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eine Beschädigung“110 hervorgerufen hat, kann auf einer niedrigen Stufe überwunden werden:

       „Wodurch? In der Liebe. Paulus sagt: ‚Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder, und liebt einander, weil auch Christus euch geliebt hat.‘ “111

      Die Seele des Menschen soll mit der Liebe des Wortes gleichförmig werden. Die Ähnlichkeit mit dem Wort, die der Seele in die Natur gelegt worden ist, soll durch Ähnlichkeit bzw. Gleichförmigkeit („conformitas“) im Willen vollkommener werden, indem die Seele liebt, „wie sie geliebt ist“112:

       „Diese Gleichförmigkeit vermählt die Seele mit dem Wort. ... Wenn sie also vollkommen liebt, hat sie sich vermählt. ... Es ist eine Umarmung. Ja eine Umarmung, wo dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen aus zweien einen Geist macht.“113

      Bei der Erwiderung der göttlichen Liebe des Wortes spielt für Bernhard der freie Wille des Menschen eine entscheidende Rolle: Der freie Wille ist nämlich der Teil der Seele, in dem die Ähnlichkeit mit dem Urbild Gottes aufscheint. Der freie Wille ist das Geschenk Gottes an die Seele114:

       „Durch den freien Willen nämlich hat die Seele in sich Erkenntnis der Unterscheidung und die Möglichkeit der Wahl zwischen Gut und Böse, zwischen Tod und Leben, zwischen Licht und Finsternis und anderen im Bereich des Sittlichen auftauchenden Gegensätzen im Gehaben des menschlichen Geistes. Zwischen all dem urteilt und scheidet ein unbestechlicher Schiedsrichter, dieses Auge der Seele, ebenso sachlich im Unterscheiden als frei in der Wahl. Daher sagt man ja auch ‚freies Wahlvermögen‘, weil es der Seele freisteht, sich hier nach dem Wahlvermögen des Willens zu bewegen. Von daher ist der Mensch fähig, verdienstlich zu handeln: alles nämlich, was du Gutes oder Böses tust, obgleich es dir freistand, es nicht zu tun, wird dir zurecht angerechnet. Und unverdientermaßen wird nicht nur der gelobt, der das Böse tun konnte, es aber tat. Ebenso wird zurecht wegen Missverdienst getadelt, wer das Böse unterlassen konnte und es trotzdem tat, als auch wer das Gute tun konnte und es nicht tat. Wo aber keine Freiheit ist, da ist auch kein Verdienst.“115

      Deshalb können die Lebewesen, denen der freie Wille fehlt bzw., wie Bernhard einschiebt, die „der Vernunft entbehren“116, weder Verdienste haben noch wegen irgendwelcher sittlicher Verfehlungen gerichtet werden, da sie von ihren Trieben geleitet werden: „Allein der Mensch ist von Natur aus nicht diesem Zwang ausgeliefert, und daher ist er allein unter den atmenden Wesen frei.“117

      Wenn der Wille des Menschen eins wird mit der göttlichen Liebe, die dem Menschen durch das Wort geschenkt wird, wenn die Seele des Menschen mit der gleichen Liebe liebt, mit der sie geliebt wird, dann vermählt sich die Seele mit dem Wort Gottes, Christus.

       „Dazu kommt, dass dieser Bräutigam nicht nur ein Liebhaber ist, sondern die Liebe selbst. ... Aber ich habe gelesen: ‚Gott ist die Liebe‘ (1 Joh 4,16).“118

      Diese Vermählung mit Christus ist eine Vereinigung im Geiste. Der Bräutigam ist nicht Christus in seiner irdischen Gestalt, die Einheit entspricht keiner Gleichförmigkeit in Leiden und Tod119, sondern es ist

       „die heilige und keusche Liebe, die zarte und süße Liebe, die ebenso heitere wie lautere Liebe, die gegenseitige, innige starke Liebe, die nicht in einem Fleisch, sondern in einem Geist die beiden verbindet, die bewirkt, dass die zwei fortan nicht mehr zwei, sondern eins sind (Mt. 19,5), gemäß dem Wort des Paulus: ´Wer Gott anhängt, ist ein Geist mit ihm.´(1 Kor 6,17).“120

      Es ist der nach Leiden und Tod auferstandene und beim Vater erhöhte Christus, die Göttlichkeit des Sohnes, die sich jedoch den Sinnenkräften des Menschen entzogen hat, mit dem sich die Braut, die menschliche Seele, vereinigt:

       „Du siehst, wie sie in der Höhe steht und das Äußerste ihres Geistes nach oben erhebt, da sie den Herrn des Alls mit einem gewissen Besitzeranspruch als Geliebten bezeichnet. Beachte nämlich, dass sie nicht nur ‚Geliebter‘, sondern ‚mein Geliebter‘ sagt, um ihn als ihr eigen zu bezeichnen. Groß ist doch diese Schau („visio“), durch die sie den Herrn des Alls nicht mehr als Herrn kennt, sondern als Geliebten. Ich glaube nämlich, dass ihr dieses Mal keineswegs Bilder des Fleisches, des Kreuzes oder andere, die den körperlichen Begrenztheiten entsprechen, durch die Sinne vermittelt wurden. Bei diesen hatte er nämlich nach dem Propheten ‚keine schöne und edle Gestalt‘ (Jes 53,2). Sie aber preist ihn bei seinem Anblick als schön und edel und beweist damit, dass er sich ihr in einer besseren Gestalt gezeigt hat. ... So beschreibt sie ihn nämlich mit ihrem Mund, wie sie ihn auch in ihrem Geist erblickt, eben in einer erhabenen und beglückenden Erscheinung. Den König mit seiner ganzen Schönheit sahen ihre Augen, doch nicht als König, sondern als Geliebten. So sah ihn freilich einer auf einem hohen und erhabenen Thron (Jes 6,1), und ein anderer bezeugt, er sei ihm sogar von Angesicht zu Angesicht erschienen (Gen 32,30).“121

      Zusammenfassend lässt sich also sagen: Durch Bernhard von Clairvaux kam es in der Spiritualität der Kirche zu einer wesentlichen Erneuerung, nämlich zu einer „Emotionalisierung der Gottes- beziehung“122:

      „Emotionalisierung in dem Sinne, dass nun mehr, ganz anders als im Frühmittelalter, eine Liebesbeziehung zu Gott aufgebaut wird.“123

      Dadurch änderte sich auch das Christusbild.124 Aus dem Himmelskönig Christus wurde nun der Bräutigam, der Geliebte, und der Mensch wurde zur „Braut“:

       „Vorher hieß es: ‚der König‘, jetzt: ‚der Geliebte‘, vorher: ‚auf dem königlichen Lager‘, jetzt: ‚an der Brust der Braut.‘ “125

      Da für Bernhard die Liebe – wie wir gesehen haben – „fleischlich“, d.h. kreatürlich und sinnlich beginnt, muss auch Gott zuerst auf dieser Ebene geliebt werden. Diese Liebe beginnt mit der sinnlichen Liebe zur irdischen Gestalt Christi: Bernhard hat somit den

      „entscheidenden Anstoß für die meditative Beschäftigung mit dem historischen Jesus gegeben. Die ungemein intensive Devotion zum leidenden Heiland und zum Christkind, die vom Spätmittelalter bis in den Barock hinein das erlebnismystische Leben prägen und, von dort übernommen, auch in der Volksfrömmigkeit dominieren sollte, ist in seinen Schriften in entscheidender Weise vorbereitet. Durch den weiten Umlauf seiner Werke wurden zahlreiche religiös empfängliche Menschen mit Meditationstexten konfrontiert, die sie in ihrem ekstatischen Erleben in visionäre Bilder umzuwandeln vermochten. Wenn man sich jetzt auf die Menschheit Christi konzentrierte, statt auf seine Gottesnatur, so ist dies ein zentrales Indiz für die mentalitätsgeschichtlichen Veränderungen, die sich im hohen Mittelalter vollzogen.“126

      Vor allem die Hoheliedpredigten Bernhards, die von seinen Mitbrüdern, dem sel. Wilhelm von St. Thierry (1085/90-1148/49)127 und Gilbert von Hoyland (+ 1172)128 ergänzt und kommentiert wurden, wirkten auf das religiöse (mystische) Leben129:

      „Die spätmittelalterlichen Mystiker, die die erotische Symbolisierung der Gotteserfahrung in der Seele näher ausführten, kehrten immer wieder zu Bernhards Sermones super Cantica canticorum zurück. Sogar als sie die Einung mit Gott nicht mehr in der Form eines Hoheliedkommentars ausdrückten, behielten die Predigten Bernhards ihre Faszination.“130

      Bernhards Gedanken wurden seit dem 13. Jahrhundert von den Frauen begeistert aufgegriffen131: „Manches in den Visionen der Frauenmystik scheint eine unbewusste Umsetzung seiner Metaphern in erfahrene Realität zu sein.“132

      Mit Margarete Ebner wollen wir hierzu eine Mystikerin aus dem Umkreis Taulers zu Wort kommen lassen133:

       „Ich het grozzen lust und begird, daz ich den kus enphieng mit minem herren sant Bernhart und umbvangen würde mit der minne siner arme, und daz er mir ain grif in daz hertz tät.“ 134

      „Ich habe eine große Lust und (ein großes) Begehren danach, dass ich zusammen mit meinem Herren Sankt Bernhard den Kuss (Christi) empfange und von

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