Hofmark! Untergiesing war im Gegensatz zum benachbarten großen Bauerndorf Obergiesing zwar nur ein winziger Flecken mit ein paar Gütln, Leerhäusln und Sölden, aber dennoch. Tassilo von Stubenruß oder lieber Tassilo von Giesing? Jessasmariaundjosef, er hörte förmlich die Gurkenhemma durchdrehen.

      »Ihr seid zu gütig, Durchlauchten«, stammelte er.

      »Nimmt Euch das den Zweifel?« Ernst zog den linken Mundwinkel schräg. Es sollte wohl ein Lächeln darstellen. »Scheut Ihr nun noch die Begegnung mit dem Leibhaftigen?« Bekreuzigung.

      »Sofern

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