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personalen Identität

      Der Gebrauch des Begriffes Identität im Blick auf den Menschen taucht auf zwei Ebenen auf, zum einen auf einer phänomenal empirischen Ebene, geleitet von der Frage, womit identifizieren sich bestimmte Menschen, was verstehen sie als ihre Persönlichkeit, als ihre Eigenart oder auch als ihre Rolle, welche Eigenschaften schreiben sie sich zu, welche Interessen und welches Ideal zeichnen sie von sich; zum zweiten auf einer interpretativ erklärenden Ebene, die quasi den Hintergrund bildet für die erstere, geleitet von der Frage, was steht hinter diesen Identifikationen, was macht sie wertvoll, was begründet sie, welche Werte existieren hinter diesen Identifikationen, warum sind sie überhaupt wichtig und welches allgemeine Bild vom Menschen, vom Sinn des Lebens und von der Gesellschaft und ihrer Kultur ist in ihnen enthalten.

      Die Beobachtungen auf beiden Ebenen sind ferner zu unterscheiden nach der Frage, wer der Beobachter ist, das betreffende Subjekt selbst oder ein äußerer Beobachter (von welchem man freilich viele unterscheiden müsste). „Identität“ schreibt sich das Subjekt selbst zu, etwa in seinen Selbstkonzepten, aber „Identität“ schreiben ihm auch andere zu. Insofern lässt sich folgendes Schema erstellen:

Ebenen Selbstbeobachtung Fremdbeobachtung
Phänomenal empirisch Soziales Selbstkonzept Identifikationen mit… Rollenbewusstsein Wir-Gefühl Ideales Selbstkonzept, Selbstbewusstsein und Selbstwertschätzung Soziale Identität / Kollektive Identität Zugehörigkeit zu … Eingenommene Rollen Status und Image soziale Anerkennung Attribution von Orientierungen
Interpretativ erklärend Selbstverpflichtung Wertebewusstsein Menschenbild Lebenssinn Interessen und Werte vertreten Kulturelles Wissen/ Kulturelle Sinnhorizonte

      Verschiedene humanwissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich mit diesen Fragen und zwar in der Regel mit beiden Ebenen zugleich, auch wenn sie ihr Augenmerk mit unterschiedlichem Gewicht und Interesse auf die beiden Ebenen richten. Theoriebildend für das Konstrukt „Identität“ ist vor allem einerseits die Soziologie, die Kulturologie und die Ethnologie engagiert und andererseits die Psychologie, daneben in bescheidenerem Maße auch die Politologie.12 In allgemeiner Hinsicht erörtern diese Fragen auch die Philosophie und alle Formen der Anthropologie, die vor allem für die interpretativ erklärende Ebene generelle Argumente beiträgt, insofern die Frage „wer ist der Mensch“ auch immer die Frage nach dem Potenzial des individuellen „Wer-bin-ich“ enthält. Es sollen hier in Blick auf dieses Thema nur zwei dieser disziplinären Sichtweisen herausgegriffen werden, nämlich die soziologische und die psychologische.13

      Soziologie. Soziologisch interessiert am Phänomen der Identität vor allem die einheitsstiftende Wirkung identifikatorischer Konstrukte. Es wird zum Ersten postuliert, dass die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, sei es einer Nation, sei es einer Berufsgruppe, einer Szene, sei es einer konkreten Familie, den Mitgliedern eine gemeinsame Spezifität verleiht und somit zu einem Symbol ihrer sozialen oder kollektiven Identität werden kann.14 Zum Zweiten untersucht die Soziologie, hier oft im Verein mit der Psychologie, die Frage, welche sozialisatorischen Einflüsse von sozialen Kohorten, sozialen Schichten und Teil- und Subkulturen auf die Ausbildung von subjektiven, sozial ausgerichteten Einstellungen und Haltungen bestehen und durch Identifikation identitätsbildend sind. Zum Dritten entwirft die Soziologie Zeitdiagnosen, die eine übergeordnete epochale Identität gesellschaftlicher Mitglieder in einer bestimmten Kultur annehmen lässt.15

      Der Begriff „Identität“ taucht daher in Verbindung mit zahlreichen Etiketten auf wie in „nationaler Identität“, „ethnischer Identität“, „kollektiver Identität”, aber auch spezifizierender Weise etwa in „Lehreridentität“, aber auch „heterosexuelle Identität“, „avantgardistische Identität“, „moralische Identität“ und ferner auch „postmoderne Identität“ oder „traditionalistische Identität“ und vieles mehr. Auch der hier verwendete Begriff der „post-sowjetischen Identität“ benutzt eine Etikette, nämlich das Merkmal „des Post-Sowjetischen“, dem offenbar eine erklärende Qualität für die Besonderheit einer bestimmten beobachtbaren Identität zukommt. Es scheinen vor allem drei Kategorien geläufig zu sein, mittels derer Identitäten ausgezeichnet werden bzw. die man für bedeutsam genug hält, dass Menschen sich dadurch als mit sich selbst identisch wahrnehmen.

       Zugehörigkeit zu einer Gruppe. In diesem Sinne etwa versteht George Herbert Mead „soziale Identität“ als ein Konglomerat von sozialen, also rollengebundenen Teil-Identitäten, die ein Individuum einnimmt. Ihr stellt er die „personale Identität“ gegenüber als die einmalige Konstellation von individuellen Merkmalen einer Person und die biographisch einmalige Synthese von Rollenarrangements und Selbstkonzepten eines Individuums.16

       Fundamentale Orientierungen, Überzeugungen und Haltungen. Biologische und psychische Merkmale, die weitgehend kontinuierlich sind, mit welchen sich ein Individuum identifiziert und die in vielfacher Hinsicht für die eigene Lebensführung relevant werden zeigen zum einen dem jeweiligen Subjekt, zum anderen aber auch seinen externen Beobachtern an, „wofür jemand steht“.

       Epochale Homogenität. Insbesondere die Kultursoziologie erstellt immer wieder Zeitdiagnosen, die ein Konstrukt gesellschaftlicher Identität von hohem Allgemeinheitsgrad beinhaltet. Beispiele in Deutschland sind die Diagnosen einer „Risikogesellschaft“ von Ulrich Beck (1986), oder einer „Erlebnisgesellschaft“ von Gerhard Schulze (1992) oder auch der „beschleunigten Gesellschaft“ nach Fuchs, Iwer und Micali (2018), die ein „überfordertes Subjekt“ generiert.17 Ob der Begriff einer „post-sowjetischen Identität“, wenn er überhaupt sinnvoll ist, so verstanden werden kann, dass er eine epochal homogene Identität bezeichnet, wird zu prüfen sein.

      Psychologie. Vor allem persönlichkeitspsychologische, entwicklungspsychologische und sozialpsychologische Zugänge haben sich mit dem Begriff der Identität befasst, zum einen in der Entwicklung des Konstruktes „Ich-Identität“ als der Summe von Selbstattributionen und -identifikationen eines Individuums, zum anderen in Hinsicht auf die entwicklungs- und lernpsychologischen Aspekte bei der Übernahme von Identifikationen und der Ausbildung von Selbstkonzepten. Einerseits spezifiziert sich also der psychologische Blick auf Phänomene des Bewusstseins einer Selbst-Identität, andererseits auf die Bedingungen zur Entwicklung dieses Bewusstseins in der Sozialisation und Erziehung junger Menschen.

      Die psychologische Perspektive fokussiert vornehmlich die Fragen, in welcher Weise sich Menschen selbst „Identität“ zuschreiben und was dies für ihr Selbstverständnis bedeutet, wie die Selbstkonzepte und Idealkonzepte in der Entwicklung des Individuums entstehen18 und welche biographischen und sozialen Faktoren für die Selektion von Identitätsangeboten entscheidend sind. „Identität” wird also vor allem als Ergebnis einer Selbstsicht des Menschen verstanden, der bestimmte Dimensionen der Selbstreflexion zugrunde liegen. Für die Selbstzuschreibung von Identität ist wesentlich, dass es der Person gelingt, in diesen Dimensionen relativ konstante Selbstwahrnehmungen und relative konstante Identifikationen vorzufinden. Der Psychologe Hilarion G. Petzold hat in diesem Sinne fünf sogenannte „Säulen der Identität” entworfen, auf welchen die Zuschreibung von Menschen beruht, dass sie sich als eine einzigartige und stabile Persönlichkeit sehen können. Zu diesen fünf Säulen gehört das Erleben der eigenen Leiblichkeit und der eigenen Bedürfnisse, das soziale Netzwerk bzw. die sozialen Bezüge (soziale Zugehörigkeit), Arbeit und Leistung (die Identifikation mit der eigenen Tätigkeit), die materielle Sicherheit (materielle Ressourcen und vertrauter ökologischer Raum) und Werte und Normen (Wertorientierungen und Lebenssinn).19 Die fünf Säulen bezeichnen zum einen Bereiche, in welchen die Person wesentliche Bezugspunkte findet, um sich selbst zu identifizieren; sie bezeichnen zum anderen aber auch die für die Identitätsentwicklung schicksalhaften Felder der Sozialisation, in welchen sich die spezifischen Identitätsangebote, also die Potenziale, sich mit etwas zu identifizieren,

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