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einen Portier als Wachdienst in Personalunion. Der ist dann mit der Polizei verbunden. Zweimal die Nacht kommt eine Streife vorbeigefahren, einmal um Mitternacht, dann noch mal gegen vier.«

      »Wer hatte Dienst in der vergangenen Nacht?«

      »Eduard Seidel. Er war die gesamte letzte Woche zuständig. Es wird wöchentlich gewechselt. Bei großen Veranstaltungen hilft manchmal stundenweise Personal von einem anderen Sicherheitsunternehmen.« Wieder kamen der Frau die Tränen.

      Zeller stand auf. Von ihr würde er heute nichts Verwertbares mehr erfahren. »Frau Schatz, es ist gut für heute. Kommen Sie morgen in mein Büro. Es ist zwar Sonntag, aber Ihre Aussage ist wirklich wichtig, das brauche ich Ihnen nicht extra zu sagen. Morgen können Sie mit mir oder mit einem meiner Kollegen über alles in Ruhe reden. Man wird sich jetzt um Sie kümmern und Sie gern nach Hause bringen, wenn Sie möchten.« Mit einem Kopfnicken gab er der soeben eingetroffenen Polizeipsychologin ein Zeichen.

      Gerade als er den Raum verlassen wollte, rief die Managerin ihm aufgeregt hinterher: »Herr Kommissar, da war doch noch was. Fast hätte ich es vergessen. Als ich gleich nach dem Notruf gegen 7 Uhr zum Turm kam, war Ede Seidel vom Sicherheitsdienst nicht im Foyer an seinem Platz, wie sonst in aller Regel. Und trotzdem konnte ich eintreten, ohne den Pin eingeben zu müssen. Es war aber kein Mensch da. Erst nachdem ich laut nach Seidel gerufen habe, ist er erschienen.«

      »Wo ist er gewesen?«

      »Das weiß ich nicht. Er trug eine Papierrolle im Arm. Er sagte, er käme aus dem Raum für die Reinigungskräfte. Seine Jacke hatte einen deutlich sichtbaren nassen Fleck. Er hatte etwas verschüttet. Wenn Sie mich fragen, sah es wie Rotwein aus. Doch ich kann mich auch irren.«

      »Ist die Tür um diese Uhrzeit immer nur über den Pin zu öffnen?«

      »Oder mit dem Chip, den braucht man nur dranzuhalten. Meistens winke ich aber einfach nur dem anwesenden Sicherheitsbeamten zu und dieser öffnet mir dann die Eingangstür von seiner Theke aus. Der Betrieb geht ja erst viel später los. Heute war die Tür aber wie gesagt gar nicht verschlossen.«

      Zeller dankte ihr und versuchte, freundlich zu lächeln, obwohl er mit seinen Gedanken längst woanders war. Der Hinweis auf Seidels Abwesenheit konnte wichtig sein. Was hatte der Mann gemacht, als Frau Schatz im Turm erschienen war? Hatte er wirklich etwas verschüttet und war gerade dabei gewesen, das Malheur zu beseitigen? Und konnte der Fleck nicht viel eher von Blut herrühren als von Rotwein? Er dankte der Turmmanagerin und versuchte, Jones zu finden. Doch sie war nirgendwo zu sehen.

      Zeller lehnte sich an die Theke und wartete. Sein Smartphone fing an zu schellen. Es war Anne. Sie machte sich Sorgen um ihn. Normalerweise hätte er wenigstens einmal durchgerufen, wenn er schon so mir nichts, dir nichts verschwand. Ihre Stimme klang aufgeregt. Es war besser, wenn er sich beeilte, nicht, dass dieser Zustand sich noch hochschaukelte. Das wollte er unbedingt vermeiden. Er versuchte, sie zu beruhigen, was ihm ganz gut gelang. Jedenfalls hörte sie sich schon nach kurzer Zeit entspannter an. Es werde spät werden heute, sagte er ihr. Leider. Sie solle nicht auf ihn warten.

      Beim Verstauen seines Smartphones in der Manteltasche fühlte er den Flachmann. Er verzog sich auf die Besuchertoiletten im Foyer, angelte sich den Schnaps aus der Innentasche seines Mantels und nahm einen tiefen Schluck daraus. Jetzt konnte es weitergehen. Anne würde schon klarkommen.

      Kapitel 4

      Zeller rief die junge Polizistin Eva zu sich. Sie schien in diesem Chaos den meisten Durchblick zu besitzen. Von ihr ließ er sich zum diensthabenden Wachmann führen. Nur eine Person als Nachtwache in einem millionenteuren Gebäude – das verwunderte den Kommissar. Reichte das im Zweifel aus?

      Der Mann saß nicht allein in dem kleinen Besprechungszimmer. Ein Kollege passte auf, dass er nicht das Weite suchte. Mit einem Kopfnicken entließ der Hauptkommissar den Beamten aus dem Zimmer. Zeller stellte sich dem Wachmann vor, zeigte seinen Dienstausweis und fragte nach dessen Namen.

      »Eduard Seidel«, kam die knappe Antwort. »Und das seit über 30 Jahren«, fügte der Mann patzig hinzu.

      »Sind Sie schon lange hier angestellt? Oder andersherum, gehören Sie zu den Angestellten der ersten Stunde seit der Turmeröffnung?«, fragte der Hauptkommissar in einem vertraulichen Ton.

      »Nein, ich kam später dazu. Jetzt werden es an die sechs Monate sein.« Seidel riss plötzlich den Mund auf und gähnte herzhaft.

      »Wieso arbeiten Sie hier und nicht woanders?«, fragte Zeller weiter.

      »Ach, Herr Kommissar. Was soll die ganze Fragerei? Kommen Sie auf den Punkt. Oder muss ich Ihnen um diese Uhrzeit meinen gesamten Lebenslauf erzählen? Ich bin müde.«

      »Es dauert nicht lange, Herr Seidel. Dennoch muss ich Sie das fragen. Wenn Sie mir helfen, sind wir schneller fertig. Wieso also hier?«

      »Es ist praktisch. Ich wohne in Rottweil. Vorher musste ich 50 Kilometer weit zur Arbeit fahren, jetzt nur noch fünf. Fast zwei Stunden weniger Fahrerei am Tag. Ist doch prima, nahe bei seinem Job zu wohnen, auch wenn ich hier weniger Geld verdiene. Aber man kann nicht alles haben im Leben«, erklärte Seidel und nieste. Umständlich kramte er ein Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich dröhnend.

      Zeller wartete so lange ab und fragte nun in einem schärferen Ton: »Was war los heute Morgen? Gab es etwas Ungewöhnliches während Ihrer Schicht? Etwas, das anders war als sonst?«

      »Nicht, dass ich wüsste. Nur das, was da oben auf der Saalebene geschehen ist. Ich hab die abscheuliche Sauerei entdeckt und sofort die Elke, also Frau Schatz, angerufen. Gleich danach hab ich den Notruf der Polizei gewählt. Aber ich habe weder etwas gehört noch gesehen. Obwohl ich immer an meinem Platz war. Keine Ahnung, wie das passieren konnte«, antwortete Seidel und fügte hinzu: »Wie lange muss ich denn noch hier warten? Ich habe doch schon alles einem Ihrer Kollegen erzählt und bin einfach müde. Verstehen Sie mich?« Er war bedient. Sein ohnehin gerötetes Gesicht verdunkelte sich mit jedem gesprochenen Wort. Mit erhobener Stimme fuhr er fort: »Es war wie immer, wenn abends eine dieser zahlreichen Veranstaltungen stattfindet. Davon gibt es Jahr für Jahr mehr im Turm und wir sollen das alles stemmen. Viele Leute, viel Arbeit, viel Geschwafel, bis spät in die Nacht. So ein Halbdackel wollte, dass ich ein Taxi für ihn rufe. Als ob ich dafür zuständig wäre. Ich bin hier der Sicherheitsmann und nicht der Butler! Ein anderer Dummschwätzer fragte mich nach dem Turm in Dubai aus, diesem Buri kaliffa, oder wie das Ding heißt.«

      »Burj Khalifa, meinen Sie«, verbesserte ihn Zeller.

      »Meinetwegen. Der fragte doch allen Ernstes, ob der schon einen Aufzug von TK Elevator hat. Als ob ich das wüsste. Bin ich denn der liebe Gott? Ich hatte alle Hände voll zu tun. Gegen 22 oder 22.30 Uhr war die Veranstaltung vorbei. Ehe alle Gäste das Haus verlassen hatten, war es 23.30 Uhr. Danach räumten die Mädels das Geschirr und die Getränke weg. Erst nach 24 Uhr war alles ruhig.«

      »Was haben Sie dann gemacht?«

      »Eine geraucht.«

      Zeller zog die Augenbrauen hoch. Hatte er nicht gerade behauptet, nie seinen Platz verlassen zu haben? Die Frage, wo er denn seine Zigarette geraucht habe, verkniff er sich. Stattdessen wollte er von ihm wissen: »Sind Sie immer allein? Die ganze Nacht?«

      »Eigentlich nicht. Wir sind unterbesetzt. Viele sind krank, andere auf Fortbildung. Die sparen, wo sie können.«

      »Und dann? Was passierte heute Morgen, als die beiden Reinigungsfrauen ankamen? Alles wie gehabt?«, hakte der Kommissar nach.

      Seidel stieß mit einem lauten Zischen die Luft durch die zusammengepressten Lippen aus. Mit zunehmender Dauer des Gesprächs rutschte der Sicherheitsmann immer unruhiger auf seinem Stuhl hin und her. Wenn er in Richtung des Hauptkommissars ausatmete, ließ sein Mundgeruch Zeller den Atem stocken.

      »Alles war wie immer. Nichts Besonderes. Die Mädels kamen um 6 Uhr, trugen sich in die Liste ein und nahmen sich aus dem Abstellraum, was sie brauchten. Es war alles wie an jedem Samstag.«

      »Nein, das stimmt nicht! Es war nicht wie immer. Die

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