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wie der Brief in Willi Versteges Besitz geraten konnte, da er ihn in Paderborn absolut vertraulich behandelt hatte.436 Erst durch ein vom Kardinal selbst in Auftrag gegebenes amtliches Gutachten beim bundesdeutschen Posttechnischen Zentralamt wurde für den Paderborner Erzbischof aus einer Vermutung437 Gewissheit: Der Umschlag jenes Briefes war „durch Ablösen der Briefverschlussklappe über Wasserdampf zwischengeöffnet“438 worden, eine durch das MfS täglich eingesetzte Überwachungsmethodik.439

      Die Reaktion des in dem „Jäger-Brief“ direkt angegriffenen Erfurter Weihbischofs war weitaus zurückhaltender. Gegenüber Claus Herold hatte er telefonisch mitgeteilt, dass er von der Hoffnung lebe, es handle sich um eine Fälschung.440 In der Korrespondenz mit Kardinal Jaeger äußerte sich der verleumdete Weihbischof ausführlicher zu den Vorgängen: „Ich gestehe aber, dass ich auf Ihren Brief besonders gewartet habe...So danke ich Ihnen in dieser Situation ganz besonders für Ihren Brief, für Ihr weiteres Wohlwollen und Vertrauen, das Sie mir erneut in Ihrem Brief bekundet haben. Gegen die Unterstellungen, die in dem bekannten Brief ausgesprochen sind, habe ich mich nicht gewehrt. Es gibt Augenblicke, wo man wehrlos ist. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die berichteten ‚Fakten’ einfach nicht stimmen oder völlig falsch interpretiert sind. In den 8 Jahren meiner Tätigkeit in Erfurt bin ich dem Kommissariat Magdeburg gegenüber mehr als abstinent gewesen. Ich habe 24 Jahre im Kommissariat Magdeburg gearbeitet. Ich war sehr gern da und denke sehr gern an diese Jahre zurück. Jedoch hielt ich es nach meinem Weggang aus vielerlei Gründen für richtig, mich von dort ganz zurückzuziehen, was mir zwar manche Mitbrüder verübelt haben, was aber sicher im Interesse der ganzen Lage richtig war...Ich war über den Inhalt der Briefe so perplex, dass ich anfänglich alles für Fälschung gehalten habe. Meines Erachtens ist der Weg der Publikation ziemlich eindeutig...Er ist offensichtlich auf dem Postwege abgefangen und dann von interessierten, sicher nicht kirchlichen Stellen, weitergegeben worden.“441 Prälat Jäger und Weihbischof Aufderbeck hatten sich zwischenzeitlich in Nordhausen getroffen und in einem kurzen Komunique erklärt, dass es zu einer klärenden Aussprache gekommen sei.442 Aufderbeck selbst bemerkte hierzu: „Ich habe die Ihnen gewiss bekannte kurze Nordhäuser Erklärung mit Prälat Jäger unterschrieben, weil ich glaubte, sie würde zur Beruhigung beitragen, was allerdings leider nicht der Fall gewesen ist.“443

      Der „Jäger-Brief“ war allgemein bekannt und seine Aussagen und Intentionen waren umstritten. Wollte Prälat Jäger tatsächlich nachträglich Einfluss auf das Wahlergebnis nehmen, wie Willi Verstege unterstellt hatte? Da unklar ist, wer mit Friedrich Maria Rintelen zusammen die Wahlzettel des Klerus ausgezählt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Prälat Jäger direkt oder indirekt Kenntnis von der Stimmverteilung hatte. Wenn Prälat Braun tatsächlich einen deutlichen Stimmenvorsprung vor Professor Schürmann hatte und Hugo Aufderbeck abgeschlagen auf Platz drei lag, weshalb schrieb dann Brauns Parteigänger einen Brief, der geeignet war, denjenigen zu diskreditieren, der die meiste Aussicht auf Erfolg hatte? Aufschlussreich könnten in diesem Zusammenhang bislang unbekannte Briefe von Friedrich Maria Rintelen sein. Verschiedene Briefe und Manuskripte im Nachlass des Weihbischofs lassen ebenfalls die Tendenz erkennen Hugo Aufderbeck als wohl aussichtsreichen Nachfolger zu kompromittieren. Weihbischof Rintelen hatte bereits wenige Tage nach der Wahl im Dezember einen Brief an den Apostolischen Nuntius Erzbischof Bafile geschrieben.444 Dieses Schriftstück ist nicht mehr erhalten. Die Replik des Nuntius weist jedoch eindeutig auf das von Rintelen behandelte Thema hin: Zur Beruhigung der Gemüter könne Rintelen auf Anfragen hin verwenden, dass „Aufderbeck als möglicher Kandidat für Ihre Nachfolge in Betracht gezogen wurde...“445 In welcher Richtung Rintelen argumentiert haben könnte, darüber gibt ein Brief vom 5. Januar 1970 an Kardinal Jaeger Aufschluss. Darin stellt Rintelen im Hinblick auf eine mögliche Rückkehr Aufderbecks nach Magdeburg ausdrücklich fest: „Eminenz! In der Frage eines Nachfolgers für mich wird immer wieder erwogen, ob nicht Herr Weihbischof Aufderbeck, der ja bis vor wenigen Jahren Priester des Kommissariates Magdeburg war, nach hier zurückkehren solle. Herr Weihbischof Aufderbeck hat ganz sicher eine hohe Begabung. Auch hat er, wie man hört, eine große Kontaktfähigkeit. Und doch glaube ich, wäre es nicht gut, wenn er als Weihbischof nach Magdeburg käme, und zwar vor allem deshalb, weil er nach dem Erscheinen die Enzyklika ‚Humanae Vitae’ ... durch eine Stellungnahme zu dieser Enzyklika, die auch in meinem Kommissariat verbreitet wurde,...geradezu Ärgernis erregt hat... Exzellenz Aufderbeck hat damals gemeinsam mit ganz wenigen Geistlichen einen Vortrag ‚über katholische Ehelehre nach den Aussagen des Konzils und der neuen Enzyklika Humanae vitae’ erarbeitet und angeordnet, dass dieser Vortrag in allen [Gemeinden, SH] seines Gebietes gehalten würde. Vervielfältigt kam dieser Vortrag auch in meinen Bezirk. Viele meiner Geistlichen waren erschrocken - meinten der Vortrag sei geradezu eine Aufforderung, gegen die Enzyklika zu handeln... Eine Anzahl meiner Geistlichen waren über diese Ausführungen entsetzt und sind es heute noch. Sie würden sicherlich ein wenig erschrocken sein, wenn Herr Weihbischof Aufderbeck jetzt ihr Ordinarius würde. Der Gerechtigkeit halber sei noch gesagt, dass der in Frage stehende Vortrag neben den oben ausgeführten Stellen ganz ausgezeichnete Partien aufweist. Auf Wunsch könnte ich den ganzen Vortrag Euer Eminenz zukommen lassen.“446

      Am 9. März 1970 hatte Weihbischof Rintelen vom Apostolischen Nuntius eine Antwort auf seinen Brief vom 15. Dezember 1969 erhalten. Erzbischof Bafile bestätigte darin, dass Hugo Aufderbeck tatsächlich für Rintelens Nachfolge vorgesehen war, dass dieser Gedanke aber aufgrund zweier Erwägungen nicht weiter verfolgt wurde: „1. es wäre unangebracht gewesen, eine Stelle zu berauben, um eine andere Stelle zu besetzen; 2. es schien unzumutbar, Weihbischof Aufderbeck, der seit 1962 segensreich in Erfurt wirkt, im Alter von 61 Jahren wieder nach Magdeburg zu versetzen, wo er einen neuen Anfang machen müsste.“447 Das letzte Schreiben von Weihbischof Rintelen an den Nuntius in dieser Frage datiert auf den 24. März 1970. Darin unterstrich Rintelen nochmals seine Überzeugung und erklärte, dass unabhängig von der möglichen Erfurter Vakanz die Ernennung Brauns „für das Kommissariat Magdeburg ... die bessere Lösung ist.“448

      Wie lassen sich nun die zahlreichen Briefe und damit verbundenen Intentionen zusammenfassen? Auffallend ist, dass sowohl Prälat Jäger als auch Weihbischof Rintelen unmittelbar nach der Stimmabgabe des Presbyteriums sich gegenüber den zuständigen kirchlichen Instanzen klar und unmissverständlich gegen eine Ernennung von Hugo Aufderbeck ausgesprochen haben. Von der ebenso eindeutigen Ablehnung dieser Option durch Kardinal Jaeger dürften sie vermutlich nicht unterrichtet gewesen sein. Welches Ziel verfolgten also diese Briefe, wenn Johannes Braun ohnehin die Abstimmung des Klerus gewonnen hatte und zumindest Weihbischof Rintelen das Ergebnis der Stimmauszählung kannte? Für die im Kommissariat durchaus verbreitete Vermutung, es sei bei der Stimmauszählung zu Unregelmäßigkeiten gekommen, gibt es anhand der zur Verfügung stehenden Quellen keine eindeutigen Beweise. Zwar würde die Intention der Briefe an Kardinal Jaeger und Nuntius Bafile verständlicher erscheinen, wenn nicht Braun, sondern Aufderbeck die meisten Stimmen hätte auf sich vereinigen können. Ginge man von Manipulationen aus, wäre auch plausibler zu erklären, weshalb Weihbischof Aufderbeck noch weniger Stimmen als Heinz Schürmann bekommen haben sollte. Es erscheint beachtenswert, dass sich das Presbyterium bei der einmaligen Gelegenheit, indirekt den zukünftigen Weihbischof wählen zu können, auf Experimente eingelassen haben soll und nicht den Kandidaten nominierte, der allen durch seine Arbeit bekannt, von der Mehrzahl geschätzt und mit den Aufgaben eines solchen Amtes bereits vertraut war. Auffallend bleibt schließlich, dass sich der vom Paderborner Erzbischof von Beginn an favorisierte Kandidat, der angesichts von „Unruhe und Verwirrung“ im Kommissariat für „Klarheit, Sicherheit, Ruhe“449 sorgen sollte, sich trotz gegenteiliger Prognosen hatte durchsetzen können. Doch für derartige Hypothesen gibt es keine verlässlichen Hinweise, zumal eine Manipulation das Stillschweigen aller daran Beteiligten vorausgesetzt hätte. Vielmehr scheint sich die fehlende Nominierungsmöglichkeit und der geheime Abstimmungsmodus als Vorteil für Johannes Braun herausgestellt zu haben. Es ist durchaus vorstellbar, dass aufgrund des Wahlmodus sich die Stimmen für Aufderbeck und Schürmann ungünstig verteilt haben. Beide hatten durchaus kompatible theologische Programme, weshalb es Grund zu der Annahme gibt, dass, wenn nur einer von beiden zur Wahl gestanden hätte, sich die insgesamt 104 Stimmen auf ihn konzentriert hätten, die sich so auf beide verteilten. Zwar weisen die 61 Stimmen von Prälat Braun nicht auf

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