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wie es Bildungsstandards und Lehrpläne aufnehmen. Dabei ergeben sich insbesondere Referenzpunkte zu Konstrukten aus den Conceptual-Change-Forschungen und Anlehnungen an sozio-konstruktivistische Ansätze und Konzeptionen des situierten Lernens (Vygotsky, 1978; Möller, 2016 und 2019; Reusser, 2014).

      Lernen in diesem Verständnis bedeutet, Vorstellungen, Konzepte (Wissen, Verstehen) ausgehend und mit Bezug zum bisherigen Wissen und Können zu verändern, weiterzuentwickeln, sich neue Erfahrungen bewusst zu machen und Erfahrungswissen auf neue Situationen zu übertragen. Dabei werden Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen (Können, Handeln) aufgebaut, erweitert, vertieft und angewendet und die Lernenden können sich selbst zunehmend besser organisieren und ihre Ressourcen und Erfahrungen nutzen. Lernen erfolgt aktiv entdeckend und erschliessend, individuell-konstruktiv, im Dialog und Austausch mit anderen und reflexiv in situierten Kontexten. Lernprozesse sind auf Lerngegenstände (Phänomene, Sachen, Situationen, Prozesse) und auf entsprechende Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen ausgerichtet (zum Beispiel wahrnehmen, forschen, erkunden, recherchieren, ordnen, strukturieren, einschätzen, argumentieren, entwickeln, gestalten).

      Für die Konzeption und das Arrangement von Lerngelegenheiten wird eine optimale Passung zwischen dem Vorwissen und Können der Lernenden (Lernpotenzial, Ressourcen) und den in einer Unterrichtseinheit anvisierten Kompetenzerwartungen und -ansprüchen angestrebt. Dies erfordert eine doppelte Ausrichtung bei der Planung des Unterrichts: einerseits ausgerichtet am Lernstand der Schülerinnen und Schüler und andererseits an den Lehrplänen. Lernen erfolgt in der Zone der nächsten Entwicklung (Vygotsky, 1978), die zwischen dem Level der aktuellen (Vorverständnis) und dem Level der potenziellen Entwicklung (anvisierte nächste «Kompetenzstufe») liegt und anspruchsvolle, aber nicht überfordernde Lerngelegenheiten und -aufgaben sowie die Unterstützung durch die Lehrpersonen oder Peers erfordert.

      Durch die Orientierung an den Kompetenzmodellen, -bereichen und -erwartungen (Lernende können …) in den Lehrplänen und an einem moderat kognitiv-konstruierenden und sozial-konstruktivistischen Lehr- und Lernverständnis erfolgt kein eigentlicher Paradigmenwechsel für den Unterricht, wie dies verschiedentlich postuliert oder suggeriert wird. Es ergeben sich aber – je nach Stand des bisherigen Verständnisses – kleinere oder grössere Veränderungen und Wechsel bezüglich der Perspektive auf das Lernen, auf die Anlage und das Arrangement von Unterricht und auf die Rolle der Lehrpersonen.

      Kompetenzorientierter Fachunterricht orientiert sich demnach insbesondere an folgenden Merkmalen (Reusser, 2014):

      — Lerngegenstand – Lernen erfolgt stets in einer aktiven Auseinandersetzung mit fachspezifischen Lerngegenständen. Lernende lassen sich dann auf die Auseinandersetzung mit Sachen, Situationen, Prozessen und anderem ein, wenn sie einen sinnstiftenden Bezug und entsprechende Bedeutsamkeit herleiten können, wenn es sie interessiert, wenn das neu zu Lernende für sie (in der Gegenwart und Zukunft) fruchtbar und nützlich erscheint und wenn die damit verbundenen Entwicklungen und Veränderungen einsichtig sind und als machbar erscheinen.

      — Fokus Lernprozesse und Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler – Der Blick im Unterricht richtet sich (noch stärker) darauf, wie Lernen erfolgt, wie Strategien aufgebaut und angewendet werden, wie die Entwicklung von Wissen und Können möglichst gut verlaufen kann, wie Lernen sichtbar und einsehbar wird und wie Rückmeldungen zum Lernen und zu Lernergebnissen möglich werden.

      — Kumulatives (aufbauendes und verknüpftes) Lernen – Es wird beim Kompetenzaufbau (noch stärker) Bezug genommen zum bisherigen Wissen und Können, zu den Erfahrungen und Ressourcen der Lernenden. Immer wird Einblick genommen, wie einzelne Schritte beim Kompetenzaufbau in Verbindung zueinander stehen (aufbauend, vertikal kumulativ, zum Beispiel durch Zusammenfassen und Einordnen, durch einsichtiges Herleiten und Bezugnehmen). Verknüpfungen zu Kompetenzen aus anderen Bereichen und deren Übertragbarkeit und Anwendung werden gezielt angelegt und bewusst gemacht (horizontal kumulativ). Ein wesentliches Merkmal des kompetenzorientierten Unterrichts ergibt sich zudem aus der Verknüpfung fachbezogener und überfachlicher Kompetenzen. So spielen zum Beispiel bei Lerngelegenheiten in einem fachlichen Kontext, bei denen die Lernenden aktiv-entdeckend und im Austausch miteinander Sachen und Situationen erschliessen, immer auch Kompetenzen der Selbstständigkeit, -organisation und -reflexion sowie der Dialog- und Kooperationsfähigkeit oder der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit und des Umgangs mit Lernmedien eine bedeutende Rolle.

      — Individuell-konstruktives, zunehmend eigenständiges und ko-konstruktives, dialogisches Lernen – Lernen wird verstanden als Aufbau, Entwicklung, Veränderung, Erweiterung von Vorstellungen, Konzepten, Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen, Erfahrungen und Interessen in einem individuell-konstruktiven und dialogischen Prozess. Verstehendes, handlungsintensives und anwendungsorientiertes Lernen steht dabei im Fokus.

      Erkenntnissen aus der Unterrichtsforschung zufolge kommt es beim Lernen deutlich weniger auf die Sichtstrukturen des Unterrichts (zum Beispiel Sozialformen, methodischer Zugang wie Frontalunterricht, Stationenlernen und Weiteres) an als vielmehr auf die Tiefenstrukturen, wie zum Beispiel kognitive Aktivierung, inhaltliche Strukturierung, Lernunterstützung und personalisierte Rückmeldungen (Hattie, 2013; Reusser, 2014). Bei den Tiefenstrukturen geht es in erster Linie um die Prozessqualitäten beim Lernen und wie die Lehrpersonen in Bezug auf fach- beziehungsweise gegenstandsbezogene Lernwege und -prozesse bei der Planung und Vorbereitung von Unterricht und im Unterricht handeln: wie Lehrpersonen Lernprozesse initiieren und arrangieren, wie sie zum Lernen und zur Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen anleiten, Lernaufgaben und Aufträge einführen und wie sie die Schülerinnen und Schüler beim Lernen unterstützen und begleiten, wie sie Rückmeldungen zu Lernprozessen und -ergebnissen geben und wie sie das weitere Lernen diagnostizieren und vorausschauend planen.

      Ergebnisse aus Untersuchungen in der Lehr-/Lernforschung und der fachdidaktischen Forschung weisen auf folgende wirkungsmächtige Faktoren für das Lernen in einem kompetenzorientierten, fachbezogenen Unterricht hin:

      a) Kognitive und soziale Aktivierung der Lernenden, zum Beispiel durch das Anschliessen an die Vorstellungen der Lernenden, durch herausfordernde Lernaufgaben, das Auslösen von Fragen und kognitiven Konflikten (zum Beispiel mit Bezug zu eigenen Vorstellungen und Überzeugungen), durch das Anregen zum Austausch zwischen Lernenden

      b) Klarheit und Strukturiertheit betreffend Lerngegenstand, Lernwege und Lernprozesse, zum Beispiel durch eine aktive Rolle der Lehrperson: Klarheit, worum es in diesem Unterricht geht; Anleitung, Modellierung, Sequenzierung von Lernprozessen; Veranschaulichung von Lerngegenständen; inhaltliche Strukturierung, sprachliche Klarheit, Hilfen zur Klärung von Sachverhalten, Strategien und anderem, Einordnung, Zusammenfassung und anderes

      c) Lernförderliches Unterrichtsklima, zum Beispiel durch eine positive, wertschätzende, respektvolle, förderorientierte Lehrpersonen-Lernenden-Beziehung und Gesprächskultur, durch Fehlertoleranz sowie durch Interesse, Begeisterung und Engagement der Lehrperson – und letztlich auch der Lernenden – für die Sache, die Lerngegenstände und das Lernen

      d) Begutachten und Rückmelden, zum Beispiel durch das Beobachten und Einblick-Nehmen in Lernprozesse und -ergebnisse verbunden mit entsprechenden Rückmeldungen zur Kompetenzentwicklung und zum Lernen, durch Austausch von Erkenntnissen und Ergebnissen, den Vergleich verschiedener Lernwege, durch das gemeinsame Nachdenken über Sachen, Situationen und das Lernen sowie durch das Vorausschauen und Besprechen nächster Lernschritte

      Diese Aspekte entsprechen insgesamt den Merkmalen eines adaptiv-konstruktiven Lehrverständnisses (Hattie, 2013; Möller, 2016; Reusser, 2014; Reusser & Pauli, 2010).

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      Abbildung 1: Kompetenzorientierter Fachunterricht – das fachdidaktische Dreieck (in Anlehnung an Reusser & Pauli, 2010)

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