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werden, dass es auch Vertreter emergentistischer Theorien neben dem Britischen Emergentismus gab, wie den Amerikaner Roy Wood Sellars („Evolutionary Naturalism“14, 1922). Da Sellars sein Werk zunächst unabhängig vom Britischen Emergentismus verfasst habe, spricht Stephan – welcher die bislang umfassendste Analyse der Geschichte des Emergenzbegriffs vorgenommen hat – auch vom „Britischen und amerikanischen Emergentismus“15. Aber auch Pragmatisten wie William James, John Dewey und George Herbert Mead vertreten emergentistische Positionen, wie Charbel el-Hani und Sami Pihlström betonen.16 Und auch Alfred North Whitehead und seine Schülerin Dorothy Emmett lassen sich mit emergenztheoretischem Denken in Verbindung bringen.17 Stephan hat außerdem herausgearbeitet, dass Elemente einer Emergenztheorie bereits in den Theorien einiger kontinentaler Philosophen aus der Zeit vor dem Britischen Emergentismus – hierzu zählen Johann Christian Reil, Hermann Lotze, Gustav Theodor Fechner und Wilhelm Wundt – zu finden sind.18 Und sogar in der Antike lassen sich ihm zufolge schon emergentistische Anklänge verorten, nämlich bei Aristoteles und Galen.19 John Haldanes Auffassung dagegen, hier sei auch Empedokles einzuschließen20, wird von Stephan kritisiert.21 Es soll hier jedoch davon abgesehen werden, emergenztheoretische Ansätze außerhalb der Tradition des Britischen Emergentismus zu untersuchen, da sie keine prägende Wirkung auf die Entwicklung des Emergenzbegriffs hatten und zum größten Teil nicht als emergentistische Positionen im vollen Sinne verstanden werden können.22

      Die historisch-systematische Analyse, die maßgeblich durch Achim Stephan beeinflusst ist, wird durch eine Untersuchung der Beiträge von John Stuart Mill und George Henry Lewes, den Vordenkern aus der ersten Phase des Emergentismus, eingeleitet. Daraufhin werden die Werke von Samuel Alexander, Conwy Lloyd Morgan und Charles Dunbar Broad, den drei Hauptvertretern der zweiten Phase des Emergentismus, betrachtet. Anschließend werden mit Stephan die sich aus dem Britischen Emergentismus ergebenden Hauptmerkmale emergentistischer Theorien beschrieben. Hierdurch wird die Betrachtung der Hauptwerke der Britischen Emergentisten noch einmal vertieft. Darauf folgt die Beschreibung und Diskussion der zwei gebräuchlichen Modelle der Varianten der Emergenz. Die dritte Phase des Emergentismus, in welcher vor allem kritische Einwände gegen ihn erhoben wurden, wird in der Frage nach den Gründen für den Niedergang des Britischen Emergentismus aufgegriffen. Eine kurze Erwähnung der emergenztheoretischen Konzeptionen von Karl Popper und Mario Bunge, welche die vierte Phase des Emergentismus einleiteten, wird die historisch-systematische Analyse beschließen.

      5 Vgl. Stephan, Achim (1999b). Emergenz – Von der Unvorhersagbarkeit zur Selbstorganisation. 2. Aufl. Paderborn: Mentis 2005. S. XI-XII.

      6 Mill, John Stuart (1843). A System of Logic. Ratiocinative and Inductive. Collected Works, Vol. VII und VIII. Toronto/Buffalo: University of Toronto Press/Routledge/Kegan Paul 1974. Reprinted 1978.

      7 Lewes, George Henry (1875). Problems of Life and Mind. Vol. 2. Reprint. Boston/New York: Houghton, Mifflin and Company 1891.

      8 Die Bezeichnung ‚Britischer Emergentismus‘ geht zurück auf McLaughlin, Brian (1992). „The Rise and Fall of British Emergentism“ in: Ansgar Beckermann/Hans Flohr/Jaegwon Kim. Emergence or Reduction? – Essays on the Prospects of Nonreductive Physicalism. Berlin/New York: Walter de Gruyter. S. 49.

      9 Alexander, Samuel (1920). Space, Time, and Deity. The Gifford Lectures at Glasgow 1916-1918. Two Volumes. Vol. 2. Reprint. London: Macmillan and Co. 1927.

      10 Lloyd Morgan, Conwy (1923). Emergent Evolution. The Gifford Lectures. Delivered in the University of St. Andrews in the Year 1922. Second edition. New York/London: Williams and Norgate Ltd. 1927.

      11 Broad, Charles Dunbar (1925). The Mind and its Place in Nature. Tarner Lectures delivered in Trinity College, Cambridge, 1923. Seventh edition. London: Routledge/Kegan Paul Ltd. 1962.

      12 Popper, Karl R. (1977). The Self and its Brain. Part I. In: Karl R. Popper/John C. Eccles. The Self and its Brain. Corrected Printing. Berlin/Heidelberg/London/New York: Springer International 1981.

      13 Bunge, Mario (1980). The Mind-Body Problem. A Psychobiological Approach. Oxford: Pergamon International Library.

      14 Sellars, Roy Wood (1922). Evolutionary Naturalism. Chicago/London: The Open Court Publishing Company.

      15 Stephan (1999b). S. 3. Hervorhebungen durch den Verfasser geändert. Vgl. auch Stephan, Achim (1999a). „Emergenz“ in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.). Enzyklopädie Philosophie. Bd. 1. Hamburg: Felix Meiner Verlag. S. 304.

      16 Vgl. el-Hani, Charbel/Sami Pihlström (2002). „Emergence Theories and Pragmatic Realism“. Essays in Philosophy – A Biannual Journal. Vol. 3. No. 2. Erhältlich online auf URL: www.humboldt.edu~essays (Archiv) (Stand: 16. März 2007). S. 26-33 und vgl. Stephan (1999b). S. 253.

      17 Vgl. Stephan (1999b). S. 252-253.

      18 Vgl. Stephan (1999b). S. 99-128.

      19 Vgl. Stephan (1999b). S. 249-251 und Caston, Victor (1997). „Epiphenomenalisms, Ancient and Modern“. The Philosophical Review. Vol. 106. No. 3. S. 332-339 und S. 351-354.

      20 Vgl. Haldane, John (1996). „The Mystery of Emergence“. Proceedings of the Aristotelian Society. Vol. 96. S. 261.

      21 Vgl. Stephan (1999b). S. 249.

      22 Vgl. Stephan (1999b). S. 76-77 und Stephan (1999a). S. 304.

      3 Die Vordenker des Emergentismus

      3.1 John Stuart Mill: „A System of Logic“

      John Stuart Mills Werk „A System of Logic“ von 1843 ist darauf angelegt, in einer systematischen und umfassenden wissenschaftsphilosophischen Arbeit das Thema des induktiven Erkenntnisgewinns zu behandeln. In diesem Rahmen stellt er auch jene wegbereitenden Überlegungen an, die für den Emergentismus von großem Einfluss sein sollten. Zentral ist dabei seine Unterscheidung in heteropathische und homopathische Gesetze bzw. heterogen und homogen wirkende Ursachen.23

      3.1.1 Homopathisch und heteropathisch

      Mill nimmt in seinen Überlegungen eine Situation an, in der mehrere Faktoren unter bestimmten Bedingungen zusammenwirken und so einen bestimmten Effekt hervorbringen. Da er davon ausgeht, dass jeder der an dieser Situation beteiligten Einzelfaktoren – für sich genommen – unter den gleichen Bedingungen auch einen Effekt gehabt hätte, stellt sich für ihn die Frage, ob sich die gemeinsame Wirkung der Faktoren schon dann bestimmen lässt, wenn man nur diese Einzelwirkungen kennt. Die Frage ist also, ob sich, anders ausgedrückt, die (zuvor bekannten) Einzelwirkungen der Faktoren zu einer Gesamtwirkung einfach summieren lassen?24 Mill sieht dies besonders im Bereich der Mechanik als gegeben. So führt er an einem Beispiel aus der Dynamik an, wie sich unterschiedliche Kraftwirkungen auf einen Körper miteinander addieren lassen. Und auch in der Physik könne man die Teile eines zusammengesetzten Körpers einfach zu seinem Gesamtgewicht addieren.25 Mill fasst dies in folgendem Gesetz zusammen:

      „I shall give the name of the Composition of Causes to the principle which is exemplified in all cases in which the joint effect of several causes is identical with the sum of their separate effects.“26

      Obwohl dieses Prinzip eine „general rule“27 darstelle, scheint es, Mill zufolge, nicht überall zu gelten. Jeder andere Fall sei mithin als Ausnahme zu sehen („the other case [is] exceptional“28). So gelte es nicht in den Bereichen der Physiologie, der Psychologie und der Chemie, da diese ihre Existenz gerade eben einem Bruch des Prinzips der Composition of Causes verdanken würden.29 Für die Chemie gibt er dabei folgendes Beispiel:

      „The chemical combination of two substances produces, as is well known, a third substance with properties different from those of either of the two substances separately, or both of them taken together.

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