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dieser wiederfanden), wurde die notwendige Korrektur vorgenommen.

      Warum schloss Freud den Tod aus der psychodynamischen Theorie aus? Warum betrachtete er die Todesfurcht nicht als ursprüngliche Quelle der Angst? Offensichtlich ist dieser Ausschluss nicht ein bloßes Übersehen: Die Todesfurcht ist weder ein tiefgründiges noch ein schwer fassbares Konzept; und Freud konnte diese Fragen kaum übersehen (und absichtlich verworfen) haben. Er ist sich ja 1923 klar darüber: »Der volltönende Satz: jede Angst sei eigentlich Todesangst, schließt kaum einen Sinn ein, ist jedenfalls nicht zu rechtfertigen.«103 Seine Argumentation geht in die gleiche Richtung wie zuvor: Dass es wirklich nicht möglich ist, den Tod zu begreifen – ein Teil des Ich bleibt immer ein lebender Zuschauer. Noch einmal gelangt Freud zu der unbefriedigenden Schlussfolgerung, dass »die Todesangst wie die Gewissensangst als Verarbeitung der Kastrationsangst aufgefasst werden [kann].«104

      Bemerkenswert ist auch, dass Freuds Unaufmerksamkeit für den Tod auf die Diskussionen der formalen Angsttheorie, der Theorie der Verdrängung und des Unbewussten begrenzt ist: kurz, auf die inneren Mechanismen – die Zahnräder, Lager und Energiezellen – des geistigen Mechanismus.

      Im Alter von vierundsechzig Jahren gibt Freud dem Tod in Jenseits des Lustprinzips in seinem Modell des Geistes Raum; aber sogar in dieser Formulierung spricht er nicht von einer ursprünglichen Todesfurcht, sondern stattdessen von einem Willen zum Sterben – Thanatos wurde als einer der zwei ursprünglichen Triebe konzipiert.105

      Wann immer er es sich gestattete, die Zügel locker zu lassen, spekulierte er kühn und kraftvoll über den Tod. Zum Beispiel diskutierte er in einem kurzen eindringlichen Essay, den er am Ende des Ersten Weltkriegs unter dem Titel »Zeitgemäßes über Krieg und Tod« schrieb, die Verleugnung des Todes und den Versuch des Menschen, den Tod durch die Schöpfung von Unsterblichkeitsmythen zu vernichten. Zuvor habe ich einige seiner Kommentare darüber angeführt, wie die Vergänglichkeit des Lebens dessen Würze und Reichtum erhöht. Er berücksichtigte dabei die Rolle, die der Tod in der Gestaltung des Lebens spielt:

      Wäre es nicht besser, dem Tode den Platz in der Wirklichkeit und in unseren Gedanken einzuräumen, der ihm gebührt, und unsere unbewusste Einstellung zum Tode, die wir bisher so sorgfältig unterdrückt haben, ein wenig mehr hervorzukehren? Es scheint das keine Höherleistung zu sein, eher ein Rückschritt in manchen Stücken, eine Regression, aber es hat den Vorteil, der Wahrhaftigkeit mehr Rechnung zu tragen und uns das Leben wieder erträglicher zu machen. Das Leben zu ertragen, bleibt ja doch die erste Pflicht aller Lebenden. Die Illusion wird wertlos, wenn sie uns darin stört. Wir erinnern uns des alten Spruches: Si vis pacem, para bellum. Wenn du den Frieden erhalten willst, so rüste zum Kriege. Es wäre zeitgemäß, ihn abzuändern: Si vis vitam, para mortem. Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.106

      »Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.« Freud glaubte, dass die Aufgabe eines Therapeuten darin besteht, einem Patienten das Leben ertragen zu helfen. Freuds gesamte therapeutische Karriere war diesem Ziel gewidmet. Aber abgesehen von dieser Maxime blieb er für immer stumm gegenüber der Vorbereitung auf den Tod, gegenüber der Rolle und dem Begriff des Todes in der Psychotherapie. Warum?

      Wenn man aufzeigt, was Freud übersehen hat, indem man seine blinden Flecken kommentiert, kann man nur so weit gehen, bis man unbehaglich über die eigene Schulter schaut. Vielleicht war seine Vision größer als unsere, sie war es in vielerlei anderer Hinsicht. Vielleicht ist die Frage so schlicht, dass er niemals die Notwendigkeit spürte, die volle Argumentationsbreite für seine Ansicht zu liefern. Wir sind, glaube ich, gut beraten, die Gründe hinter Freuds Ansicht genau zu überdenken. Ich glaube, er ließ den Tod aus seiner dynamischen Theorie aus ungesunden Gründen weg, die aus zwei Quellen stammen: Die eine ist ein überholtes theoretisches Modell des Verhaltens; und die andere ein unnachsichtiges Streben nach persönlichem Ruhm.

      Freuds Unaufmerksamkeit gegenüber dem Tod: Theoretische Gründe

      Als Freud fünfundsiebzig Jahre alt war, wurde er gefragt, wer ihn am stärksten beeinflusst hatte. Ohne Zögern antwortete er, wie er immer geantwortet hatte: »Brücke.« Ernst Brücke war Freuds Physiologie-Professor in der Medizinischen Hochschule und sein Mentor während seiner kurzen Forschungskarriere in Neurophysiologie gewesen. Brücke war ein strenger Mann mit einem preußischen eisernen Willen und stahlblauen Augen, der von den Medizinstudenten in Wien gefürchtet wurde. (Zur Examenszeit wurden jedem Studenten mehrere Minuten für mündliche Befragung gegeben. Wenn ein Student die erste Frage in einer Prüfung nicht beantworten konnte, pflegte Brücke den Rest der vorgesehenen Zeit in ernster Stille dazusitzen, unnachgiebig gegenüber dem verzweifelten Flehen des Studenten und des Dekans, der zugegen war.) In Freud fand Brücke schließlich einen Studenten, der seines Interesses würdig war, und die beiden arbeiteten mehrere Jahre lang eng im neurophysiologischen Laboratorium zusammen.

      Brücke war eine grundlegende Kraft hinter der ideologischen Schule der Biologie, die durch Hermann von Helmholtz begründet wurde und die die medizinische Forschung und die Grundlagenforschung in Westeuropa im letzten Teil des neunzehnten Jahrhunderts beherrschte. Die grundlegende Helmholtzsche Position, Brückes Vermächtnis an Freud, wurde in einer Aussage durch einen weiteren Gründer, Emil du-Bois Reymond, klar skizziert:

      Brücke und ich haben uns verschworen, die Wahrheit geltend zu machen, dass im Organismus keine anderen Kräfte wirksam sind als die gemeinen physikalisch-chemischen; dass, wo diese bislang nicht zur Erklärung ausreichen, mittels der physikalisch-mathematischen Methode entweder nach ihrer Art und Weise die Wirksamkeit im konkreten Fall gesucht werden muss, oder dass neue Kräfte angenommen werden müssen, welche, von der gleichen Dignität mit den physikalisch-chemischen, der Materie inhärent, stets auf nur abstoßende oder anziehende Componenten zurückzuführen sind.107

      Die Helmholtzsche Position ist also deterministisch und anti-vitalistisch. Der Mensch ist eine Maschine, die durch chemisch-physikalische Mechanismen aktiviert wird. Brücke stellte 1874 in seinen Vorlesungen über Physiologie fest, dass, obwohl die Organismen sich von den Maschinen in ihrer Assimilationskraft unterscheiden, sie nichtsdestoweniger Phänomene der physischen Welt sind, die durch Kräfte gemäß den Prinzipien der Erhaltung der Energie bewegt werden. Die Anzahl der Kräfte, die den Organismus in Gang halten, scheint nur angesichts der Unwissenheit groß. »Der Fortschritt der Wissenschaft hat sie auf zwei reduziert: Anziehung und Abstoßung. Das alles gilt auch für den Organismus Mensch« (kursiv vom Verfasser).108

       Freud übernahm dieses mechanistische Helmholtzsche Modell des Organismus und wendete es auf die Konstruktion eines Modells des Geistes an. Mit siebzig sagte er: »Meine Lebensarbeit war auf ein einziges Ziel eingestellt … wie der Apparat gebaut ist, der diesen (seelischen) Leistungen dient, und welche Kräfte in ihm zusammen- und gegeneinanderwirken.«109 Von daher ist es offensichtlich, was Freud Brücke verdankte: Die Freudsche Theorie, die ironischerweise oft als irrational angegriffen wird, ist tief verwurzelt in der traditionellen biophysikalisch-chemischen Doktrin. Freuds dualistische Instinkttheorie, die Theorie der libidinösen Energieerhaltung und Transformation und sein unnachgiebiger Determinismus gehen seiner Entscheidung, Psychiater zu werden, voraus: sie alle haben ihre Anlage in Brückes mechanistischem Menschenbild.

      Dies im Hinterkopf, können wir mit größerem Verständnis zur Frage nach Freuds Ausschluss des Todes aus seiner Beschreibung menschlichen Verhaltens zurückkehren. Dualität – die Existenz zweier, sich unerbittlich bekämpfender Grundtriebe – war der Fels, auf dem Freud sein metapsychologisches System baute. Die Helmholtzsche Doktrin forderte Dualität. Erinnern wir uns an Brückes Aussage: die grundlegenden Kräfte, die im Organismus aktiv sind, sind zwei – Anziehung und Abstoßung. Die Theorie der Verdrängung, der Beginn psychoanalytischen Denkens, fordert ein dualistisches System: Verdrängung erfordert einen Konflikt zwischen zwei grundlegenden Kräften. Während seiner gesamten Karriere versuchte Freud, das Paar der grundlegenden antagonistischen Triebe zu identifizieren, die den menschlichen Organismus antreiben. Sein erster Vorschlag war »Hunger und Liebe«, wie sie im Kampf zwischen der Erhaltung des einzelnen Organismus und dem Fortbestand der Spezies Gestalt angenommen hatten. Der größte Teil der analytischen Theorie basiert auf dieser Antithese: Der Kampf zwischen dem Ich

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