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macchiato.

      Die beiden Kommissare setzten sich an den einzigen freien Tisch. Durch das gegenüberliegende Fenster sahen sie hinaus auf den Hof. Es herrschte ein geschäftiges Treiben an diesem Tag, ein ständiges Kommen und Gehen. Immer wieder trafen Lieferfahrzeuge ein, luden volle Kisten, Körbe und Pakete ab oder leere Behälter auf und fuhren weg. Unter dem überraschten Blick von Elli Jones holte Zeller einen Flachmann aus der Innentasche seines Mantels und goss sich einen gehörigen Schluck in die Espressotasse.

      Ungefragt streckte sie ihm auch ihre Kaffeetasse entgegen. »Genau das brauche ich jetzt, Herr Kriminalhauptkommissar.«

      Er zögerte kurz, ehe er den Schnaps in ihre Tasse goss. »Wird uns beiden guttun nach diesem verrückten Tag. Prost«, sagte er dann. Mit einem einzigen Schluck trank er die schwarze, hochprozentige Kaffeemischung aus. Akribisch schälte er danach das beiliegende Keks aus der Verpackung und schob es sich zwischen die Zähne. Genüsslich zermalmte er das harte Gebäck. »Kennen Sie den Bioladen? Ja? Haben Sie schon mal hier gegessen? Nein? Das müssen Sie unbedingt nachholen. Die französischen Linsen aus der Auvergne sind ein Traum. Oder der Rotbarsch im Salzmantel, dazu ein Gemüseragout aus Auberginen, Tomaten und Sellerie. Alles frisch zubereitet. Ich liebe es.« Für Zellers Verhältnisse war das ein ungewohnter euphorischer Ausbruch gewesen. So was hörte man selten von ihm. Er ließ es auf sein Gegenüber wirken. Jones sollte sich den Moment einprägen, allzu oft würde sie ihn nicht erleben. Erst nach einer Weile sprach er weiter und fragte: »Wieso wollten Sie eigentlich unbedingt nach Rottweil? Sie hätten es sich aussuchen können. Bei Ihren Noten und der super Beurteilung hätte jede Dienststelle Sie mit Handkuss genommen. Leute wie Sie sind gefragt. Nur kann ich mir nicht vorstellen, wie man zu so einer großartigen Benotung kommt. Ist Ihr Vater Innenminister oder irgendein anderes hohes Tier? Sagen Sie mir, was Sie dafür getan haben.« Er grinste unverschämt.

      »Mit dem Chef geschlafen natürlich, was sonst?«, gab sie zurück und sah ihn mit großen Augen an.

      »Hören Sie auf, Jones. Mit dem alten Griesgram Kopella ins Bett? Ich habe viel Fantasie, aber da hört sie auf.« Er winkte der Bedienung, bestellte sich einen weiteren Espresso und seiner Kollegin eine Latte gleich mit. Ihre Antwort gefiel ihm. Die Frau war gar nicht so übel.

      »Natürlich habe ich nichts mit Kopella gehabt, mit ihm nicht und auch mit keinem anderen.«

      »So genau wollte ich es gar nicht wissen«, entgegnete Zeller und grinste wieder.

      Sie bekam einen roten Kopf und war um Festigkeit in ihrer Stimme bemüht: »Was denken Sie denn von mir! Ich habe mich angestrengt. Es ist mein Traumberuf! Ich will was bewegen. Ich möchte dazu beitragen, dass sich jeder in unserem Land sicher fühlen kann, dass das Verbrechen keine Chance hat. Ich möchte mithelfen, dass es weniger Kriminalität in unserem Lande gibt.« Sie trank einen Schluck von ihrer zweiten Latte macchiato, die die Bedienung eben vor ihr abgestellt hatte. Langsam normalisierte sich ihre Gesichtsfarbe wieder.

      »So kriminell ist es bei uns gar nicht. Zum Glück, und wir machen einiges dafür, damit es so bleibt. Unsere Zahlen sind gut. Also, warum Rottweil? In einer Großstadt wäre mehr los als hier. Bis heute Morgen war das jedenfalls noch so. Mit den aktuellen Mordfällen können wir es allerdings mit jeder Metropole aufnehmen. Bitte verraten Sie mir, warum Ihre Wahl nicht auf Stuttgart gefallen ist, wo alle guten Abgänger hinwollen, oder meinetwegen auf Heidelberg. Meines Wissens suchen die dort dringend jemanden.«

      »Ich komme von Stuttgart. Dort habe ich meine dreijährige Ausbildung absolviert. Es musste aber unbedingt Rottweil sein. Ich wollte zu Ihnen.«

      »Zu mir?« Er schaute sie erstaunt an. Das war mal etwas ganz Neues, dass jemand seinetwegen in die Stadt kam. Die meisten wollten wegen ihm so schnell es ging wieder weg.

      »Genau. Sie haben einen wirklich guten Ruf. Da habe ich mir gedacht, wenn es irgendwie geht, will ich zum Zeller. Der kann mir was beibringen, bei dem lerne ich wirklich etwas. Wie Sie den Fall mit den Dutzenden Mafiosi gelöst haben – echt toll. So will ich werden.«

      Zeller musste bei diesen Worten grinsen. Da hatte er ja gleich am Anfang viel dafür getan, um ihre schönen Vorstellungen von ihm zu zerstören. Als ob er ein Vorbild sein könnte! Sein Heiligenschein dürfte in ihren Augen dahin sein. Und das war gut so. Womöglich ohrfeigte sie sich schon jetzt im Stillen für ihre fixe Idee und überlegte panisch, wie sie aus dieser Nummer wieder rauskam, ohne einen negativen Eintrag in ihre Personalakte verpasst zu bekommen. Ihr polizeiliches Idol war ein Säufer. Das hatte ihr bisher niemand gesteckt. Alle hatten dichtgehalten und ihn nicht verraten.

      Als eine Art Wiedergutmachung bot er ihr das Du an. Sie freute sich sichtlich darüber. Ihm erschien es schlicht unkomplizierter im Umgang miteinander. Zeller schmunzelte und goss sich einen Schluck aus seinem Flachmann in die leere Tasse. Genau wie in ihre.

      Kapitel 6

      Am Tisch hinter den beiden Kriminalbeamten saß scheinbar ein vollkommen in seine Zeitung versunkener junger Mann. Nichts in der Welt vermochte ihn von seiner Lektüre abzulenken. Es musste ein spannender Bericht sein, den er da las. Er wandte selbst dann nicht den Blick ab, als er sein Croissant nach französischer Art in einen großen Pott mit dampfendem Kaffee tunkte. Genussvoll und genau zum richtigen Zeitpunkt steckte er sich das aufgeweichte Plunderteiggebäck in den Mund. Nicht zu früh und nicht zu spät. Hätte er einen Augenblick länger gewartet, wäre es als teigige Masse im Kaffeepott versunken.

      Mike Färber war stolz auf seine französische Vergangenheit. Er hatte seine gesamte Jugend unweit von Paris verbracht, war in der Hauptstadt zur Schule gegangen und hatte später sogar ein paar Semester Philosophie an der Sorbonne studiert. Das war eine tolle Zeit gewesen, intensiv und aufregend. Doch was gewesen war, war vorbei und allenfalls noch als nostalgischer Erinnerungskram etwas wert. Es war nicht alles schön gewesen und er war inzwischen froh, damals das Weite gesucht und in Deutschland eine neue Heimat gefunden zu haben. Aber immerhin hatte er in Frankreich gelernt, wie man richtig frühstückte. Er trank einen Schluck Kaffee und wischte sich mit dem Handrücken den Mund sauber.

      Wieso sprachen die beiden so leise? Kommissar Zeller war sonst kein Mann der leisen Töne. Er sagte deutlich, was er wollte. Nicht immer gewählt formuliert, aber so, wie es sein sollte – klar, schonungslos und ehrlich. Bei ihm gab es kein großes Drumherumgerede, kein Wischiwaschi wie bei den anderen, die sich oft scheuten, Stellung zu beziehen. Er machte unmissverständliche Ansagen. Jedenfalls meistens.

      Mike Färber saß nicht zufällig auf dieser Bank im Bistro des Rottweiler Bioladens. Die Zeitung interessierte ihn keineswegs. Sie diente nur der Tarnung, genau wie die Zelebrierung eines französischen Frühstücks. Ihn interessierte an diesem Samstagnachmittag nur, was der Kriminalhauptkommissar und seine ganz passable Begleitung zu besprechen hatten. Den Zeller kannte er gut, nicht persönlich zwar, aber von einigen Besuchen im Gericht und aus der Zeitung. Der Hauptkommissar stand öfter Rede und Antwort bei Prozessen, was er stets souverän und unaufgeregt meisterte. Färber hatte noch nie eine Situation erlebt, in der er aus der Ruhe gebrachte worden wäre. Zeller aufs Kreuz zu legen, wie es manche Verteidiger versuchten, war ein erfolgloses Unterfangen.

      Färber wollte näher ran an den Kommissar, ihn am besten als Informanten gewinnen. Vor einiger Zeit hatte er ihn deshalb um ein Interview gebeten. Ganz groß hätte er ihn im Radio herausgebracht, zur gefragtesten Sendezeit. Er hatte sich intensiv darauf vorbereitet und einige schöne Ideen entwickelt. Sein Konzept war genial gewesen.

      Doch es war anders gekommen. Zeller hatte ihm einen Korb gegeben. Kurz und knapp. Als ob er als Chefredakteur beim Radio Antenne 1 Neckarburg Rock & Pop in Rottweil überhaupt nichts zu melden hätte. Färber war beleidigt gewesen und hatte dies Zellers Vorgesetztem, Polizeirat Bausinger, gesagt. Der hatte nur mit den Schultern gezuckt und ihm erklärt, dass der Kommissar nun mal so sei. Da könne man nichts machen, weder er als sein Chef noch Färber als Starreporter. Er solle sich doch einen anderen bewährten Polizisten oder noch besser eine Polizistin suchen. Zeller sei nicht der Einzige hier. Aber der Beste, hatte er dem Polizeirat damals grimmig an den Kopf geworfen und die Polizeidirektion unverrichteter Dinge wieder verlassen. Dann würde er eben ein Interview mit einer Krankenschwester oder einem Feuerwehrmann führen. Die waren auch wichtig im städtischen

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