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      Tab. 3.1:

      Die wichtigsten Wortbildungstypen im Deutschen

      Ein spezieller Fall, der sich weder dem Wortbildungstyp der KompositionKomposition noch dem der DerivationDerivation zuordnen lässt, aber im Deutschen als ausgesprochen produktiv gilt, ist die sogenannte PartikelverbbildungPartikelverbbildung (z. B. auf-/an-/zu-/ab-machen). Der besondere Status ergibt sich aus der Trennbarkeit in bestimmten morphologischen und syntaktischen Kontexten, vgl. (1)-(4). Im Kontrast dazu handelt es sich bei Komposita und bei durch Derivation gebildeten PräfixverbenPräfixverben um feste Einheiten.

(1) Er will nachher seine Tochter von der Schule abholen.
(2) Er ist gerade los, um seine Tochter von der Schule abzuholen.
(3) Er holt gerade seine Tochter von der Schule ab.
(4) Er hat seine Tochter von der Schule abgeholt.

      Es ist daher also berechtigt, PartikelverbenPartikelverben einen besonderen Status zuzubilligen. Es handelt sich bei diesen um ein Phänomen zwischen Wortbildung und Syntax (siehe grammis2). Um Lernende auf die Besonderheiten von Partikelverben aufmerksam werden zu lassen, könnten die Partikeln fett markiert werden, vgl. (1)-(4). Diese Hervorhebung lässt sich auch dadurch rechtfertigen, dass Verbpartikeln (z. B. ab, auf, zu, an, ein, …) im Unterschied zu Verbpräfixen (z. B. be-, er-, ent-, ver-) den Akzent tragen, vgl. abfragen, anfragen vs. befragen, erfragen.

      Um die Lernenden an die morpho-syntaktischen Eigenarten von PartikelverbenPartikelverben heranzuführen und ihnen eine Mustererkennung der Verwendungsweisen zu ermöglichen, ist es ratsam, zunächst eine Auswahl an nur wenigen, frequent gebrauchten Partikelverben zu treffen. Wählt man hierbei einen semantisch unspezifischen Verbstamm, wird der Fokus automatisch auf die Partikel gelenkt, da sie die zentrale Bedeutung enthält (z. B. aufmachen, zumachen, anmachen). Bei einer solchen wohl überlegten Auswahl an Partikelverben gelingt es dem Lernenden leichter als bei einem Überangebot an verschiedenen Partikeln und Verbstämmen (wie häufig in Lehrbüchern zu finden) das zugrundeliegende System der Verwendungsmuster zu durchschauen und zu verinnerlichen. Hierauf aufbauend lässt sich dann systematisch der Verbwortschatz erweitern und die Produktivität einzelner Partikelverbmuster erfahren, vgl. (5) und (6).

(5) Wie, auf welche Art und Weise kann man etwas aufmachen? aufdrehen, aufschrauben, aufziehen, aufdrücken, aufbrechen, aufstoßen, …
(6) Wie, auf welche Art und Weise kann man ins Klassenzimmer reinkommen? rein rennen, rein schlendern, rein schleichen, rein schlurfen, rein poltern, rein stolpern, …

      Mit der PartikelverbbildungPartikelverbbildung haben wir nun also neben der KompositionKomposition, DerivationDerivation und KonversionKonversion, vgl. Tab. 3.1, einen weiteren, wenn auch aufgrund seiner morpho-syntaktischen Eigenarten speziellen, im Deutschen aber sehr präsenten Wortbildungstyp identifiziert. Die Schwierigkeiten, die Lernende mit PartikelverbenPartikelverben haben, können auf ihre Trennbarkeit und Distanzstellung zurückgeführt werden. Dies gilt insbesondere für SprachanfängerInnen und wird in den Kapiteln 5 und 12 zur Wortstellung noch einmal thematisiert. Bei fortgeschrittenen Deutschlernenden geht es vor allem darum zu durchschauen, welche Bildungen produktiv sind, vgl. (5), und somit auch für eigene Wortschöpfungen zur Verfügung stehen, und welche lexikalisiert sind (z. B. aufräumen, auffinden).

      Wenden wir uns im Folgenden noch einmal den anderen Wortbildungstypen zu. Besonders „berüchtigt“ ist die deutsche Sprache für ihre starke Neigung zur KompositionKomposition (Roelcke 2011: 56). Auf eindrückliche Weise zeigt sich vor allem bei diesem Wortbildungstyp ein Hang zu komplexen Wortkonstruktionen. Man vergleiche hierfür nur einmal die Konstruktion Unabhängigkeitserklärung mit der englischen Entsprechung Declaration of Independence. Die meisten Lernenden zeigen sich überrascht, was das Deutsche für „Bandwurmwörter“ hervorbringen kann, und wissen nicht recht, wie sie damit umzugehen haben.

      Ausgehend von einfachen, häufig gebrauchten Komposita (weinrot, Rotwein, Haustür), lassen sich zunächst die Grundregeln der KompositionKomposition vermitteln. So bestimmt das rechtsstehende Element nicht nur die WortartWortart sondern auch die Flexionsklasse. Daher lassen sich Übungen mit N+N-Komposita auch gut verbinden mit Übungen zum grammatischen Geschlecht: das Haus + die Tür die Haustür (zur Genuskategorie siehe auch 4.2.1).

      Die Bedeutung eines Kompositums aus seinen Bestandteilen zu ermitteln, ist oft gar nicht so leicht. So lässt sich bei dem Kompositum „Lernwiese“ ohne Kontext nicht entscheiden, ob dies eine Wiese ist, auf der man lernt oder aber eine Wiese, an der man etwas lernt oder ob möglicherweise eine uns im Moment noch gar nicht in den Sinn kommende Lesart die zutreffende ist (Fandrych & Thurmair 1994: 37). Heißt das dann aber, dass wir den Deutschlernenden für die Interpretation eines Kompositums der Form AB lediglich eine ganz allgemeine Erschließungsregel wie etwa „B hat irgendetwas mit A zu tun“ (ebd. 36) mit auf den Weg geben können? Mit den Aufgaben 3 und 4 (am Ende dieses Kapitels) soll dieser Frage nachgegangen werden.

      Ab einer Dreigliedrigkeit ist bei der Interpretation zudem zu überlegen, welche der Teile sich wohl zuerst verknüpft haben und damit in engerer morphologischer sowie semantischer Verbindung stehen. Nicht immer liegt der Fall so klar wie bei Haustürrahmen oder Haustürschlüssel, vgl. Abb. 3.1. Handelt es sich beispielsweise bei Frauenfilmfestival um ein Festival, auf dem Frauenfilme gezeigt werden oder ist es ein Filmfestival, das sich speziell an Frauen richtet?

      Abb. 3.1:

      Binäre Struktur für das dreiteilige Kompositum Haustürschlüssel

      Für viele der in Tab. 3.1 aufgeführten Derivations- und Konversionsmuster bieten sich in der Unterrichtsinteraktion durch eine spezifische Inputgestaltung vielfältige Möglichkeiten, die Lernenden auch implizit an Wortbildungsmuster heranzuführen, wie die zwei Redeauszüge in (7) und (8) illustrieren sollen. Der erste Auszug ist geeignet für SprachanfängerInnen im Kontext handlungsbegleitenden Sprechens und der zweite für fortgeschrittene Lernende.

(7) Jetzt müssen wir an jeder Seite noch ein Loch reinmachen. Wir müssen das Papier an jeder Seite lochen. Und dafür nehmen wir den Locher. (Bischoff & Bryant 2020: 326)

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