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des Abbruchs bzw. Verzichts von künstlicher Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr hinterfragte, um die Kirche in ihrer Rolle als Schützerin des Lebens zu stärken. Dabei engte er den wissenschaftlichen Fokus vor allem auf jene Gläubigen ein, die dem Wunsch eines Patenten nach Behandlungsabbruch bzw. -verzicht nachkamen und umsetzten. Die kirchenrechtlichen Konsequenzen für jene aber, die den Wunsch nach Abbruch oder Verzicht künstlicher Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr äußerten und in die entsprechende Handlung bzw. Unterlassung einwilligten, wurden nicht reflektiert.27

      Neben der existierenden Forschungslücke, die hinsichtlich der Fragestellung der deutsch- und fremdsprachigen Kanonistik zu attestieren ist, muss zudem darauf hingewiesen werden, dass auch auf Seiten der kirchlichen Autorität eine breite Reflexion der rechtlichen Konsequenzen von ethisch unzulässigen medizinischen Interventionen am Lebensende fehlt. Auf Ebene der Bischofskonferenz haben lediglich die niederländischen Bischöfe im Jahr 2005 dieser Thematik eine umfassende Handreichung zur pastoralen Sorge rund um die Bitte nach Euthanasie und Beihilfe zum Suizid28 gewidmet.29 Eine Analyse der pastoralen Handreichung mittels kanonistischer Methode ist bisher nicht erfolgt.30

      Auch wenn die vorliegende kirchenrechtliche Studie mit der zugrunde liegenden Fragestellung in der Kanonistik wissenschaftliches „Neuland“ betreten hat, konnten Erkenntnisse, die für die Bearbeitung der Fragestellung notwendig sind, aus entsprechenden Studien zu terminologischen, medizinischen, moraltheologischen, lehramtlichen, liturgiewissenschaftlichen sowie kanonistischen Aspekten von Euthanasie, medizinischen Handlungen am Lebensende, der Situation von schwerkranken und sterbenden Patienten sowie des kirchlichen Begräbnisses gesichtet und rezipiert werden. Sowohl für die Bestimmung der vom Lehramt verwendeten Terminologie in Abgrenzung zu den in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gängigen Begriffen31 als auch für die Analyse der kirchlichen Lehre über die Unantastbarkeit menschlichen Lebens und der Verurteilung von Euthanasie und anderer medizinischer Interventionen am Lebensende stehen Dokumente des kirchlichen Lehramts und eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien in Moraltheologie und Ethik32 zur Verfügung, auf die in angemessener Weise zurückgegriffen wurde.

      Für die Reflexion von Theologie und Ekklesiologie des kirchlichen Begräbnisses konnten sowohl kirchliche Dokumente33 als auch liturgiewissenschaftliche Studien rezipiert werden.34 Der profunden Analyse des jeweils zeitgenössischen kirchlichen Umgangs mit Suizidanten vor allem mit Blick das kirchliche Begräbnisrecht und dessen Applikation halfen rechtsgeschichtliche Untersuchungen. Sie unterstützten die Differenzierung der vom jeweiligen Zeitgeist gefärbten theologischen wie rechtlichen Gründe für eine Begräbnisverweigerung, die Klärung des gewandelten theologischen wie ekklesiologischen Verständnisses des kirchlichen Begräbnisses mit Blick auf dessen eschatologische Implikationen als auch die Ursachenforschung der historisch bedingten Interpretationen einer freiheitlichen Entscheidung für Selbsttötung seitens der katholischen Kirche.35 Dadurch offenbarten sich erhebliche Differenzen zwischen der kirchlichen Gesetzgebung über Gewährung und Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses nach Selbsttötung und der Anwendung der rechtlichen Normen im konkreten Einzelfall. Die zur Hilfe genommenen Rechtsquellen wie Konzilstexte, Bußbücher und Rituale sowie die kanonistischen Kommentare wurden vorwiegend in Form von Sekundärliteratur und nicht als Primärliteratur verwendet, sofern dies nicht explizit angegeben ist.36 Diese Vorgehensweise erschließt sich vor dem Hintergrund, dass kein Quellenkommentar an sich oder eine historisch-kritische Einordnung hinsichtlich des jeweils zeitgenössischen theologischen wie rechtlichen Verständnisses intendiert war, sondern die historischen Quellen als hermeneutischen Schlüssel zur Interpretation heutiger theologischer Aussagen und rechtlicher Normen herangezogen wurden.

      Für die Rechtsinterpretation des kodikarischen Begräbnisrechts, gegeben im Codex Iuris Canonici von 1917 (=CIC/1917) und Codex Iuris Canonici von 1983 (=CIC/1983), wurde auf einschlägige Kommentare37 sowie wissenschaftliche Publikationen38 zurückgegriffen. Für die Frage nach der subjektiven Zurechenbarkeit der Einwilligung in Euthanasie und andere medizinische Interventionen am Lebensende und der daraus womöglich folgenden subjektiven Schuld des Verstorbenen wurden neben medizinischer und moraltheologischer Fachliteratur über Freiheitsentscheidungen im Kontext von schwerer Krankheit39 auch quantitativ-empirische Studien der Suizidologie herangezogen und deren Erkenntnisse über die Situation der schweren Krankheit sowie implizierte Zwänge, Furcht und Ängste aufgegriffen, reflektiert und wissenschaftlich eingeordnet.40 Mit Blick auf die Applikation des Rechts, insbesondere auf die Rechtsmittel der Barmherzigkeit, Dispens, Dissimulation und aequitas canonica, die alle der Förderung des Seelenheiles (salus animarum) dienen, und hinsichtlich der Bedeutung der Formulierung des konkreten Sachverhalts und deren theologischen Implikationen fand sich eine breitgefächerte kirchenrechtliche Literatur.41

      In Anbetracht der Tatsache, dass sich die vorliegende Studie einem Forschungsgebiet aus nahezu unbehandelter Perspektive nähert, kann es nicht Ziel der Arbeit sein, die Thematik vollumfassend und abschließend zu erschließen und alle offenen Fragen zu beantworten, sondern einen ersten, weitere Fragen und Forschungsbereiche aufwerfenden Beitrag zu leisten. Es gilt zunächst, theologische wie kanonistische Wissenschaft und kirchliche Praxis für die Komplexität der Problemstellung zu sensibilisieren, die Relevanz dieses Themenkomplexes zu begründen und beteiligte Personen sprach- und handlungsfähig zu machen. Es soll zudem deutlich werden, dass eine theologisch-ethisch und kirchenrechtlich verantwortbare Ausübung von pastoraler Seelsorge nach dem Vollzug von Euthanasie und anderen medizinischen Handlungen nur im Dialog sowohl der innertheologischen Disziplinen als auch mit den juristischen und humanwissenschaftlichen Wissenschaften gelingen kann.42

      Fragen im Bereich des Heiligungsdienstes (munus sanctificandi) bewegen die katholische Kirche in ihrem innersten Wesen, da sie sich selbst in ihrer vorrangigen Aufgabe als Vermittlerin des Heils im Auftrag Christi versteht. Damit sie aber als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1) auch wahrgenommen und verstanden wird, ist sie selbst gefordert, bei den Menschen zu sein und für sie zu wirken, sowie ihre Probleme und Nöte zu kennen, um mit pastoraler Sorge angemessen darauf reagieren und die kirchliche Lehre adäquat verkündigen zu können. Kirche ist daher gefordert, sich den Zeichen, Problemen und Fragen der Zeit43 zu stellen und trotz eventueller Verfehlungen – vor allem in solch speziellen Situationen wie schwerer Krankheit im Angesicht des nahenden Sterbens – ihren Sendungsauftrag mit seelsorglichem Wirken zu füllen. Die grundsätzliche Herangehensweise an einen solchen problembeladenen Sachverhalt muss geprägt sein von einem Suchen und Verkünden der Wahrheit in Verbindung mit einer Hermeneutik der göttlichen Barmherzigkeit und der Sendung Jesu zu allen Menschen, auch den Sündern.

      Dies erfordert für die vorliegende Studie zunächst einen anthropologischen Zugang, der den aufgrund von Euthanasie oder anderen ethisch unzulässigen Handlungen verstorbenen schwerkranken Gläubigen mit seiner ganz konkreten krankheitsbedingten lebensgeschichtlichen Situation sowie dessen Angehörige mit ihrer Trauer und der Verarbeitung ihres Verlustes in den Mittelpunkt rückt und der Frage nachgeht, wie für diese angemessen Seelsorge zu gestalten ist. Ferner bedarf es eines lösungsorientierten Ansatzes, mit dem die in der Praxis auftretenden Probleme wahrgenommen, zur sachlichen Analyse ihres speziellen Kontextes abstrahiert, alle zu ihrer Klärung notwendigen Aspekte reflektiert und im Sinne einer synthetischen Zusammenschau zu einem Ergebnis bzw. zu einer Lösung zusammengebracht werden. Für diese Ausrichtung der vorliegenden Studie bedarf es einer kanonistischen Methodik, die die Erkenntnisse aus Theologie, Moraltheologie und Psychologie sowohl für die Interpretation als auch für die Anwendung des Rechts aufbereitet und als dessen Hermeneutik versteht. Eine ausschließliche Interpretation der Gesetze würde der Komplexität und Brisanz der Fragestellung nicht im Ansatz gerecht werden und erscheint daher als unzureichend. Die grundsätzlich offen formulierte Fragestellung erlaubt dabei ein ergebnisoffenes wissenschaftliches Arbeiten, wodurch der Druck, ein im Vorfeld gesetztes Ziel erreichen zu müssen, vermieden wurde.

      Dennoch erhält die ergebnisoffene Herangehensweise durch das dem Verfasser eigene Verständnis des kirchlichen Rechts als Instrument der kirchlichen Autorität zur Förderung des Seelenheils, der

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