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Mitarbeiter in den 1950er-Jahren, dieses Vermächtnis in eine Methode zu verwandeln, die sich auf das Individuum und auf Gruppen, ja, auch auf das alltägliche Leben anwenden ließ. Wie Spagnuolo Lobb hier richtig darlegt, taten sie dies notwendigerweise im Kontext ihrer Zeit und ihrer persönlichen Geschichten. In dieser Nachkriegsära, als sich die Gesellschaft noch immer an der »Hochwassermarke« des Massenfaschismus des 20. Jahrhunderts befand, leuchtet es ein, dass ein Individualismus nach Sartre und ein »autonomes Wertkriterium« als vertrauenswürdigste Basis für die Wiederherstellung der Gesundheit, der Kreativität und der freien Bewegung des menschlichen Geistes galten (obwohl dieser Ansatz einigen der Feld/Beziehungs-Implikationen des Gestaltvermächtnisses widersprach). Heute, im Zeitalter des weicheren Faschismus der Konsumgesellschaft, von Massenmedien und tiefgreifender Isolation, ist unsere Situation und sind unsere Bedürfnisse anders gewichtet. Unsere Methode muss sich kreativ entwickeln, um ihren Wurzeln und ihrer Identität sowie ihrem theoretischen und praktischen Potenzial gerecht zu werden.

      Diese Art der kontextuellen Perspektive bildet die Basis der hermeneutischen Forschung, die Spagnuolo Lobb seit Langem auf unserem Gebiet erfolgreich durchgeführt hat: der Anspruch, dass wir jede Aussage unserer Kernprinzipien und jeden identitätsstiftenden Text »von innen heraus« verstehen, im Hinblick auf die perspektivischen Werte und Entscheidungspunkte, die Aussage oder Text im Kontext ihrer eigenen Situation voranbringen – so wie wir, die wir von unserer eigenen aktuellen Situation geprägt sind, diese Werte und Entscheidungen interpretieren. Damit gelangen wir in den offenen »hermeneutischen Kreis« endlos rekursiver kreativer Interpretationen. Weil ein Dialog von Interpretationen, welche auch reflexive Interpretationen unserer eigenen Perspektive im Hier und Jetzt enthalten, die wirkliche Essenz und Natur unseres menschlichen Kontaktprozesses ist. Wir schaffen Bedeutungen, ko-kreativ, und gehen weiter; und wir wissen, dass diese Bedeutungen niemals fertig, nie endgültig sind.

      Aber was ist diese Identität? Was sind diese »Kernprinzipien«, an denen wir uns orientieren sollen, wenn wir in diesem hermeneutischen Prozess handeln und leben, im Dialog mit (unserer Interpretation) der grundlegenden Identität unseres Vermächtnisses, in einer dialektischen Auseinandersetzung mit (unserer Interpretation des) dem Kontext der ursprünglichen Darstellungen dieser grundlegenden Prinzipien und (wiederum unserer Interpretation) unserer Situation heute? Dieser Prozess kann sich dann wie ein belebendes Abenteuer in einer immer neuen Welt anfühlen – oder eher wie eine verstörende Reihe von Zerrspiegeln, wie Schattenboxen, ohne dass man sicheren Boden unter den Füßen hat. Der Unterschied zwischen diesen beiden Reaktionen auf die Herausforderung der hermeneutischen Perspektive liegt, aus gestalttherapeutischer Sicht, in der Qualität und der Quantität der Unterstützung, die angesichts dieser Herausforderung und aus dem Feld heraus angeboten und genutzt wird. Von fundamentalster Bedeutung für diese Unterstützung ist selbstverständlich die Qualität von Anwesenheit und Kontakt, die von Kliniker/Moderator/ therapeutischem Praktiker im Prozess der Intervention angeboten werden.

      Spagnuolo Lobbs Ansatz in diesem Text bietet uns die Unterstützung einer äußerst nützlichen und kreativ aktualisierten Übersicht der Kern-Topoi oder thematischen Hauptanziehungspunkte unseres theoretischen Erbes, wie sie im Text von 1951 dargelegt wird. In ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema hat sie jede der Schlüsselthematiken des ursprünglichen Textes nahtlos mit der wachsenden Bedeutung des Beziehungsaspekts verbunden, der die darauf folgenden 60 Jahre der Gestalttherapie kennzeichnet (eine Entwicklung, bei der Spagnuolo Lobb selbst eine wichtige Rolle gespielt hat). Das Ergebnis ist höchst stimmig und unmittelbar anwendbar, sei es im klassischen Setting einer Eins-zu-eins-Therapie, in einem dyadischen oder einem Gruppensetting. Den hier entwickelten Themenkatalog nicht nur auf diese Konstellationen, sondern auch auf größere soziale Formate anzuwenden, mag noch ein größerer Schritt sein, so wie es auch ein großer Schritt war, Goodmans und Perls (oder auch Freuds) ursprüngliche Darlegungen dieser Themen auf größere Gruppen und andere Settings anzuwenden.

      Eine andere Herangehensweise an diese Frage könnte ein Schritt zurück zur ursprünglichen Untersuchung der Entstehungsprozesse der Erfahrungsbildung selbst sein, wie sie die ersten vier Jahrzehnte der Gestaltforschung und -praxis bis hin zu Goodmans und Perls Arbeit geprägt hat und wie sie auf nützliche Weise in Lewins anwendungsbezogener Forschungsperspektive zusammengefasst ist, auf die ich oben Bezug genommen habe. In der heutigen internationalen Gestaltlandschaft ist die individuelle Therapie nur ein kleiner Teil der vielfältigen Anwendungen der zeitgenössischen Gestalttheorien und -methoden. Diese Anwendungen reichen von psychologischer Beratung, Gruppenarbeit, Paar- und Familientherapie, Lebensberatung und Coaching für Führungskräfte, organisatorischem Consulting, Management, Angeboten für intensive Gruppentherapie, im Bildungsbereich bis hin zu politischer Arbeit und Organisation auf unterschiedlichen Ebenen. Neben Spagnuolo Lobbs lebendiger neuer Darlegung brauchen wir weitere Sichtweisen auf diesen reichhaltigen hermeneutischen Dialog, um all die fruchtbaren Anwendungen unseres Gestalterbes aufzunehmen.

      Gianni Francesetti, Michela Gecele und Jan Roubal

      1. Das Leiden der Beziehung an der Kontaktgrenze

      In der Gestalttherapie geht man von einem Kontinuum von gesundem und sogenanntem pathologischen Erleben aus, in dem es keine klaren Abgrenzungen gibt. Diese Überzeugung ist der Grund dafür, weshalb alle Versuche der diagnostischen Kategorisierung und Nosologie immer mit Vorsicht behandelt wurden (Perls / Hefferline / Goodman 20061). Der Wert, der dem momentanen Erleben und dem Potenzial jeder Situation zugemessen wird, untermauert die Legitimität und den Wert aller gelebten Erfahrungen. Es ist genau dieser Wert, der verhindert, dass Menschen und ihre Erfahrungen zu fixierten Gestalten werden.

      Dies sind die ersten Erwägungen, die auftauchen, wenn wir über die Frage »Wie können wir Psychopathologie mithilfe der Gestalttherapie behandeln?« nachdenken. Und wie können wir das bewerkstelligen, ohne auf Kategorien zurückzugreifen, die Erfahrungen und PatientInnen in starre Formen pressen?

      Etymologisch betrachtet setzt sich das Wort »Psychopathologie« aus drei Wortstämmen zusammen: »psycho-«, »patho-« und »-logos«.

      Psyche bedeutet im Griechischen Seele und stammt von psychein ab, was »atmen« bedeutet. Patho, vom Griechischen pathos, bedeutet Leidenschaft oder Leiden und kommt von paschein (indoeurop.), »erleiden«. Logos ist das griechische Wort für »Diskurs« (Cortelazzo / Zolli 1983). Psychopathologie ist also die Lehre vom Leiden des Atems, von etwas Flüchtigem, das nicht in einer festen Objektform fassen lässt.

      Es ist das Leiden des belebenden Atems, das Leiden des belebten lebendigen2 Leibes, nicht das des Körpers.3 Alle Lebewesen sind lebendig, eben weil sie intentionalen Kontakt mit ihrer Umwelt haben (Minkowski 1999). Psychopathologische Phänomene betreffen Subjekte, wenn sie mit ihrer Umwelt interagieren, genauer gesagt: die Interaktion von Subjekten mit der Umwelt. An diesem Punkt kommen wir zu einer grundlegenden Entscheidung: Wir können die Psychopathologie entweder als Leiden des Individuums oder als Leiden des Feldes ansehen. Dieses Leiden manifestiert sich im Individuum und kann vom Individuum transformiert werden: Das Individuum ist ein Organ, das eine Auswahl im Feld trifft (Philippson 2009). Je nachdem, für welche Betrachtungsweise man sich entscheidet, öffnen sich zwei sehr unterschiedliche Universen und zwei grundlegend unterschiedliche Auffassungen von psychischem Leiden.

      Diese beiden Standpunkte bezüglich der Realität psychischen Leidens sind vergleichbar mit den beiden Standpunkten, mit deren Hilfe man das Licht in der Physik verstehen kann: Ist es eine Welle oder ein Partikel? Wir gestalten unsere Realität durch unsere Betrachtung der Welt. Bei psychopathologischen Phänomenen ist es ähnlich. Man kann die Psychopathologie als ein Phänomen betrachten, das zum Individuum gehört. Man kann sie aber auch als ein Phänomen auffassen, das aus dem Feld hervorgeht und zum Zwischen gehört, um Buber zu zitieren (Buber 1993; Salonia 2001a; Spagnuolo Lobb 2001a, 2005a; Francesetti 2008). In der Sprache der Gestalttherapie ist es ein Phänomen, das an der Kontaktgrenze4 passiert (vgl. Eidenschink / Eidenschink 1999; Siegel 2007; Luif 1992)..

      Unsere Epistemologie basiert auf der Annahme, dass das Erleben weder allein zum Organismus noch allein zur Umwelt gehört (Perls / Hefferline / Goodman 2006; Spagnuolo Lobb 2001b, 86; 2003b, 2005a).

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