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als Ergebnis der Bewältigung von universellen Entwicklungskrisen verstanden hat, die aber auch wesentlich davon abhängt, inwieweit andere das Selbstbild einer Person anerkennen.20 Insofern ist auch in diesem Konzept die Entwicklung und Bewährung von Identität sozial vermittelt. Erikson sah vor allem die Jugendphase als die entscheidende Phase der Identitätsfindung an, in der relative dauerhaft stabile Positionen der Ich-Identität herausgebildet werden. Inzwischen ist die Annahme einer homogenen kontinuierlichen Ich-Identität21 in der Psychologie vielfach kritisiert worden und die Auffassung hat sich durchgesetzt, dass unter den pluralen und widersprüchlichen Bedingungen der Postmoderne einheitsstiftende Kriterien der Konstitution des Selbstbildes und der eigenen Identitätsdarstellung nicht mehr sicherzustellen sind, sondern Individuen auf unterschiedliche soziale und kulturelle Anforderungen mit situativen Identitäten reagieren. Hierfür gibt es keine traditionellen oder konsensuellen Lösungskonzepte. Ihre Individualität entwickeln sie vielmehr so in eigen-ständiger „Identitätsarbeit“, in welcher sie versuchen, Balancen zwischen ihren Teil-Identitäten zu arrangieren, die ihnen noch ein Mindestmaß an Selbstgleichheit und persönlichem Stil gewährleisten.

      4. Der Identitätsbegriff im Wandel

      Seit den Neunzigerjahren ist der Begriff einer „Patchwork-Identität“22 entstanden, der dem traditionellen Verständnis von Identität als einem konstanten Sich-selbst-treu-Bleiben und somit auch für andere Berechenbar-Bleiben widersprach und das Individuum nun als ein chamaeleonhaftes Wesen vorstellte, welches sich opportun den wechselhaften Anforderungen einer sozialen Umwelt anpasst und sich so in eine strategisch vorteilhafte Position bringt, die den Erwartungen und Erfolgskriterien anderer gegenüber möglichst angepasst war.

      Dieser vor allem von Heiner Keupp konstruierte Begriff hatte – wohl nicht zuletzt wegen seines gegenüber einem „modernen“23 Begriff des selbst-identischen Subjekts schockierenden Widerspruchs – eine erhebliche Wirkung in der Fachdiskussion in der Jugendsoziologie. Zugleich war dieses sozial-psychologisch hergeleitete Konstrukt gut anschlussfähig an die identitätstheoretischen Entwürfe des Symbolischen Interaktionismus von George Herbert Mead und Erving Goffman und ihre Weiterentwicklung von Lothar Krappmann in Deutschland. Die pragmatistische Experimentalität sozialen Handelns, die schon William James und George Herbert Mead in den Vordergrund gerückt hatten, schien nun vollends gegenüber der Tugend individueller Charakterstärke den Sieg errungen zu haben; die Selbstdarstellung der Individuen hatte den Anspruch auf einen maximal möglichen Ausdruck individueller Orientierungen und Haltungen offenbar vollkommen verloren und war zu einem strategischen Manöver, ja Täuschungsmanöver im Umgang mit den Erwartungen anderer geworden. Keupp nannte dies das „impression management“. Was man traditionell noch als „Charakterschwäche“ kritisiert hätte, schien nun eine Erfolgskonzept eines „Identitäts-Marketings“ auf einem Markt der sozialen Anerkennungsmechanismen. Diese Sichtweise von Identität wird regelrecht paradigmatisch in den heutigen „Medien-Identitäten“ von jungen Menschen in den sozialen Medien. Selbstdarstellung in einer Vielfalt von Rollen und Outfits, Situationen und Beziehungen gespickt mit einem Quantum an Originalität und Kreativität, symbolische Anwandlungen aus der Welt der Stars, der realen und virtuellen Heroen, eventuell zugleich durch Selbstironie wieder infragegestellt, kennzeichnen den Habitus vor allem junger Menschen. Es ist augenscheinlich, wie dieser Habitus das Programm der Postmoderne erfüllt, indem die entlehnte Symbolik kaum mehr aus einem feststehenden Repertoire geschöpft wird, sondern aus dem symbolischen Fundus quasi aller Kulturen und Epochen zitiert werden kann, und indem den in der Selbstdarstellung aufgegriffenen Identifikationen keine wirkliche Verbindlichkeit und Kontinuität zukommt. Kurzum: Der Habitus solcher Selbstdarstellung präsentiert sich als ein Spiel und er spielt, wie jedes Spiel, auch mit der Versuchung ernst genommen zu werden.

      Werfen wir einen kurzen Blick auf jene soziologische Identitätstheorie von Erving Goffman (1973) und Lothar Krappmann (1988), die einen solchen dynamischen Identitätsbegriff möglich gemacht hatte.

      Lothar Krappmann hat – ausgehend von Meads Identitätskonzept – vier Grundqualifikationen des Individuums benannt, die für ein angemessenes Rollenhandeln erforderlich sind, nämlich 1.) die Fähigkeit zur Rollenübernahme und zur Empathie in das Selbstverständnis anderer Rolleninhaber als Träger von Absichten, Denkweisen, Interessen und Emotionen, 2.) die Fähigkeit zur Rollendistanz, d. h. zu einem reflektierenden Umgang mit Rollenerwartungen im Einklang mit den eigenen Bedürfnissen und dem Selbstbild, 3.) die Ambiguitätstoleranz als die Fähigkeit, mit dem eigenen Rollenverständnis in Widerspruch stehende Erwartungen, die in Folge von kulturellen oder sozialen Differenzen möglich sind, wahrzunehmen und im eigenen Handeln zu berücksichtigen und 4.) die Fähigkeit zur Identitätsdarstellung, d. h. zum Ausdruck des eigenen Verständnisses von der personalen Identität.

      Gerade letzteres, Identitätsdarstellung, findet bei Jugendlichen und jungen Menschen – so meine These – inzwischen aber bereits selbst in einem „kulturell sanktionierten Raum“ statt, insbesondere in neuen sozialen Medien, d. h. oftmals mittels der Nutzung von Klischees, die eben nicht eine überraschende originelle, vom Erwartbaren abweichende Individualität zulassen, sondern vereinnahmt sind von einem homogenen Identifikationsrepertoire, aus dem die jungen Menschen die Symbole ihrer Identität schöpfen müssen, wenn sie Anerkennung erfahren wollen. Hier gibt es meines Erachtens zum Ersten eine Differenz zwischen dem Osten und dem Westen, aber auch zum Zweiten eine Differenz zwischen den Generationen sowohl in Ost und West.

      Es war wiederum Krappmann, der den Begriff „Identität“ dynamisiert hat mit seiner Annahme, dass die „präsentierte Identität“ keine universelle, konstante Form hat, sondern in Abhängigkeit zu den Interaktionspartnern modifiziert wird.24 Somit ist es möglich, dass Personen ihre Identität in bestimmten Situationen vollkommen anders darstellen als in anderen Situationen, etwa am Arbeitsplatz ganz anders als im Freundeskreis, in den neuen sozialen Medien ganz anders als innerhalb der Familie. Gerade diese Feststellung macht es nun schwierig, von einer allgemeinen „post-sowjetischen Identität“ zu sprechen, denn in all ihren Manifestationen spielt eine Rolle, vor welchem Publikum eine solche Identität dargestellt wird. Dennoch ist es vielleicht möglich, hinter der Vielfalt phänomenaler postsowjetischer Identitäten eine Allgemeinheit einer interpretativ erklärenden postsowjetischen Identität zu finden.

      Zu beachten ist ferner, dass „Identität“ immer auch eine „ausgehandelte Identität“ ist, also auf einem Anpassungsprozess in der Verwendung von bestimmten Symbolen in bestimmten Kontexten beruht. „Symbolische Identität“ muss von anderen verstanden werden, sie muss gewissermaßen auf einer gemeinsamen Sprache aufbauen, die a) von den Kommunikationspartnern als eine Sprache der Selbstdarstellung erkannt wird und b) deren Symbole im einzelnen verstanden, bestimmten Kontexten und Konnotationen zugeordnet werden können. Sie ist allerdings auch strategischen Erfolgsbedingungen unterworfen. Sie ist ein symbolisches Angebot an die Kommunikationspartner*innen, um eigene Ziele zu erreichen, insbesondere um sozialen Gruppierungen und Statusklischees zugeordnet zu werden und um Anerkennung zu erhalten, vielleicht auch Macht und Einfluss zu erlangen. Insofern korrespondiert der Prozess der Aushandlung von Identität mit der Willkür einer kollektiven „Kultur des Gefallens und Anerkennens“, auf welche der Einzelne keinen Einfluss nehmen kann. Andererseits spiegelt die Identitätspräsentation des Einzelnen gerade deshalb auch jene kollektive Kultur, ihre Klischees und ihre Wertorientierungen wider, in welche die Selbstdarstellung des Einzelnen eingebettet ist. Insofern besteht zwischen der individuellen Selbstdarstellung und der “Identitätskultur” einer Gesellschaft in gewissem Umfang ein determinativer Zusammenhang, der es zum einen gestattet, auch unter den Bedingungen der Postmoderne eine “kollektive Identität” als kulturellen Gehalt zu rekonstruieren, zum anderen erlaubt, in den individuellen Selbstdarstellungen eine kulturelle Kriterienbasis für die Verstehens- und Akzeptanzvermutung herauszuarbeiten.

      5. “Postsowjetische Identität” als Idealtypus im Sinne Webers

      Der Begriff der „Identität“ beansprucht von sich aus eine Logik der Generalisierung und alles, was über eine Identität ausgesagt wird, erstarrt gewissermaßen zum Unveränderlichen, zum Allgegenwärtigen und zum „harten Kern“ des bewegten Lebens allein dadurch, dass das Merkmal des Mit-sich-selbst-Gleichen ihm zugesprochen wird. Insofern ist der Begriff der „Identität“

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