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strahlte wie ein Junge. Was er sagte, klang so dankbar, dass auch Bayern-Hasser diesen Sportler nicht unsympathisch finden konnten. Der Afrikaner lobte den perfekten Rasen, die gute Stimmung auf der Tribüne und den fairen Gegner. Wie zum Beweis krempelte er die Stutzen herunter, legte die Schienbeinschützer ab und zeigte seine Beine. Sie sahen aus, als käme er gerade vom Ballett. Dann lächelte er und zitierte ein Sprichwort:

      Wenn der Ball nicht wäre, wären die Leute traurig.

      Ein Reporter mit Block fragte: Ist die Torjägerkanone ein Ziel für dich?

      Victor antwortete: I’m a striker. Ich bin bereit für viele Tore.

      Der Pressesprecher atmete erleichtert aus.

      Geografisch gesehen war dieser Gegner in der zweiten Runde des Pokals ein schlechtes Los. Der nächste Flughafen lag weit weg. Es hätte keine Zeit gespart, den Learjet zu nehmen. Deshalb war die Mannschaft im Bus unterwegs. Alle motzten, nur Victor freute sich auf die Fahrt. Auch hier waren die Sitze mit Leder bezogen, wie in den Autos vom Sponsor. In jede Kopfstütze war das Wappen von Bavaria München gestickt. Die Klimaanlage sorgte für Wohlfühltemperatur. In dieser Kapsel konnte man vergessen, durch welche Jahreszeit man fuhr. Wie im Flugzeug hatte jeder Platz einen eigenen Bildschirm, er war in die Rückenlehne des Vordersitzes integriert. Zwölf Kanäle wurden angeboten. Wem diese zu langweilig waren, der konnte Filme seiner Wahl abspielen, an jedem Platz gab es diverse Einsteckmöglichkeiten.

      Wer schlafen wollte, konnte seine Lehne weit nach hinten klappen. Für die Beine gab es Auflagen, elektrisch in der Höhe verstellbar. Der Ersatztorwart betätigte einen Hebel und verschob seinen Sitz um eine Pfostenbreite in den Mittelgang. So gewann er Abstand von seinem Nebenmann.

      Victor saß hinten und hatte Durst. Er ging nach vorn. Dort gab es eine Maschine für Kaffee und eine für Eiswürfel. Im Kühlschrank gab es allerdings kein Bier oder sonstigen Alkohol, noch nicht mal Radler, obwohl eine Brauerei zu den Sponsoren gehörte. Lustlos nahm Victor ein isotonisches Getränk, das nach Grapefruit schmeckte. Beim Rückweg durch den Mittelgang wuchs seine Verwunderung. In diesem Bus saß eine Fußballmannschaft. Sie hatte gewonnen, aber es war still. Fast alle trugen Kopfhörer, keiner redete. Der Pole schaute finster entschlossen auf seinen Bildschirm, dort lief ein Ballerspiel. Sein Spitzname war Alleinikow. Nach dem Schlusspfiff hätte man meinen können, diese Sportler seien Freunde. Aber jetzt sah man eine Zweckgemeinschaft auf dem Heimweg. Die Stimmung der Männer war so, als hätten sie mit Gewürge ein Unentschieden erkämpft. Wehmütig erinnerte sich Victor an Siege in Afrika. Die Mannschaft johlte, sang und schunkelte, bis der Bus schwankte und der Fahrer mit energischem Gebrüll für Ordnung sorgte. Alle tranken Bier, keiner dachte an den schweren Kopf von morgen, bis zum nächsten Spiel dauerte es noch lang. Wieso war das Leben in Deutschland so still? Haben die Leute verlernt, sich zu freuen? Allen geht es gut, wir haben gewonnen – warum lacht keiner?

      Der Bus fuhr als Verheißung über die Autobahn. Außen stand in riesigen Buchstaben:

      DER GROSSE TRAUM

      Hermann war eingenickt. Victor hatte niemand, mit dem er über seine drei Tore reden konnte. Auf das zweite war er besonders stolz, es lief als Film in seinem Kopf. Bilder in Zeitlupe, Wiederholungen in Endlosschleife: Mit Rechts holt er den Pass halbhoch aus der Luft. Stoppt den Ball, legt ihn am Gegner vorbei, dann schießt er mit Links. Trifft mit der ganzen Wucht seines Körpers, der in diesem Augenblick gespannt ist wie ein Bogen. Wieder die unsichtbare Linie, ihr entlang fliegt der Ball, der immer schneller wird. Kurz vor dem Torwart flattert er.

      Victor liebte die Müdigkeit in den Beinen. Dieses Gefühl war gut, am Abend nach dem Spiel erinnerte es an den Kampf. Er holte sein Telefon raus und klickte sich durch die digitale Welt. Dabei entdeckte er, dass es noch mehr Gemeinsamkeiten gab zwischen den verschiedenen Kontinenten des Planeten Fußball. Alle interessierten sich für den Sieger. The Winner Takes It All. Der Erfolg durfte nicht nach Zufall aussehen. Die Leute sollten vergessen, dass jeder Sportler Glück braucht, wenn er nicht verlieren will. Ein gewonnenes Spiel wurde hochgeschrieben zum Triumph, der das Auf und Ab des Wettkampfs überragte. Auf beiden Seiten hatte es Chancen gegeben, aber Tore waren eindeutig. Der Stürmer, der getroffen hatte, verwandelte sich in ein Wesen mit Eigenschaften, die jenseits des normalen Lebens lagen. So las Victor Akbunike über sich:

       Der Zerstörer

       Die Maschine mit den Killerfüßen

       Die Natur hat ihn zum Torjäger bestimmt

      DAS DACH MÜSSEN WIR ERKLÄREN. Mit dem Olympiastadion wollten wir der Welt zeigen, dass Deutschland sich gebessert hat, und zwar gründlich. Keine Monumentalbauten mehr, die Menschen erschlagen. Keine Heldenfiguren wie 1936 in Berlin, kolossal aus Stein gemeißelt. Stattdessen dieses Dach, schwebend wie ein Zelt. Ein Dackel wurde das Maskottchen unsrer Spiele, harmlos und bunt. Diesmal nahmen wir keinen Marmor, sondern Plüsch. Rings um die Sportstätten haben wir einen Park angelegt. Es gab einen See, aber weder Mauern noch Zäune. Den Schutthügel mit den Trümmern aus dem Weltkrieg verwandelten wir in den Olympiaberg. Mit Wegen zum Spazierengehen. Betreten des Rasens ausdrücklich erwünscht.

      Wir haben uns wirklich angestrengt, entspannt zu sein und heitere Spiele zu bieten. Leider war die Welt nicht gut genug für unser Ideal. Arabische Terroristen haben elf Sportler aus Israel ermordet.

      AUSNAHMSWEISE NAHM EVA DIE SCHLIMME STRASSE. Die hieß nicht nur so, wenn die Mosers mit ihren Kindern redeten. Sie war wirklich schlimm. Eine Häuserschlucht mit Fassaden, an denen sich schon der Stadtstaub angelagert hatte, als dies noch ein Armeleuteviertel gewesen war. Einfach verglaste Fenster in ausgelaugten Holzrahmen. Die Kneipe am Eck hatte gelbe Butzenscheiben, der Eingang war zugenagelt. Eine bleiche Stelle im Putz, da hatte mal das Wirtshausschild gehangen. Von hier torkelte niemand mehr nach Hause, diese Schneise diente nur noch dem Verkehr: schmaler Gehweg, keine Bäume, zwei Spuren stadtauswärts. Diese Einbahnstraße markierte die Grenze des Viertels, keiner überquerte sie zu Fuß oder gar mit dem Rad. Auf der anderen Seite gab es eine Turnhalle, in der Boxer trainierten. Keine schillernden Thai- oder Kickboxer, sondern die letzten Vertreter des Arbeitersports. Blasse Männer mit starkem Nacken, Bantam- und Weltergewicht. Schräg gegenüber hatte ein Möbelgeschäft eröffnet. Schau da mal rein, hatte ihre Freundin Barbara empfohlen, die Adresse geht gar nicht, aber die wollen die Wahnsinns-Mieten in den Fünf Höfen nicht bezahlen, was ja echt sympathisch ist.

      Die Verkäuferin sprach mit holländischem Akzent, ironisch hob sie den Vorteil der schlechten Lage hervor: Hier fährt halb München raus nach Grünwald. Im Feierabendstau hat man Zeit, unser Schaufenster zu betrachten.

      Wie es sich für eine Boutique gehört, gab es nur wenige, ausgewählte Stücke. Eine Parodie auf das Hirschgeweih des bayrischen Jägers, geformt aus Draht und Moos. Der absolute Hingucker war jedoch ein Sessel aus Indonesien. Reduzierte Formen, die ins Exotische spielten. Rattanstäbe waren zu einer Sitzfläche gebogen, in der hohen Lehne liefen sie weit über Kopfhöhe einzeln aus, jeder hatte seine eigene Länge. Sie federten elastisch, Eva saß bequem, mitten in der Stadt hatte sie üppig wucherndes Schilf im Rücken. Sie fühlte sich wie am Ufer eines Sees, geborgen in der Natur, und feierte einen kleinen Triumph über ihre Mutter. Mit ihrem spießigen Ordnungssinn würde sie nie verstehen, wie man ein Möbelstück gut finden konnte, das der Schreiner nicht exakt in Form gebracht hatte. Die Holländerin erzählte von einer kleinen Manufaktur auf Sumatra, und Eva fand den Preis von 990 Euro in Ordnung. In Gedanken ersetzte sie bereits den braunen Schaukelstuhl im Wohnzimmer, in dem Korbinian gerne saß und las, seit er ihn als Student bekommen hatte, als Prämie für ein Zeit-Abonnement.

      Um drei war sie mit Barbara verabredet. Zum Schokotraum waren es fünf Minuten zu Fuß. Früher war das eine Filiale der Stadtsparkasse, entsprechend schlicht wirkten die Räume. Die Pächterin hatte nicht genug Geld, um die abgehängte Funktionsdecke herauszureißen und durch etwas Schöneres zu ersetzen. Sie war mit fünf Kameras bestückt. Schwarze, fiese Pickel, die unangenehm an Überwachung erinnerten. Die Pächterin war eine Französin, wohl mit afrikanischen Wurzeln, mit marokkanischen Accessoires hatte sie die Strenge des Ladenlokals gemildert. Sie sagte, sie sei froh über die Kameras, weil Kriminelle schon dreimal versucht hätten, nachts durch die großen Scheiben einzubrechen. Auch der Schokotraum

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