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      M.I. (9 Jahre, 9 Monate): »Sie malen den Tod immer mit einem Skelett und einem schwarzen Umhang. In Wirklichkeit kann man ihn nicht sehen. In Wirklichkeit ist er nur eine Art Geist. Er kommt und nimmt die Leute mit. Er kümmert sich nicht drum, ob es ein Bettler ist oder ein König. Wenn er will, lässt er sie sterben.«57

      Obwohl diese Feststellungen erschreckend zu sein scheinen, ist der Prozess der Todespersonifizierung ein Mittel, um die Angst zu mildern. Die Vision eines schleichenden Skeletts, das nachts aus der Friedhofserde auftaucht, gibt, so grimmig das auch sein mag, im Gegensatz zur Wahrheit eine Sicherheit. Solange das Kind glaubt, dass der Tod durch eine äußere Kraft oder Gestalt gebracht wird, ist es sicher vor der wirklich schrecklichen Wahrheit, dass der Tod nicht äußerlich ist – dass man von Lebensbeginn an die Sporen seines eigenen Todes in sich trägt. Wenn der Tod außerdem ein empfindungsfähiges Wesen ist, wenn – wie das Kind im letzten Beispiel sagte – die Situation so ist: »wenn er will, lässt er sie sterben«, dann kann der Tod vielleicht dahingehend beeinflusst werden, dass er nicht will. Vielleicht kann der Tod als Knopfmacher, Ibsens Todesmetapher in Peer Gynt, hinausgezögert, besänftigt oder – wer weiß? – sogar ausgetrickst oder vernichtet werden. Indem das Kind den Tod personifiziert, durchläuft es die kulturelle Evolution: Jede primitive Kultur anthropomorphisiert die blinden Kräfte der Natur in dem Bemühen, größere Kontrolle über ihr eigenes Schicksal erfahren zu können.

      Koochers Studie (1974) über die Todeseinstellungen amerikanischer Kinder58 erhärtet nicht die Ergebnisse von Nagy (mit ungarischen Kindern) über die Personifizierung des Todes. Vielleicht gibt es bedeutsame kulturelle Unterschiede, aber der Unterschied in der Methodologie der zwei Studien macht einen Vergleich schwierig: In der amerikanischen Untersuchung war das Interview stark strukturiert mit wenig Nachfragen oder Versuchspersonen-Interviewer-Interaktion, während das Interview im ungarischen Projekt weit offener, intensiver und persönlicher war.

      Die anthropomorphisierte Furcht vor dem Tod begleitet uns unser ganzes Leben hindurch. Der Mensch ist selten, der nicht auf irgendeiner Bewusstheitsebene weiterhin Angst hat vor Dunkelheit, Dämonen, Geistern oder irgendwelchen Repräsentationen des Übernatürlichen. Sogar ein maßvoller, gut gemachter Film über Übernatürliches oder Geister spricht, wie die Filmemacher sehr wohl wissen, tiefe Saiten bei den Zuschauern an.

      Verleugnung: Verspotten des Todes. Das ältere Kind versucht die Todesfurcht zu besänftigen, indem es sich seiner Lebendigkeit versichert. Neun- und Zehnjährige spotten oft über den Tod. Sie machen höhnische Bemerkungen über ihren alten Feind. Eine Sprachstudie von Schulkindern enthüllte viele Todesspötteleien, die ihnen urkomisch erschienen; zum Beispiel:

      You gonna be burned or buried.

      (Du wirst verbrannt oder begraben werden.)

      It’s not the cough that carries you off, it’s the coffin they carry you off in.

      (Es ist nicht der Husten, der dich umbringt, sondern es ist der Sarg, in dem sie dich wegbringen.)

      Now I lay me down to sleep,

      A bag of bananas at my feet.

      If I should die before I wake,

      You’ll know it was the tummy ache.

      (Nun lege ich mich schlafen,

      Ein Sack Bananen zu meinen Füßen.

      Wenn ich sterben sollte, bevor ich aufwache,

      Wirst du wissen, dass es das Bauchweh war.)

      The worms crawl in,

      The worms crawl out,

      You’II hardly know what it’s all about.59 (Die Würmer kriechen rein,

      Die Würmer kriechen raus,

      Du weißt kaum, warum all das geschieht.)

      Viele Kinder, besonders Jungen, lassen sich auf rücksichtslose, tollkühne Kunststücke ein. (Möglicherweise reflektiert einiges des delinquenten Verhaltens von Erwachsenen das Fortbestehen dieser Abwehr gegen die Todesangst.) Junge Mädchen tun das weniger häufig, entweder wegen der Anforderungen an ihre soziale Rolle oder weil, wie Maurer vorschlägt,60 sie von der Todesfurcht aufgrund ihres Wissens um ihre biologische Rolle als Mütter, und das heißt, als Schöpfer, weniger bedrängt sind.

      Verleugnung der Todesbewusstheit in der Literatur über Kinderpsychiatrie. Trotz der zwingenden und überzeugenden Argumente und der sie unterstützenden Beweise, dass Kinder den Tod in einem sehr frühen Alter entdecken und durchgängig damit beschäftigt sind, sucht man vergebens nach einer ausgewogenen Berücksichtigung der Todesfurcht in der psychodynamischen Formulierung der Persönlichkeitsentwicklung oder in der Psychopathologie. Warum gibt es eine Diskrepanz zwischen klinischer Beobachtung und dynamischer Theorie? Dazu ist, glaube ich, ein »Wie« und ein »Warum« zu erwägen.

      Wie? Ich glaube, dass der Tod aus der psychodynamischen Theorie durch einen simplen Mechanismus ausgeschlossen wird: Der Tod wird übersetzt in »Trennung«, und diese nimmt die Rolle des Todes in der dynamischen Theorie ein. John Bowlby präsentiert in seiner imposanten Arbeit über Trennung61 überzeugende ätiologische, experimentelle und empirische Beweise, die zu umfangreich sind, als dass sie hier genauer erörtert werden könnten; sie weisen darauf hin, dass die Trennung von der Mutter ein katastrophales Ereignis für das Kleinkind ist und dass die Trennungsangst während der Zeit vom sechsten bis zum dreizehnten Monat deutlich erkennbar ist. Bowlby schließt daraus – und diese Schlussfolgerung wird durch die Kliniker weithin akzeptiert –, dass die Trennung die ursprüngliche Erfahrung bei der Entstehung von Angst ist: Trennungsangst ist die grundlegende Angst; und andere Quellen der Angst, einschließlich der Todesangst, erhalten ihre emotionale Bedeutung durch die Gleichgewichtung mit der Trennungsangst. Mit anderen Worten, der Tod ist bedrohlich, weil er die Trennungsangst wieder hervorruft.

      Bowlbys Arbeit enthält zum überwiegenden Teil elegante Argumentationen. Jedoch bei der Betrachtung der Todesangst scheint seine Vorstellungskraft seltsam eingeschränkt zu sein. Beispielsweise zitiert er Jersilds Untersuchung, in welcher vierhundert Kinder nach ihren Ängsten gefragt wurden.62 Jersild fand heraus, dass spezifische Ängste vor dem Krankwerden oder dem Sterben auffällig selten waren: Sie wurden durch keines der zweihundert Kinder unter neun Jahren und nur von sechs der zweihundert Kinder von neun bis zwölf Jahren erwähnt. Bowlby schließt aus diesen Daten, dass die Todesfurcht bei Kindern unter zehn Jahren nicht vorhanden ist, dass sie eine spätere und gelernte Angst ist und dass sie wichtig ist, weil sie mit Trennung gleichgesetzt wird.63 Jersilds Untersuchung zeigt, dass das, wovor die Kinder Angst haben, Tiere, Dunkelheit, Höhen sind oder in der Dunkelheit durch solche Geschöpfe wie Geister oder Kindesentführer angegriffen zu werden. Nicht gestellt wird jedoch die offensichtliche Frage: Was ist die Bedeutung für Kinder von Dunkelheit oder Geistern oder wilden Tieren oder in der Dunkelheit angegriffen zu werden? Mit anderen Worten, was ist die darunterliegende Bedeutung, die geistige Repräsentation dieser Ängste?

      Rollo May argumentiert in seinem brillanten Buch über die Angst, dass Jersilds Studie lediglich zeigt, dass Angst in Furcht verwandelt wird.64 Die Furcht eines Kindes ist oft unvorhersagbar, verändert sich und hat keinen Bezug zur Realität (das Kind hat zum Beispiel mehr Furcht vor entfernten Tieren wie Gorillas und Löwen als vor vertrauten). Was auf einer oberflächlichen Ebene unvorhersagbar erscheint, so argumentiert May, ist auf einer tieferen Ebene ganz schlüssig: Die Ängste eines Kindes sind »objektivierte Formen von darunterliegender Angst«. May teilt mit, dass »Jersild mir gegenüber in einem persönlichen Gespräch bemerkt hat, dass diese (der Kinder) Ängste wirklich Angst ausdrückten. Er war überrascht, dass er das zuvor nie gesehen hatte. Ich glaube, die Tatsache, dass er das nicht sah, zeigt, wie schwer es ist, aus unseren traditionellen Denkgewohnheiten herauszukommen.«65

       Die Verhaltensforschung hat viele Situationen dargestellt, die bei Menschenkindern Furcht auslösen. Die gleiche Frage kann in Bezug auf diese experimentellen Daten gestellt werden. Warum fürchtet sich das Kind vor Fremden oder einer »visuellen Klippe« (einem Glastisch mit etwas, das wie

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