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Lebenschancen und führen oftmals in eine Abwärtsspirale von Teilhabemöglichkeiten, an deren Ende das steht, was man in der Sozialwissenschaft lakonisch ‚kumulierendes Verliererschicksal‘ nennt.

      Der (dauerhafte) Ausschluss vom Erwerbsarbeitsmarkt etwa reduziert nicht nur beträchtlich das verfügbare monetäre Einkommen. Es schneidet den Erwerbslosen auch weitgehend von jenen Beziehungsnetzwerken seiner Arbeitswelt (Kollegium, Betrieb usw.) ab, in denen er soziale Anerkennung erfährt und dadurch Selbstachtung entwickelt. Beschädigte Selbstachtung wiederum belastet die Beziehungen in Familien, in Freundschaften oder auch Nachbarschaften. Sie verstärkt so die Tendenz, sich aus lebenswichtigen sozialen Netzwerken zurückzuziehen – Netzwerke, die eigentlich den primären Verlust – etwa des Arbeitsplatzes – wenigstens halbwegs auffangen könnten. Derart geschwächt schwinden für den Betroffenen seine verfügbaren Chancen, mit denen er seine politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Bürgerrechte verwirklichen kann – selbst wenn diese ihm formal immer noch zu- und offenstehen.

       Andreas Lob-Hüdepohl

      Dr. theol., seit 1996 Professor für Theologische Ethik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin; Mitglied im Deutschen Ethikrat; Berater der Deutschen Bischofskonferenz (u. a. Pastoralkommission); Vorsitzender der ad-Hoc-Arbeitsgruppe Kirche und Rechtspopulismus der deutschen Kommission Justitia et Pax.

      Soziale Ausgrenzungen fallen nicht vom Himmel. Oftmals sind sie in den Strukturen unseres Zusammenlebens fest eingelagert. Sie resultieren aus sozialen Prozessen, die zwischen den ‚Opfern‘ (‚Exkludierte‘) und ‚Tätern‘ (‚Exkludierende‘) ein breites Panorama an Akteur/innen, ‚Mittätern‘ oder begünstigenden Faktoren kennen. Besonders wirkmächtig für soziale Exklusionen erweisen sich Stigmatisierungen überdurchschnittlich verletzlicher (‚vulnerabler‘) Gruppen. Stigmatisierungen liegen vor, wenn eine soziokulturell dominante Mehrheitsgesellschaft ihre kulturelle Identität oder ihren sozialen Status dadurch zu stabilisieren sucht, indem sie andere Menschen allein aufgrund eines bestimmten körperlichen, sozialen, kulturellen oder religiösen Merkmals oder einer Verhaltensauffälligkeit als Gruppe abwertet und sie von der gewöhnlichen (‚normalen‘) Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließt.

      So kann selbst aus einer harmlosen Begrenzung der Einladungsliste die Geburtstagsfeier zu einer Manifestation stigmatisierungsbedingter sozialer Exklusion werden – nämlich dann, wenn die kopftuchtragende muslimische Freundin oder der spastisch gelähmte Kollege allein deshalb von der Gästeliste gestrichen werden, um den anderen Gästen mögliche Irritationen zu ersparen. Dieser Effekt steigt, wenn die solchermaßen Stigmatisierten das abwertende Fremdbild in ihr eigenes Selbstbild importieren und dadurch Defizitorientierungen, Schamgefühle und sogar Selbstexklusionen auslösen. Übrigens: Wie subtil oder auch offen solche Prozesse verlaufen, lässt sich schon eindrücklich in biblischen Erzählungen studieren – etwa am heilsam-befreienden Umgang des Nazareners mit Frauen und Männern, die als Unreine oder als von ‚fremden Mächten und Gewalten‘ Besessene von der Normalgesellschaft auf Abstand gehalten werden: die ‚blutflüssige Frau‘ (Lk 8,46), der ‚Besessene von Gerasa‘ (Mk 5,1-12). Stigmatisierungen erfolgen entlang der Unterscheidung von Normalität und Abweichung. Abweichende erscheinen befremdlich anders und müssen auf Abstand gehalten werden, damit das Eigene nicht gefährdet wird.

      Stigmatisierende Bewertungen sind kulturell abhängig und sozial inszeniert. Sie dienen oftmals der Absicherung eigener Privilegien und Sicherheiten. In einer „Gesellschaft der Angst“ (Heinz Bude), in der bereits die Nichterfüllung eines steten sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs bereits in der ‚Mitte der Gesellschaft‘ als soziale Exklusion gefürchtet wird, wächst das Bemühen, den eigenen Standard durch die Ausgrenzung anderer abzusichern: Menschen mit Behinderungen, Andersreligiöse, Geflüchtete, Wohnungslose usw.

      Rechtspopulistische Phänomene in klassischen Wohlfahrtsstaaten wie etwa Dänemark oder Schweden veranschaulichen: Die Angst vor der eigenen Exklusion stiftet die Sehnsucht nach Exklusivität solidarischer Netzwerke – nach Sicherung hoher Standards, begrenzt aber auf die Dazugehörigen zur eigenen (ethnischen oder auch staatsbürgerlichen) Gruppe. Diese Sehnsucht schließt nach unten ab.

       INKLUSION IST NICHT GLEICH INKLUSION

      Inklusion will solchen Wirklichkeiten sozialer Exklusion entgegenarbeiten oder – wenn möglich – frühzeitig vorbeugen. Aber Inklusion ist nicht gleich Inklusion. Spätestens seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahre 2009 ist Inklusion auch in Deutschland zu einem ‚moralischen Hochwertwort‘ avanciert, wogegen man keinesfalls etwas haben will, unter dem sich aber höchst unterschiedliche Vorstellungen und Versprechungen verbergen – soweit sogar, dass in manchen Bereichen – wie etwa im Kontext von Schule und Bildung – die positive Stimmung zu kippen scheint und der Glanz des Hochwertwortes ‚Inklusion‘ vielerorts verblasst.

      Inklusion fokussiert alle Menschen, denen die volle und wirksame Teilhabe am Leben der Gesellschaft durch Barrieren vielfältigster Art verwehrt ist.

      Zunächst ist zu erinnern, dass sich die Prominenz von Inklusion zwar der Debatte um die Inklusion von Menschen mit leiblichen, seelischen, kognitiven oder auch sinnesbezogenen Beeinträchtigungen verdankt. Ihre Reichweite jedoch beschränkt sich keinesfalls auf den Bereich eines möglichst unbehinderten Zusammenlebens von Menschen mit und ohne die genannten Beeinträchtigungen. Inklusion fokussiert alle Menschen, denen die volle und wirksame Teilhabe am Leben der Gesellschaft durch Barrieren vielfältigster Art verwehrt ist. Der Diskurs über Inklusion und Exklusion ist in Deutschland außerhalb des Bereichs der sogenannten Behindertenhilfe entstanden – nämlich im Zusammenhang der Debatte über die „Überflüssigen“ (Claus Offe) oder „Ausgeschlossenen“ (Heinz Bude) in einer zunehmend gespaltenen ‚Erwerbsarbeitsgesellschaft‘.

      Freilich oszilliert der Begriff der Inklusion zwischen einer funktional-deskriptiven und einer normativ-emphatischen Bedeutung. Eine funktional-deskriptive Bedeutung hat er prominent in der Systemtheorie Niklas Luhmanns. Eine Person gilt dann als in die Gesellschaft hinreichend inkludiert, wenn sie in mindestens einem ihrer zentralen Teilsysteme einbezogen ist und dort vielleicht sogar eine aktive Funktion besitzt. Zwar mag ein Erwerbsloser aus dem gesellschaftlichen Teilsystem Arbeitsmarkt (vorübergehend) ausgeschlossen sein. Insofern er aber im Netz sozialer Sicherungssysteme abgefangen ist und überdies womöglich noch als Ehrenamtlicher in einer Selbsthilfegruppe oder Nachbarschaftsinitiative mitwirkt, kompensieren die letztgenannten Einschlüsse (‚Inklusionen‘) seine Exklusion aus dem Erwerbsarbeitsmarkt.

      In ähnlicher Weise sind auch geflüchtete oder behinderte Menschen bereits dann gesellschaftlich inkludiert, wenn sie in einem prinzipiell offenstehenden Teilsystem eingebunden sind – und sei dies nur das asylrechtliche oder wohlfahrtstaatliche Sorgesystem, das für sie eigens eingerichtet ist. Von welcher Qualität dieser Einschluss und die damit verbundene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist, besitzt in dieser funktional-deskriptiven Betrachtungsweise von Inklusion keine nennenswerte Relevanz.

      So hatten in früheren Zeiten die verunglimpften ‚Dorftrottel‘ in der dörflichen Gemeinschaft eine wichtige soziale Funktion. Ähnlich waren psychisch kranke Menschen, die als ‚Irre‘ in Käfigen ausgestellt wurden, eine zugkräftige Attraktion für jeden Jahrmarkt oder Zirkus. Heute setzen arbeitsfähige Geflüchtete im Niedriglohnsektor oder in der Schattenwirtschaft ‚wichtige Impulse‘, wenn sie vom ‚Arbeitsstrich‘ aktiviert werden und damit oftmals ein erheblich auskömmlicheres Dasein sichern können als in ihren Herkunftsländern. In systemfunktionaler Zuspitzung hatten und haben solche Menschen in der Gesellschaft Funktion und Auskommen; so besehen waren und sind sie inkludiert – aber in einer Art und Weise, die wir heute als zutiefst unwürdig und menschenverachtend brandmarken würden. Davon unterscheidet sich ein emphatischnormatives Verständnis von Inklusion, das etwa der UN-Behindertenrechtskonvention zu Grunde liegt. Es stellt die Qualitätsfrage in den Mittelpunkt: Die bloß funktionale Einbeziehung in ein gesellschaftliches Teilsystem ist keinesfalls ausreichend. Maßstab der Inklusion ist vielmehr die effektive Gewährleistung der Rechte von Menschen als Bürger/innen eines menschenrechtlich ambitionierten Gemeinwesens und damit ihrer Würde als Mensch.

      Natürlich gibt es immer wieder Lebenssituationen,

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