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oft waren wir zu dritt. Auf der Straße aber wie gewohnt zu zweit, es war eine unausgesprochene Regel, dass die Musik unser Ding war.

      Dann waren sie einen Monat lang zusammen. Es war der zehnte Dezember, es schneite an diesem Tag zum ersten Mal. Durch das Fenster konnte ich Robyn sehen, sie drehte sich im Schneetreiben vor unserer Haustür, während ich drinnen die Handschuhe holte. Ich lese gerne meinen Tagebucheintrag von diesem Tag. Am Abend hatten Robyn und Steven ein Date. Er hat ihr danach seine Jacke geliehen, weil ihr kalt war, so richtig romantisch. Mit glühenden Wangen erzählte Robyn es mir am nächsten Morgen in unserem Lieblingscafé. Den Geschmack der heißen Schokolade und die Schneelandschaft, die wir durch das Fenster sehen konnten, werde ich nie wieder ver­gessen.

      Am zwölften Dezember gingen Robyn und Steven auf den Weihnachtsmarkt in der Innenstadt. Sie aßen rosa Zuckerwatte und machten Selfies. Selfies, die einen Tag später ausgedruckt an der Innenseite ihrer Spindtür in der Highschool klebten. Auf Instagram hatte Robyn die zehntausend Follower geknackt. Sie war so ein richtiger Social-Media-Mensch, überall war ihr Handy dabei und ihre Fans waren geradezu süchtig nach ihren Beiträgen. Manchmal war ich auch auf den Bildern, fühlte mich aber meist fehl am Platz. Musik brachte ihr die meisten Abonnenten, egal ob die geposteten Songs gecovert oder unsere eigenen waren, Robyn musste nur den Mund aufmachen. Die Videos wurden legendär, selbst die Lehrer in der Schule sprachen uns darauf an und beglückwünschten Robyn. Mich nicht, es wusste ja niemand, dass wir alles zusammen erarbeitet hatten. Und das war auch gut so.

      Am siebzehnten Dezember machten Robyn und ich einen Mädchen­abend. So richtig mit Gesichtsmaske und Johnny-Depp-Filmen. Wir stellten unter Kichern die Szenen nach und fraßen Schokolade bis zum Umfallen. Mom war nicht zu Hause, weshalb Robyn in unserem Wohnzimmer rauchte. Mir war es egal, solange meine Mutter nichts davon erfuhr. Sie traf sich nämlich mit ihrem neuen stinkreichen Lover. Richard oder Reinhold oder so. Sie traf sich eigentlich immer nur mit reichen Männern, das hat sie sich wohl nach meinem Dad angewöhnt. Robyn und ich sprangen im Wohnzimmer herum und sangen in voller Lautstärke zu P!nk, Nirvana, Queen und Avril Lavigne.

      ♫

      Dann färbte sie sich die Haare blau, das war am zwanzigsten De­zem­ber. Am Zweiundzwanzigsten gingen wir zusammen Weihnachts­geschenke kaufen. Sie hatte eine Überraschung für Steven geplant, was es genau war, wollte sie mir nicht verraten. Ich bohrte auch nicht weiter nach.

      Am Dreiundzwanzigsten hatte Steven Geburtstag, seinen fünfzehnten. Er war ein Jahr jünger als wir, das sah man ihm aber nicht an.

      Alle anderen hatten ziemlich viel intus und irgendwann waren Robyn und Steven nicht mehr auf der Party, das bekam ich nur neben­bei mit. Zur Sicherheit hatte ich mir wie immer ein Buch mitgenommen und glücklicherweise nichts getrunken, sodass ich mich, wie so oft auf Partys, mit dem Buch und einer Tasse Kaffee in die Toilette einschloss und begann, den penetranten Bass ausblendend, zu lesen. Bis es dann um fast drei Uhr an der Tür klingelte. Erst ignorierte ich es, war zu sehr von meiner Geschichte gefesselt. Irgendjemand öffnete die Haustür. Die schweren Schritte auf der Treppe nach oben verfolgen mich noch heute. Sekunden später klopfte jemand an die Klotür und ich riss sie auf.

      Vor mir standen zwei Gestalten in schwarzer Polizeiuniform. Sie fragten, ob ich Raven Alice Obyn kenne.

      Das ist Robyns richtiger Name.

      Dann fragten sie nach Steven Bittner. An den Blick der Polizistin kann ich mich noch erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ich sehe mich selbst vor mir, in dem weit ausgeschnittenen hellblauen Fummel von Robyn, den ich in dieser Nacht trug. Ihr war das Kleid zu groß, mir nicht. Blutroter Lippenstift und schmerzende Füße. Der funkelnde Haarreif auf meinem Kopf, das Buch in der Hand.

      »Miss Obyn hat unerlaubt einen Fünfzehnjährigen Auto fahren lassen, sie hatten einen Unfall.«

      Mein verwirrtes Ich fragte, wo sie jetzt sei.

      »Im Krankenhaus. Raven Obyn liegt im Koma. Sie hatte einige Blätter in ihrer Handtasche, auf denen Ihr Name steht. Ihr Name ist doch Paige Courtney, nicht?«

      Ich nickte unmerklich. Die Polizistin blätterte in ihren Unter­lagen und reichte mir dann einen Stapel Blätter, auf denen ich unsere Songtexte, Zeichnungen, Gitarrenakkorde und Klaviernoten erkennen konnte.

      »Wissen Sie, was diese Blätter zu bedeuten haben? War der Ausflug der beiden geplant?«

      Dieser Satz war wie ein Faustschlag, direkt in die Magengrube. Ich übergab mich auf meine High Heels.

      Paige, Robyn liegt im Koma. Sie wird wahrscheinlich nie wieder aufwachen.

      Etwas Ähnliches stand am nächsten Tag in der Zeitung. Da stand aber noch etwas, nämlich, dass der Fahrer davongekommen war, mit nichts weiter als ein paar Prellungen. Auf dem Titelbild war ein riesiges Foto von Robyn, ihm und mir. Robyn hatte genau dieses Bild immer wie einen Talisman bei sich getragen, zu der Zeit waren ihre Haare gerade frisch gefärbt und sahen demnach wirklich Bombe aus. Wir trugen denselben Concealer, weil Robyn an diesem Tag, wie so oft, spontan bei mir übernachtet hatte. Der Concealer passte nicht zu ihrem gebräunten Hauttyp, er war viel zu hell, was man in der Front­kamera des Handys aber nicht gut erkennen konnte. Ich sehe glücklich aus auf dem Bild. Robyn und ich schauen in die Kamera, Stevens Blick liegt auf Robyn. Ich seufze, als ich daran denke. Die Überschrift war missbilligend, stellte alles in einem falschen Licht dar, typisch Zeitung eben. Und da wundert man sich, warum die älteren Leute gegenüber uns Teenagern immer so viele Vorurteile haben. Zugegeben, das, was in dieser Nacht passiert war, konnte man nicht schönreden, auch wenn ich das in diesem Moment wohl mehr gebraucht hätte als die angsteinflößenden, schwarzen Lettern.

      Partynacht endet für betrunkene

      Sechzehnjährige im Krankenhaus

      Der Tränenschleier, der sich in meinen Augen gebildet hatte, ließ mich nicht klar blicken.

      Eines stand aber fest: Ihr Leben war mir genommen worden. Das Leben, welches mir als einziges wichtiger war als mein eigenes.

      Koma setzte ich in diesem Moment mit Tod gleich.

      Ich habe in meinem Leben bis jetzt nur schlechte Erfahrungen mit Komapatienten gemacht.

      Mom hatte mir verboten, Robyn im Krankenhaus zu besuchen, bis ich mich etwas beruhigt hätte. Ich konnte also nichts tun, außer herumzusitzen, zu warten, hoffen, weinen. Heute weiß ich, was Freund­schaft bedeutet, und das nicht nur, weil die Bilder aus Robyns Spind nun eingerahmt auf meinem Nachttisch stehen.

      Mom sagte es mir zwar nicht ins Gesicht, aber ich weiß ganz genau, dass sie nicht wollte, dass die depressive Verstimmung der Tochter der »ach so bekannten Künstlerin« an die Öffentlichkeit gelangte. Genau­so sehr aber wusste ich, dass Dad es Mom mehr als übel nehmen würde, falls er mitbekommen sollte, wie schlecht es mir gerade geht. Es ist ein stummes Versprechen, denn ich will das noch weniger als Mom.

      Ich schreibe Robyn Briefe, erzähle ihr alles, was ich ihr sonst auch sagen würde.

      Denn sie hat es nicht verdient, vergessen zu werden.

      Sie ist meine beste Freundin, wenn auch meine einzige. Und vielleicht ist sie das auch, weil sie nicht eines dieser Klischee­mädchen aus ihren Büchern ist. Vielleicht, weil sie mir jeden Tag aufs Neue beweist, dass man auch ohne die traditionellen roségoldenen iPhones, die jedes Mädchen zum zwölften Geburtstag von Daddy spendiert bekommt, oder ohne Extensions und aufgeklebte Wimpern, mit denen heutzutage schon Zehnjährige durch die Straßen unserer Stadt spazieren, existieren kann.

      Sie ist keines dieser Mainstreammädchen.

      Robyn ist unter diesen knapp acht Milliarden Erdbewohnern mein Lieblingsmensch.

      Denn das Geschehene ist nur ein Dominostein, der so viel in mir zum Kippen gebracht hat.

      Ich versuche, die Zeit totzuschlagen und mir einzureden, dass sie eine Chance hat zu überleben, wenn auch nur eine unrealistische.

      Aber was ist schon realistisch?

      Robyn IST stark, DAS ist realistisch.

      Niemals würde sie sich kampflos umhauen lassen.

      Meine

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