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Das Evangelium nach Lukas interessiert sich für einen Jesus, auf dem Gottes Geist liegt und der daher den Gefangenen und Unterdrückten Freiheit bringt. Jesus wird zum Zeugen für Gottes Barmherzigkeit und Zuwendung für die Armen und Schwachen (Lk 4,18–20).

      – Das Evangelium nach Johannes beschreibt Jesus als den Offenbarer Gottes. Jesus lehrt, wer Gott wirklich ist, und bezeugt dies schließlich mit seiner Lebenshingabe am Kreuz. Er kann dies tun, da er der eingeborene Sohn Gottes ist und eins mit dem Vater (Joh 1,14).

      Die Evangelien sind in einer Zeit entstanden, die fast 2000 Jahre zurückliegt. Viele Dinge befremden heute. In den Geschichten tauchen Pharisäer und Sadduzäer auf, es gibt Samariter und Syrophönizierinnen. Und immer wieder tauchen Römer auf, die die politische und militärische Besatzung Palästinas durch das Römische Reich repräsentieren. Jesus heilt Krankheiten durch Exorzismen und stirbt selbst am Kreuz. Menschen diskutieren, was religiös rein oder unrein sein könnte. Will man die Evangelien besser verstehen, muss man auch in diese fremde und ferne Welt eintauchen und sich mit ihrer Kultur, ihrer Geschichte, ihren Menschen und Gebräuchen bekannt machen.

      Die Erschließung der biblischen Welt ist eines der Ziele der modernen biblischen Forschung. In den letzten Jahren haben sich dabei unterschiedliche Disziplinen herauskristallisiert, die sich grob in mehrere Kategorien einteilen lassen.

      Die historisch-kritische Forschung nähert sich den Texten vom Standpunkt der Geschichte aus. Sie sucht die Texte über ihre Ursprünge und Entwicklungsgeschichte, über historische und kulturelle Gegebenheiten zu verstehen. Die Texte werden als Zeugnisse ihrer Zeit gelesen.

      Innerhalb der Zeit der Entstehung helfen der Interpretation solche Quellen, die den biblischen Texten mehr oder weniger zeitgleich sind. So beschreibt der Geschichtsschreiber Flavius Josephus (ca. 37–100 n. Chr.) Ereignisse und Personenkreise, die auch in den Evangelien auftauchen. Josefus beschreibt Personen wie Herodes oder Pilatus. Er beschreibt Pharisäer und bestätigt, dass Sadduzäer nicht an die Auferstehung glauben (vgl. Mk 12,18). Der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien (ca. 25 v. Chr.–40 n. Chr.) trägt viel zum Verständnis jüdischer Schriftauslegung bei. Wenn Mk 4,14–20 das Gleichnis vom Sämann als Allegorie versteht, hat das ein Vorbild in der Interpretation jüdischer Schriften durch Philo. Die bei Qumran gefundenen Schriftrollen tragen wesentlich zum Verständnis des Judentums zur Zeit Jesu bei. In den Schriftrollen finden sich beispielsweise Formen von Reinheitsritualen, wie sie in Mk 7,1–25 kritisiert werden.

      Solche schriftlichen Zeugnisse werden ergänzt durch archäologische Funde. Indem man antike Stätten identifiziert und ausgräbt, lässt sich zeigen, wie Menschen in Städten und Dörfern zusammengelebt haben und was ihnen kulturell wichtig war. Überraschend ist z. B. die Anzahl von Theatern, die man in Palästina gefunden hat.

      Auch der Vergleich mit zeitgenössischer Literatur ist hilfreich. So kennt man Geschichtswerke, Biographien, Romane, Dramen, Satiren, Gedichte, Reden, Briefe und vieles mehr. Zudem finden sich auch antike Lehrbücher, in denen Schülern beigebracht wird, was gute Literatur ausmacht und wie man sich gewandt und stilvoll ausdrückt. Sogar alte Schul- und Übungshefte sind erhalten und geben lebendigen Eindruck von dem, was unterrichtet wurde.

      Diese Forschungen haben als erstes Ziel, die Schriften des Neuen Testaments in die kulturelle Landschaft der Antike einzuordnen, Vergleiche mit nicht-christlicher Literatur zu ziehen und zu sehen, wie sehr – oder manchmal auch wie wenig – die Schriften des Neuen Testaments zumindest der Form nach auch Produkte ihrer Zeit sind. Literatur in der Antike war nicht nur der Erbauung oder Unterhaltung dienlich, sondern war auch häufig eine Form der öffentlichen Selbstpräsentation. Bildung in der Antike beinhaltete auch die Fähigkeit, öffentliche Reden halten zu können. Diese Kunst der Rhetorik wurde an Schulen gelehrt. Viele Lehrbücher der antiken Rhetorik sind erhalten, und Schulhefte mit praktischen Übungen aus dieser Zeit existieren noch. Redner wie Demosthenes oder Cicero waren nicht nur hochverehrt, sondern publizierten auch ihre Reden. Rhetorik findet ihren Niederschlag in der Briefliteratur des Neuen Testaments. Aber auch die Reden der Evangelien und der Apostelgeschichte zeigen, dass ihre Autoren in der Kunst antiker Rhetorik zumindest einige Bildung besaßen.

      Aus den schriftlichen und den archäologischen Zeugnissen lässt sich heute ein relativ genaues Bild des Lebens zur Zeit der neutestamentlichen Texte zeichnen.

      Die Erforschung der Textentstehung ist ein zweites Ziel. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen Neutestamentler, die einzelnen Geschichten innerhalb der Evangelien in verschiedene Gattungen einzuteilen. So gibt es Wundergeschichten, Gleichnisse, Lehrgespräche, Streitgespräche, Sprichwörter und vieles mehr. Diese Forscher nahmen nun an, dass es für jede Gattung eine Art Grundgerüst gibt. Für eine Heilung besteht dieses Gerüst aus klar unterscheidbaren Elementen: ein Kranker, eine Bitte um Heilung, ein Heiler, eine heilende Handlung oder ein heilendes Wort und eine Bestätigung der Heilung. Um dieses Grundgerüst herum können die Details mehr oder weniger ausgeschmückt werden. Die Annahme war nun, dass die Ausschmückung Teil der Traditionsbildung ist. Je einfacher eine Geschichte, desto älter ist sie.

      Diese Methode erhielt den Namen „Formgeschichte“ und ist bis heute einflussreich, auch wenn sie heute stark modifiziert wird. Diese Methode erlaubt jedoch einen Blick in die Tradition hinter den Geschichten, wie wir sie heute kennen. Das Gegenstück zur Formgeschichte ist die Redaktionsgeschichte. Mit ihrer Hilfe untersucht man gerade die Ausschmückungen solcher Geschichten, um die speziellen Interessen zu ermitteln, die zu der Zusammenfügung von traditionellen Materialien in Evangelien geführt haben. Anhand der Ausschmückungen oder an der Art, wie einzelne Geschichten aneinandergereiht werden, kann man die Intentionen des Endredaktors eines Evangeliums rekonstruieren.

      Gleichzeitig ist es mit dieser Methode möglich, Quellen hinter den Evangelien zu identifizieren. In Mk 2,1–3,6 findet sich eine Sammlung von Wundergeschichten. Forscher nehmen nun an, dass diese Sammlung schon vor dem Markusevangelium existiert hat und vom Autor des Evangeliums später in das Gesamtwerk eingefügt wurde.

      Ein typisches Beispiel für die Fragestellung der historisch-kritischen Methode beleuchtet den Titel des Markusevangeliums. In Mk 1,1 wird Jesus als Sohn Gottes bezeichnet. Die historisch-kritische Methode fragt, was genau mit „Sohn Gottes“ gemeint sein könnte im Vergleich zu zeitgenössischer Literatur, ob der Titel vielleicht eine späte Entwicklung in der Bildung des Evangeliums widerspiegelt und warum manche alte Handschriften diesen Titel gar nicht enthalten.

      Die historisch-kritische Methode ist die unter Forschern heute etablierte Methode, die Texte innerhalb ihrer Zeit zu interpretieren und dabei auch die Textentstehung zu beobachten.

      Für die narrative Forschung sind die Evangelien als Erzählungen der Ausgangspunkt der Interpretation. Die Texte werden als Ganzes gelesen und nach ihrer Aussageabsicht befragt. Im Kontrast zur historisch-kritischen Methode fragt die narrative Exegese nicht, in welcher Welt die Texte entstanden sind, sondern welche Welt sie für die Leserinnen und Leser schaffen. Sie fragt nicht, wer unter welchen Umständen die Texte geschrieben haben könnte, sondern was die Texte über ihre Autoren implizit aussagen. Die Schriften werden also nicht ausgehend von historischem und kulturellem Hintergrund her interpretiert, sondern gerade umgekehrt werden die Texte daraufhin befragt, was sie über die in ihnen erzählte Welt preisgeben.

      Diese Art der Interpretation ist noch relativ neu und orientiert sich stark an literaturwissenschaftlichen Methoden. Sie ist besonders geeignet, den Blick auf das Gesamte eines Evangeliums zu lenken und es als geschlossenes theologisches und literarisches Werk zu interpretieren.

      Ein typisches Beispiel für solch eine Interpretation ist die Frage nach der Art und Weise, wie ein Werk die Lektüre zu beeinflussen sucht. Das Markusevangelium beginnt mit der Aussage, dass Jesus der Sohn Gottes ist (Mk 1,1). In der Taufe erschallt eine himmlische Stimme, die Jesus als „meinen geliebten Sohn“ (Mk 1,11) deklariert. Wenig später bezeichnet ein Dämon Jesus als den „Heiligen Gottes“ (Mk 1,24).

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