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zunächst eigentlich nichts zu tun hat.

      Dieses breite Versickern ist Ausdruck der »Uneigentlichkeit« zahlreicher Inhalte sowie ganzer Fächer des Schulcurriculums: Sie werden beherrscht, weil und solange der an sie geknüpfte Erwartungsdruck des gesellschaftlichen Überlebens andauert, sie verblassen mehr und mehr im Leben selbst. Wie viele Schuljahre reduzieren sich auf diesem Wege bei nüchterner Betrachtung nach Jahren auf ein lächerlich geringes Können? Vielfach erinnert man sich bloß noch daran, was man einmal wusste und konnte, und man nimmt die so vergeudete Zeit als unvermeidbares Schicksal an – nicht ahnend, dass man mit ihr auch den Kontakt zur eigenen Lernfähigkeit verloren hat.

      »Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir!« ist der Slogan dieser Art von Institutionalisierung unseres Lernens. Diese präsentiert sich uns in ambivalenter Weise: Einerseits öffnete die Institutionalisierung des Lernens einen sozial breiteren Zugang zur Bildung und zeigt sich uns rückblickend als notwendiges Element einer wahrhaften Demokratisierung der menschlichen Formen des Zusammenlebens, andererseits wurde dieser Vorteil mit einer Abwertung der informellen Formen des Lernens und der Persönlichkeitsentwicklung »erkauft«, deren tragende Relevanz erst seit Ende des letzten Jahrhunderts wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein tritt (vgl. Rohs 2016). Die »Recognition of prior learning«, wie sie die EU-Bildungspolitik fordert, ist der entschlossene Versuch einer Berücksichtigung der Tatsache, dass nicht (nur) die Schule, sondern auch das Leben bildet, wie Pestalozzi bereits wusste (vgl. Bittner 2011).

      In der Didaktik selbst, d. h. in der Art und Weise, wie Bildungsprozesse arrangiert und inszeniert werden, hat diese Hinwendung zum informellen Lernen erst ansatzweise seinen Niederschlag gefunden. Noch immer dominieren wissensorientierte Didaktiken, die dem Inhalt und damit der Belehrung einen Primat zusprechen – unbeschadet vom Zweifel an der Möglichkeit einer Vermittlung von Inhalten, wie sie die Hirn- und Lernforschung der letzten Jahre nähren. Erst vereinzelt wird dieses Vorgehen radikal hinterfragt und z. B. ein »Ende der Didaktik« ausgerufen, der Mainstream hingegen verfolgt weiterhin den Weg einer uneigentlichen Bildung: Den Lernenden werden Dinge »gezeigt«, Zusammenhänge »erklärt« und »Standards« vorgesetzt, deren wahrhaft kompetenzbildende Relevanz oft fraglich ist. Begründet wird dieses expositorische Vorgehen mit dem Hinweis, dass schließlich die Standards selbst nicht zur Disposition stehen könnten, weshalb es unabdingbar sei, diese darzustellen, zu begründen und zu fordern, so, als würde die Hinterfragung der Belehrung diese Standards selbst wirklich infrage stellen. Um nicht missverstanden zu werden: Ja, die menschliche Zivilisation wird auch von geteilten Weltsichten und der Übernahme erreichter Standards der Aufgabengestaltung getragen. Diese müssen jedoch nachhaltig angeeignet, anverwandelt und zu Subjekteigenschaften verdichtet werden können, um wirklich halten zu können, was man sich von ihnen verspricht.

      Nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang der »heimliche Lehrplan« dieser Art belehrender Bildung. Die Frage ist: Was lernen Menschen wirklich dauerhaft, wenn sie Anpassung lernen, statt Aneignung zu üben? Die wohl folgenschwerste Lektion ist in diesem Zusammenhang die bereits erwähnte Erfahrung des Versickerns von einmal erworbenem Wissen und Können. Hier lernen die Belehrten, dass man sich Lernanforderungen unterwerfen muss, die nichts mit ihnen und ihren eigenen Lernbewegungen zu tun haben und die auch nicht zu dauerhaften Resultaten führen. Nicht das, was wir wissen und können, sondern das, was wir einmal wussten und konnten, bestimmt unsere Lebenschancen – so die Quintessenz dieser Bildung. Menschen lernen dabei auch, dieses Versickern als eine unvermeidbare Begleiterscheinung des Lernens hinzunehmen. Und nicht selten drohen sie dabei auch den Glauben daran zu verlieren, dass ihr Lernen sie zu einem bleibenden subjektiven Vermögen zu führen vermag, das sie in die Lage versetzt, ihr Leben anders und in zuvor ungekannter Vielfalt und Tiefe zu gestalten. Es ist dieser Verlust des Vertrauens in die eigenen Lernkräfte, der die Menschen auszehrt, wenn nicht gar zerbricht, wie nicht nur die zahlreichen Beispiele der schwarzen Pädagogik zeigen.

      War dieser Effekt in autoritären Gesellschaften genau das, worum es den Autoritäten (Obrigkeit, Kirche und Besitzenden) nachweislich meist zu tun war, so erweist er sich in modernen und sich dynamisch entwickelnden Gesellschaften vielfach als hinderlich, um nicht zu sagen kontraproduktiv. Solche Gesellschaften benötigen auf ihrem Weg in unbekannte Zukünfte zunehmend Menschen, die ihr Vertrauen in die eigenen Lernkräfte haben entwickeln und stärken können und deshalb in der Lage sind, sich selbstorganisiert mit den gesellschaftlichen Aufgaben auseinanderzusetzen. Es spricht einiges dafür, dass wir uns heute mitten in einer gesellschaftlichen Entwicklung befinden, in der die Bedürfnisse von Wirtschaft und Gesellschaft erstmalig in der Geschichte mit den Anforderungen an die breite Entwicklung der Subjekte koinzidieren.

      Denn offene Zukünfte benötigen passende und nicht bloß überlieferte Formen der Problemlösung, die es – vielfach »auf Augenhöhe« – zu entwickeln und zu gestalten gilt. Diese Problemlösungen wiederum setzen persönliche, fachliche und soziale Kompetenzen auf der Seite der Akteurinnen und Akteure voraus, die diese nur aus sich heraus und nicht in Kontexten der Anpassung und Belehrung oder gar der Disziplinierung entwickeln können. Es ist deshalb an der Zeit, auch die didaktischen Schlussfolgerungen zu ziehen, die uns Lern- und Hirnforschung unisono nahelegen. Wir sollten endlich der Tatsache Rechnung tragen, dass Menschen lernfähig, aber unbelehrbar sind. Hierfür benötigen wir vertieften Einblick in das, was Lernen eigentlich ist, um auch die überlieferten Formen einer Institutionalisierung von Lehr-Lern-Prozessen allmählich hinter uns lassen zu können, die einer Belehrungslogik Ausdruck verleihen, für die wenig spricht außer der Macht der – schlechten – Angewohnheit.

      Es wurde bereits hinlänglich deutlich: Der neue Blick auf das Lernen und die Wissensaneignung folgt einer subjektorientierten Perspektive (vgl. Abb. 1). Auch das Fachliche bzw. die Anforderungen an die Expertise beim Problemlösen werden mittlerweile stärker als in der Vergangenheit aus einem Verständnis der Such- bzw. Aneigungsbewegungen des Subjektes heraus fokussiert. Die Anforderungen, auf die wir uns beziehen, sind nicht so und nicht anders unabhängig vom Subjekt – die Konstruktivisten sagen: vom Beobachter – existent. Sie werden vielmehr von jedem lernenden Individuum neu und in seiner besonderen Weise, d. h. vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen und Gewohnheiten (Annäherungsroutinen, Paradigmen usw.) in seiner Kognition geschaffen. Dabei bezeichnet dieses Schaffen ein subjektiv-emergentes Geschehen, das äußere Anregungen unterstützen und begleiten, aber nicht wirkungssicher gestalten können. Die didaktisch-methodische Frage »Wie sollen Lerner lernen?« tritt neben die curriculare Frage »Was sollen Lerner lernen?« (Arnold/Gómez Tutor 2007, S. 40). Dabei ergeben sich besondere Spezifizierungsaufgaben für eine Neubestimmung des Verhältnisses von Wissen und Lernen.

      In der folgenden Übersicht werden die einschlägigen didaktischen Debatten zu der Frage nach den Kriterien einer gelungenen Bildung verdichtet. Dadurch wird ein Weg zur Gestaltung der sich wandelnden Bedeutung des Fachlichen markiert, der auf Integration und weniger auf Ablösung der bisherigen – vornehmlich inhaltsorientierten Didaktikmodelle – gerichtet ist. Die Didaktik »dritter Ordnung« umfasst die Dimensionen des Inhalts und des Prozesses in einer stärker outcome- bzw. kompetenzorientierten Ausrichtung. Repräsentativität, Strukturrelevanz oder gar Vollständigkeit des Inhaltlichen sind für sie nicht die allein maßgeblichen Kriterien einer gelungenen Bildung. Sie erweitert vielmehr den Blick auf die Fachkompetenz um die Dimensionen, welche die Identitäts- und Kompetenzentwicklung einer Person auf der Subjektebene beschreiben und in den methodischen und sozialen, aber auch in den emotionalen und spirituellen Formen ihres Umgangs mit der Wirklichkeit ihren Ausdruck finden. Insbesondere die letzte Kompetenzdimension wird in den Debatten noch gerne übersehen und unterliegt einem Esoterikverdacht – eine Zurückhaltung, der entgeht, von welch grundlegender Bedeutung die eigene Wertbasis für die autonome Gestaltung des eigenen Lebens sowie den Umgang mit den wechselnden Lebenslagen ist. Man spricht zwar gerne von der Bedeutung der Haltung, vermeidet aber die Präzisierung der inneren Kompetenzen, welche die wertbasierte Haltung zu dem machen können, was sie als zentrales Element gelungener Bildung sein sollte. Astin, Astin und Lindholm sprechen deshalb zu Recht von einem »potentially very important topic« und beklagen: »The development of self-awareness receives very little attention in our colleges and universities« (Astin/Astin/Lindholm 2011, S. 2).

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