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wie schwierig es ist, seinen Style zu finden. Kein Polohemd ist cool. Das erste Horn sitzt da in einem hellblau geringelten Teil und hat eine Glatze. Überhaupt leuchten viele Platten in diesem Orchester. Ich hab gezählt, bin auf 27 gekommen. Die Harfenistin trägt ein Babydoll, ist aber kein bisschen schwanger, sondern dünn wie eine Saite, da gibt’s nirgendwo was zu raffen. Bin gespannt, was sie heute Abend anzieht. Die zweite Geige steckt in einem T-Shirt mit rotzigem Aufdruck: No rules. Hat sie eine Tochter in der Pubertät, der sie damit imponieren will? Ruft sie im Orchester die Revolution aus? Ausgerechnet hier, im letzten Hort der strengen Hierarchie. Nicht nur der Dirigent gibt Anweisungen, denen alle folgen müssen. Auch dem Stimmführer muss der Streicher sich fügen. Er sagt Abstrich, und wehe, ein Geiger tanzt aus der Reihe und fährt bei diesem Ton mit dem Bogen nach oben.

      Jetzt spielen sie Teil 11, Auf dem Gletscher. Ich muss mich langsam konzentrieren. Lege die Lippen sacht ans Mundstück, blase lautlos hinein, um ein Gefühl für mein Instrument zu bekommen. Vorsichtshalber nochmals Wasser ausblasen, geräuschlos. Endlich: Auf dem Gipfel. Majestätisch, auf dem Höhepunkt der Überwältigungsästhetik, steige ich ein mit einem tiefen C. Muss diesen Ton drei Takte halten, im Forte. Hab deshalb wieder den Atemsack rausgeholt und geübt, dass mir nicht der Dampf ausgeht. Dann beginnt die elende Pausenzählerei. In Teil 14, er heißt Vision, endlich wieder was zu spielen, zehn Takte E. Wie tief dieser Ton ist, sieht schon der Laie in der Partitur: Der sprengt die normalen Noten, er hängt unter der vierten Hilfslinie. Und so klingt er auch. Langsam vibriert er vor sich hin. Du glaubst, jede Schwingung zu hören, jedes Hertz einzeln. Wenn du diesen Ton so lang halten musst, wird dir leicht schwarz vor Augen. Du kannst dich aber nicht einfach rausschleichen, nach sieben Takten oder so. Die Tuba legt das Fundament, lange Töne ohne Spektakel, selten Sechzehntel. Wenn diese Grundlage fehlt, hängen die anderen in der Luft. Mit dem weichen Sound meines dicken Instruments hab ich Anna-Lena gekriegt. Sie sagt Bär zu mir, Pu der Bär, und das ist nicht verkehrt. Ich kann laut und kräftig brummen, aber so, dass es nicht nach Bierzelt klingt. Die tiefen Töne stecken voller Energie, sie federn. Sind verlässlich, klingen gutmütig, haben trotzdem eine klare Kante am Anfang. Darin unterscheiden sich die Guten von den Polkanazis: Bei uns kommt kein dumpfer Brei aus dem Schallbecher. Bis hinunter zum Subkontra-B haben wir eine saubere Ansprache.

      Teil 18, die Stille vor dem Sturm, lässt der Dirigent zweimal wiederholen, dann ist er auch damit zufrieden. Um zwölf ist die Generalprobe zu Ende, jetzt muss ich irgendwie die Zeit rumbringen, das Konzert beginnt um acht. Am gepflasterten Platz in der Altstadt stoße ich auf einen Glutamat-Chinesen. Zum Glück finde ich ein Gasthaus, das reell aussieht. Bestelle ein Weizen und einen Schweinsbraten, als Bass brauchst du eine Grundlage. Eigentlich wollte ich am Nachmittag das barocke Schloss besichtigen, aber nach dem Essen fehlt mir die Energie. Im Golf klappe ich den Fahrersitz nach hinten, so vergeht die Zeit. Kurz nach sechs bin ich in der Künstlergarderobe. Mein Professor an der Musikhochschule hat mir eingeschärft, wie viel an diesem Auftritt hängt. Sein Text war so unnötig wie ein Kropf, ich will ja selbst. Wenn ich die Chance bekomme, im ganz großen Orchester die Alpensinfonie zu spielen, will ich mein Teil dazu beitragen, dass der Klangkörper ins Schweben kommt. Das funktioniert nicht, wenn ich mich hinter den anderen verstecke. Wer so wenige Töne hat wie die zweite Tuba, sollte keinen verkacken. Der Laie würde sich wundern, welches Risiko wir Blechbläser bei jedem Ton eingehen. Es reicht nicht, das erste und das dritte Ventil zu drücken und einfach reinzublasen. Du musst eine Vorstellung entwickeln, wie hoch oder tief der Ton sein soll, sonst stimmt die Lippenspannung nicht. Außerdem brauchst du nicht nur den Mund, sondern auch die Lungen und das Zwerchfell, sogar die Stimmbänder. Du kannst dich nicht irgendwie in den Ton hineinmogeln, der Zungenstoß muss sitzen. Ziemlich viele Körperteile und Organe sind beteiligt, wenn die Tuba klingen soll.

      Am Waschbecken klatsche ich mir kaltes Wasser ins Gesicht. Nehme einen Zahnstocher, damit vom Braten nichts ins Instrument kommt. Putze das Mundstück, öle das vierte Ventil, das hat vorher ein bisschen geklappert. Als ich den Frack aus dem Anzugsack hole, schlägt meine kaufmännische Vorstrafe durch. Manchmal kann ich das Rechnen nicht abstellen. Damals ging ich noch mit Jenny, als ich meine Ausbildung bei der Telekom gemacht hab. Stand im Telefonladen, hab Festnetzanschlüsse verkauft und gemerkt, wie mir die Zeit davonläuft, weil es für die Bewerbung an der Musikhochschule eine Altersgrenze gab. Die ganze Verwandtschaft hat mir abgeraten. Wenn du wenigstens Trompete gelernt hättest, hat meine Mutter gejammert. Aber Tuba? Die marschiert an Fronleichnam hinterher, man kann sie auch weglassen. Damit willst du Geld verdienen? Mein Vater, wie fast immer vernünftig: Bleib im Musikverein und bei der Telekom, dann bist du versorgt. Meine schwäbische Oma: Armut isch a Haderkatz. Ich war so krass hin und her gerissen, dass es wehgetan hat. Zum Glück hatte ich zitate.de abonniert, da gab’s jeden Morgen einen Spruch. Als ich die Entscheidung nicht länger hinausschieben konnte, kam ausgerechnet Gustav Heinemann. Der war mal Bundespräsident, hat nicht so rasant formuliert, aber mir hat er geholfen: Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.

      Im Wintersemester hab ich in München angefangen, an der Hochschule im alten Nazibunker. Dass ich mit meinem Instrument Frauen begeistern kann, war mir schnell klar. Bei einem Auftritt in der Muffathalle hab ich Anna-Lena kennengelernt. Sie sagte, dass ich und dieses Instrument zusammenpassen. Dass dieser Groove bei ihr etwas auslöst, ganz tief im Bauch. Sie studiert Germanistik und Theologie. Nach Weihnachten bin ich in ihre WG in der Hampelmannstraße gezogen.

      Die Kunst ist für mich bisher ein Zuschussgeschäft. Ich hoffe, das ändert sich noch. Als klar war, dass aus BrassXpress etwas wird, hab ich mir ein Sousaphon gekauft, obwohl die zweite Tuba noch nicht abbezahlt ist. In unserem Fach braucht jeder zwei Instrumente: eine Basstuba in F. Und das ganz dicke Ding, die Kontrabasstuba in B, die ist noch tiefer. Für die Alpensinfonie musste ich mir einen Frack zulegen. Second Hand, aber mit Hemd und Weste hat die Verkleidung des ernsthaften Musikers mehr gekostet, als die Gage einbringt. Dazu kommt der Diesel für den Golf, und dann noch der Schweinsbraten.

      Die Harfenistin trägt ein schwarzes Kleid mit einem erstaunlich langen Schlitz. In Teil 19, dem Abstieg vom Berg bei Gewitter und Sturm, kommt mein Achtellauf, chromatisch nach unten. Als ich beim G angekommen bin, trommelt neben mir die erste Tuba – sie hat ihr Resthaar quer über die Platte gekämmt – mit den Fingern auf den Oberschenkel. Jeder Orchestermusiker versteht diesen Code – er ist das Zeichen fetter Anerkennung. Man kann ja nicht nicken wie im normalen Leben, das würde vom Publikum gesehen. Wer auf einer klassischen Bühne spielt, soll keine Gefühle zeigen, sondern so verlässlich wie eine Maschine sein Instrument bedienen.

      Die Sinfonie endet mit der Nacht, in meinem Fall mit einem gehauchten Ton im dreifachen Piano. Ich muss mich zusammenreißen, dass er nicht wegbricht. Weil mir fast die Tränen kommen, als der letzte Akkord im Saal schwebt.

      DER HÖCHSTE BERG DEUTSCHLANDS steht in Bayern, wo auch sonst? Drei Bahnen bringen Touristen bequem auf den Gipfel. Man kann freilich immer noch zu Fuß hinauf. Eine beliebte Route führt durch das Höllental. Zuerst geht es in eine Schlucht. Sie bietet Grusel mit Geländer, deshalb ist die Klamm auch bei Familien mit Kindern beliebt und kostet Eintritt. Dann überquert man mit Steigeisen einen der letzten Gletscher unseres Landes. Wer die schwierige Randkluft ohne Sturz überwindet, klettert am steilen Fels nach oben. Diese Tour ist mit Anstrengung verbunden, sinnvollerweise übernachten die meisten Bergsteiger in der Hütte, die auf halbem Weg am Höllentalanger liegt. Sie wurde 1893 von der Münchner Sektion des Alpenvereins gebaut. Sechs Lager auf Matratzen und 16 im Heu schienen damals ausreichend. Doch das Blockhaus mit den grünen Fensterläden wurde bald zu klein und entsprach irgendwann nicht mehr den Vorschriften für Brandschutz und Hygiene, mit denen bei uns auch das Leben im Gebirge geregelt wird. Der Alpenverein beschloss, eine neue Hütte zu bauen. Mit Heißwasser, Dusche und Empfang fürs Mobiltelefon. Außerdem sollte sie ein Flachdach bekommen – Lawinen würden darüber hinweggleiten, statt mit ihrer Wucht ein Satteldach zu zerstören.

      Der Widerstand war enorm. Unterschriften wurden gesammelt. Eher fließt die Loisach bergauf, als dass so ein Schandfleck am Wetterstein gebaut wird, hieß es in Bergsteigerkreisen. WLAN auf der Hütte – braucht’s das? Planen die ein Tagungshotel? Dieses Häusl ist ein Refugium, vor dem die Modernisierung Halt machen muss. Am Berg soll das Leben gefälligst so bleiben, wie es im Tal schon lange nicht mehr ist.

      Als

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