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dieser Gestank. Was war das nur, dachte sich Berta und hielt sich mit einer Hand die Nase zu. Gudrun stieß ihre Kollegin zur Seite und rannte ins Konferenzzimmer. Kaum war sie darin verschwunden, schrie sie fürchterlich. Berta folgte ihr augenblicklich. Auch sie stieß einen grellen Schrei aus. Der Anblick war einfach nur grauenhaft.

      Die beiden Frauen machten augenblicklich auf dem Absatz kehrt und rannten zurück zum Aufzug. In der Aufregung stieß Berta gegen den Putzwagen. Er fiel krachend um und die verschiedenen Flaschen, Tuben und Dosen verteilten sich quer über den Flur. Endlich am Aufzug angekommen, drückte Berta wie wild auf den grünen Knopf. Immer wieder. Doch der Fahrstuhl war noch unterwegs. Hand in Hand standen die beiden Frauen dicht nebeneinander und warteten. Endlich kam der Lift in ihrer Etage zum Stehen. Die Tür öffnete sich mit einem zischenden Geräusch. Erschrocken riss Berta die Augen auf. »Nein! Bitte nicht«, rief sie aus und hob schützend ihre Arme über den Kopf. Doch vergeblich. Wuchtig krachten mehrere Schläge auf ihren Schädel nieder. Leblos sank sie zu Boden. Gudrun rannte schreiend davon. Doch es half nichts, sie war zu langsam. Auch sie bekam einen schweren Schlag auf den Hinterkopf. Weitere folgten. Doch die bemerkte sie nicht mehr. Auch sie war tot.

      Kapitel 3

      Kriminalhauptkommissar Paul Zeller stand stumm neben seiner neuen Assistentin vor dem Aufzug des TK Elevator Testturms und wartete. Was war heute nur los, überlegte er dabei, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Vor nicht einmal 100 Minuten waren sie beim ermordeten Richter Schuhmacher gewesen und nun gab es einen weiteren Fall. Wieder Mord. Zwei Tote. Warum nur war er nicht nach Wien geflogen? Vielleicht wäre er gerade um diese Uhrzeit im Café Central in der Wiener Herrengasse gesessen und hätte ein Stück Sachertorte mit einem großen Mokka vor sich stehen gehabt. Oder im Prater in einer Gondel des Riesenrades hoch über der Stadt. Es wäre so friedlich gewesen, so erholsam und inspirierend. Doch er war hier, in seinem Rottweil, welches er seit knapp zwei Stunden nicht wiedererkannte.

      So viele Opfer gab es sonst nicht einmal in einem ganzen Jahr. War es Zufall oder Absicht? In Anbetracht der geringen Kriminalitätsrate in Rottweil hätte er eigentlich zu Ersterem tendiert. Aber etwas in ihm war skeptisch. In seinem langen Polizistenleben hatte er gelernt, dass es keine Zufälle gab. Wenn er den Gedanken weiterspann, wurde es noch fürchterlicher. Denn wenn es kein Zufall war, dann wäre alles akribisch geplant gewesen. Keine Bluttat im Affekt. Und vielleicht waren diese Taten erst der Anfang? Er hoffte inständig, dass es anders war. Der Beginn einer Mordserie, hier in dieser Stadt, überstieg seine Vorstellungskraft.

      Noch immer warteten sie auf den Aufzug. Mit einem Seitenblick schaute er auf die junge Frau neben sich. Eigentlich hätte er etwas zu ihr sagen müssen. Doch er schwieg. Er hatte mit sich zu tun. Worüber sollte er sich auch mit ihr unterhalten? Die Themen dieser Generation waren nicht die seinen. Für Social Media war er zu alt. Für ihre Musik genauso. Überdies kam erschwerend hinzu, dass ausgerechnet sein Vorgesetzter diese Frau Jones ausgesucht hatte – wahrscheinlich um ihn zu bespitzeln. Also schwieg er lieber. Über das Wetter zu reden war für ihn pure Zeitverschwendung.

      Zeller vermied es in der Folge krampfhaft, Jones anzuschauen, und blickte stur auf die Tür des Aufzuges. Als ob dort die Lösung ihres Falles geschrieben stünde. Jetzt bewegte sich was in dem Schacht. Der Aufzug hielt vor ihnen an, die Tür öffnete sich. Drei Männer standen darin, einer davon trug die rote Jacke des Notfallarztes, die beiden anderen die Uniformen der Rettungssanitäter. Sie nickten sich zu.

      »Hallo, Paul. Auch schon auf? Hätte ich gar nicht gedacht von dir«, begrüßte ihn der Notarzt vertraut. Sie kannten sich seit vielen Jahren.

      »Da fragst du noch, Lothar? Kennst mich doch. Du bist schon fertig? Nichts mehr zu tun da oben?«, entgegnete Zeller gleich mit mehreren Fragen und ahnte sogleich die Antwort. Die irrwitzige Hoffnung, dass es nicht so schlimm werden würde wie angenommen, war gegenstandslos. Wenn der Notarzt so rasch den Tatort verließ, dann gab es aus medizinischer Sicht nichts mehr zu tun. Jetzt erfolgte eine fließende Übergabe an die andere Zunft, die Bestatter. Sie würden die beiden Toten in einen Alu-Sarg packen und in die Rechtsmedizin nach Tübingen zur Obduktion bringen. Vorher musste sie der Staatsanwalt anordnen. Obduktionen waren teuer.

      »Ich hätte mir den Weg sparen können. Leider. Da oben sieht es aus wie in einem Schlachthaus. Ich hoffe, ihr habt gut gefrühstückt. Schönen Tag noch.« Er machte eine grüßende Handbewegung an den nicht vorhandenen Hut und verschwand.

      Zeller und Jones betraten die Kabine. Hinter ihnen schlossen sich die Türen. Die mitfahrende Angestellte des Testturms drückte einen Knopf und der Fahrstuhl setzte sich lautlos in Bewegung.

      Unauffällig musterte Zeller seine neue Kollegin. Seine langjährige Erfahrung hatte ihm im Voraus gesagt, was er sehen würde in ihrem hübschen Gesicht: Diese Mischung aus Aufgeregtheit und Lampenfieber, verbunden mit der Freude, zu einem ersten richtigen Einsatz mitgenommen zu werden, und die zögerliche Angst vor dem, was sie erwarten würde. So war es bei allen gewesen, die er an seiner Seite eine Weile durch den Polizeialltag mitgenommen hatte. Keine hatte es bisher lange bei ihm ausgehalten. Außer Susanne, die war nicht unterzukriegen gewesen. Bis es nicht mehr gegangen war zwischen ihr und Zellers Chef. Dazu diese fatale Fehlentscheidung. Es hätte nie so weit kommen dürfen. Doch daran war nur Bausinger schuld gewesen.

      Immerhin schien seine Neue ihre Aufregung gut im Griff zu haben und redete nicht pausenlos auf ihn ein. Oder hatte ihr das erste, unfreundliche Treffen mit ihm die Sprache verschlagen und sie war vorsichtig geworden? Fast tat es ihm leid, ihr nicht die Hand gegeben zu haben. Egal, sie würde es verkraften. Und wenn nicht, war es ihr Problem.

      Er bemerkte nicht ohne einen Anflug von Sympathie, dass sie sich mit ihren Fragen tapfer zurückhielt. Es fiel ihr sicherlich nicht leicht. Erst Anfang letzten Monats hatte man ihm die Lehrgangsbeste an der Polizeihochschule Baden-Württemberg in Böblingen angekündigt. Nach ihrer Polizeiausbildung war sie kurze Zeit in Stuttgart gewesen und später auf diesem Lehrgang. Er hatte die Information gleich wieder vergessen und sich nicht weiter darum gekümmert. Schließlich hatte er anderes zu tun gehabt. Erst als Bausinger Jones heute Morgen vorgestellt hatte, war es ihm wieder eingefallen. Sein Chef hatte sie ihm damals schon angepriesen wie einen Rohdiamanten, den es galt, behutsam zu formen. Auch wenn es nicht der richtige Ausdruck für die Bearbeitung eines Diamanten war, gefiel Paul die Wortwahl besser. Ein Schleifer wollte er keinesfalls sein. Dafür konnte Bausinger andere nehmen.

      »Sie heißen Elli Jones?«, ließ sich Zeller zu einer Frage hinreißen.

      »Ja.«

      »Woher?«

      »Aus Triberg. Jedenfalls die letzten 20 Jahre.«

      »Und vorher?«

      »Israel.«

      »Echt?«, gab er zurück und war kurz interessiert, fragte aber nicht weiter nach und so verebbte das gerade begonnene Gespräch wieder.

      Während sie in einer enormen Geschwindigkeit nach oben brausten, schaute er versonnen durch die Panoramafenster nach draußen. Wie schön hätte diese Fahrt sein können, wenn man sich nur an der ständig verändernden fantastischen Aussicht hätte berauschen können. Ewig hätte er so weiterfahren können. Egal, wie hoch. Doch sein Wunsch blieb unerhört. Fast unmerklich wurde der Fahrstuhl abgebremst und die Fahrt war beendet. Als sich die Türen öffneten, zögerten sie zunächst, hinauszutreten. Die Worte des Notarztes hallten noch nach. Außerdem schlug ihnen ein erbärmlicher Gestank entgegen. Es roch wie in einem Schweinestall. Zeller gab sich einen Ruck und sagte zu seiner Kollegin, die ihn mit angstvollem Blick ansah: »Na los, Jones. Es wird schon nicht so schlimm werden. Bleiben Sie hinter mir. Ist besser so. Und halten Sie sich ein Taschentuch vor die Nase.«

      Mehrere Kriminaltechniker, verhüllt in ihren weißen Ganzkörperanzügen, liefen, standen oder knieten um zwei Hügel mit abgedeckten Inhalten. Der eine direkt neben dem Aufzug, der andere um die 30 Meter weiter weg. Der Notarzt hatte nicht übertrieben mit seiner Warnung. Blut und Gehirnmasse waren weiträumig auf dem Boden des Korridors verteilt. Hier hatte ein wahres Gemetzel stattgefunden. Er konnte sich nicht erinnern, schon einmal etwas Ähnliches gesehen zu haben.

      Als er sich die Leichen unter den Tüchern zeigen ließ, vernahm er einen dumpfen

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