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Untersuchung ihrer Schriften kulminiert in der Beschreibung der Hauptmerkmale des Britischen Emergentismus. Damit ist die notwendige Basis für ein tieferes Verständnis und für die Bewertung sowohl der klassischen als auch der modernen Emergenzkonzeptionen gelegt. Zudem wird begründet, warum der Emergentismus schon Ende der 1920er Jahre wieder aus dem Fokus der Philosophie verschwand. Ein kurzer Blick auf die Wiederkehr emergentistischer Ansätze Ende der 1970er Jahre in den Schriften von Karl Popper und Mario Bunge schließt die begriffsgeschichtliche Untersuchung des Emergenzbegriffs ab.

      TEIL II Die moderne Debatte um den Emergenzbegriff findet vor allem in der Philosophie des Geistes statt, wo er derzeit am Profiliertesten diskutiert wird. Da Phänomene in der Regel vor allem deshalb als emergent bezeichnet werden, weil sie irreduzibel sind, ist in einem Exkurs zunächst ein adäquater Reduktionsbegriff zu formulieren. Einer anschließenden Betrachtung der physikalistischen geistesphilosophischen Positionen des 20. Jahrhunderts folgt die Erörterung der Frage, in welcher Weise der Emergenzbegriff in der modernen Philosophie des Geistes verortet werden kann. Dabei zeigt sich, dass, insofern zeitgenössische Autoren für die Existenz von Qualia plädieren, dies in der Regel einen Qualia-Emergentismus impliziert. Mit diesem verbindet sich in der Geistesphilosophie die Hoffnung, das Leib-Seele-Problem in einer nicht-reduktiv-physikalistischen Weise lösen zu können, die sowohl unserem naturwissenschaftlichen Grundverständnis der Welt Rechnung tragen kann, als auch der Erfahrung, dass menschliche Gedanken und Emotionen einen eigenständigen Bereich umfassen, der nicht einfach auf die Naturwissenschaften reduzierbar ist. Doch ist der Qualia-Emergentismus den Problemen der abwärts gerichteten Verursachung sowie der mentalen Verursachung ausgesetzt, wobei zu klären ist, ob diese sich unter Bedingungen eines physikalistischen Verständnisses von Emergenz lösen lassen oder nicht.

      TEIL III Doch bedarf es wirklich einer reduktionistischen Weltsicht im Allgemeinen bzw. einer physikalistischen Weltsicht im Besonderen, um als philosophische Theorie Anspruch auf angemessene Einbindung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse erheben zu können? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich nicht nur, dass der szientistische Reduktionismus immer an bestimmten Phänomenen der natürlichen Welt scheitern muss, die sich grundsätzlich nicht reduzieren lassen, sondern auch, dass dessen Spielart, der Physikalismus, selbst in der Physik zahlreichen Einschränkungen ausgesetzt ist, und somit nicht als wissenschaftlich fundierte Strömung angesehen werden kann.

      TEIL IV Auch wenn der Physikalismus zu verwerfen ist, muss damit nicht auch gleichzeitig der Begriff der Emergenz aufgegeben werden. Denn es ist durch nichts evident, dass sich Emergenz nur im Rahmen des Physikalismus formulieren lässt. Entsprechend könnte der Emergenzbegriff sehr wohl in der Lage sein, irreduzible Phänomene wie Qualia adäquat zu interpretieren. Daher gilt es, eine Neubestimmung des Emergenzbegriffs vorzunehmen. Hierzu bedarf es zunächst der Explikation der epistemologischen Grundlagen, d.h. der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, denen diese Neubestimmung unterliegen soll. Sie müssen aus zwei Gründen offengelegt werden: Zum einen, um den Nachvollzug der Argumentation zu erleichtern, und zum anderen, um den Rahmen für die nachfolgenden Überlegungen in erforderlicher und geeigneter Weise zu verengen. Anschließend wird geprüft, ob neben Qualia auch andere emergente Phänomene in der natürlichen Welt auftreten. Außerdem wird dafür plädiert, dass der Emergenzbegriff – entgegen dem üblichen Verständnis – als erklärungsmächtiger Begriff angesehen werden muss. Die Neubestimmung des Emergenzbegriffs als naturphilosophischer Ansatz von Emergenz trägt nicht nur den verschiedenen Problemen und Schwächen des Emergenzbegriffs aus der historisch-systematischen Analyse Rechnung, sondern auch den Erkenntnissen aus den geistesphilosophischen sowie den anti-physikalistischen und -reduktionistischen Betrachtungen. Auch wird der konzeptionelle Status des naturphilosophischen Emergenzbegriffs sowie sein Verhältnis zu den Naturwissenschaften geklärt.

      TEIL V Zur Beleuchtung des Verhältnisses zwischen Naturwissenschaft und Religion wird einleitend Andrew Newbergs neurotheologischer Ansatz einer Biologie des Glaubens vorgestellt. Dieser lässt sich in zwei Lesarten fruchtbar machen: In der stärkeren Lesart ist er konkretes Beispiel für einen szientistisch-reduktionistischen Standpunkt in Bezug auf die Religion und macht damit deutlich, inwiefern der Dialog zwischen Naturwissenschaft und Religion als herausgehobenes Problemfeld zu betrachten ist. In der schwächeren Lesart erweist er sich als möglicher Vorschlag für eine naturwissenschaftliche Rückbindung religiöser Erfahrungen. Ein Religionsbegriff, der so voraussetzungsarm wie möglich, und damit sogar für Religionsgegner – also auch für szientistische Reduktionisten – nachvollziehbar sein soll, klärt, was genau mit ‚Religion‘ gemeint ist. Im Anschluss wird der Emergenzbegriff auf diesen minimalen Religionsbegriff angewandt, wobei sich erweist, dass Religion nicht nur in einzelnen Bestandteilen, sondern als strukturelles Gesamtphänomen unter den Emergenzbegriff fällt. Abschließend wird gezeigt, welche Konsequenzen sämtliche Betrachtungen für den Dialog zwischen Naturwissenschaft (als szientistischem Reduktionismus) und Religion mit sich bringen.

      Vornehmlich einem philosophischen Rahmen verpflichtet, bewegen sich die vorliegenden Betrachtungen durchgängig in interdisziplinären Zusammenhängen. Dabei werden neben philosophiegeschichtlichen, geistesphilosophischen, religionsphilosophischen und wissenschaftstheoretischen Aspekten nicht nur erweiterte Kontexte aus dem geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich in Form psychologischer und sozialphilosophischer Überlegungen mit einbezogen, sondern auch in beträchtlichem Maße naturwissenschaftliche Aspekte dargestellt und diskutiert, so aus der klassischen Physik, der Quantenphysik und der Evolutionsbiologie. Neben historischen Nachvollzügen und Systematisierungen orientieren sich die Darstellungen vor allem an der philosophischen Analyse von Begriffen.

      1 Vgl. Riesebrodt, Martin (2000). Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der „Kampf der Kulturen“. München: C.H. Beck 2001. S. 9.

      2 Vgl. Kamen, Al (2005). „George W. Bush and the G-Word“. The Washington Post. Amerikanische Druckausgabe vom 14. Oktober 2005.

      3 Die damalige hessische Kultusministerin Karin Wolff stieß 2006 mit dem Vorschlag, kreationistische Lehren im hessischen Schulunterricht zu dulden, auf deutliche Ablehnung. Vgl. Welt.de/dpa (2006). „Kreationisten im hessischen Biologie-Unterricht“. Welt-Online vom 01.11.2006. URL: http://www.welt.de/wissenschaft/article91539/Kreationisten_im_hessischen _Biologie_Unterricht.html (Stand: 14.11.2010).

      4 Vgl. Dawkins, Richard (2006). The God Delusion. Boston: Houghton Mifflin und Hitchens, Christopher (2007). God Is Not Great: How Religion Poisons Everything. London: Atlantic Books.

I EMERGENZ – HISTORISCH-SYSTEMATISCHE BEGRIFFSANALYSE

      2 Einführung

      Die historische Entwicklung des Emergentismus lässt sich mit Achim Stephan in vier Phasen unterteilen5: Seinen Anfang nahm der Emergentismus im 19. Jahrhundert mit den Werken seiner Vordenker John Stuart Mill („A System of Logic“6, 1843) und George Henry Lewes („Problems of Life and Mind“7, 1875). In der ersten Hälfte der 1920er Jahre kamen in der zweiten Phase die Theorien des Britischen Emergentismus8 zur Blüte. Die Hauptvertreter dieser Strömung sind Samuel Alexander („Space, Time and Deity“9, 1922), Conwy Lloyd Morgan („Emergent Evolution“10, 1925) und Charles Dunbar Broad („The Mind and its Place in Nature“11, 1925). Obwohl der Britische Emergentismus schon in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wieder rapide an Bedeutung verlor, wurde er noch bis in die 60er Jahre hinein diskutiert bzw. kritisiert. Diese – vergleichsweise lange – Periode bildet die dritte Phase des Emergentismus. Erst in den 1970er Jahren gewann der Emergenzbegriff wieder an Bedeutung. Besonders Karl Popper („The Self and its Brain“12, 1977) und Mario Bunge („The Mind-Body Problem“13, 1980) entwickelten wieder eigenständige Emergenzkonzeptionen und trugen damit zur Wiederkehr emergenztheoretischer Ideen in die Philosophie bei. Ihre Arbeiten leiteten die vierte Phase des Emergentismus ein, die bis heute anhält. Der jüngere Teil dieser Phase, die aktuelle Qualia-Debatte, aus welcher die derzeit stärksten Argumente für eine emergenztheoretische Position in der Philosophie stammen, führt aus der historisch-systematischen Betrachtung des Emergentismus

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