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Der orthopädische Chirurg des Krankenhauses zeigte mir die Ergebnisse mit düsterer Miene: Damit sich die Knochenfragmente, die sich jetzt an meinem Rückenmark befanden, nicht weiter ausbreiteten, müsse mir ein Harrington-Stab implantiert werden. Bei einer solchen Operation wird zwei bis drei Segmente unterhalb und oberhalb der Frakturen die Rückseite der Wirbel herausgeschnitten; dann werden zwei 30 Zentimeter lange Edelstahlstäbe an beiden Seiten der Wirbelsäule festgeschraubt und eingeklemmt. Daraufhin werden vom Hüftknochen ein paar Fragmente abgeschabt und über die Stäbe geklebt. Das ist keine kleine Sache, sondern eine große Operation. Danach bestünde die Chance, wieder laufen zu können. Doch mir war klar, dass ich selbst dann immer noch stark behindert sein und mein Leben lang mit chronischen Schmerzen leben würde. Diese Option gefiel mir verständlicherweise überhaupt nicht.

      Doch ohne OP schien die Lähmung unausweichlich zu sein. Der beste Neurologe in der Gegend von Palm Springs war derselben Meinung wie der erste Chirurg. Er sagte mir, er wisse von keinem einzigen Patienten in meinem Zustand, der die Operation abgelehnt habe. Durch den Aufprall bei dem Unfall sei mein T-9-Wirbel keilförmig zusammengedrückt worden; dadurch könnte meine Wirbelsäule das Gewicht meines Körpers beim Aufstehen nicht tragen. Sollte ich es versuchen, würde mein Rückgrat kollabieren, wodurch sich die verstreuten Wirbelteilchen tief in mein Rückenmark drückten, was auf der Stelle eine Lähmung brustabwärts zur Folge hätte. Auch das war wahrlich keine attraktive Option.

      Ich wurde in ein Krankhaus in meinem Heimatort La Jolla überführt und holte dort zwei weitere Meinungen ein, unter anderem von den führenden orthopädischen Chirurgen Südkaliforniens. Beide Ärzte waren übereinstimmend der Meinung, ich solle mir einen Harrington-Stab implantieren lassen – was ja keine Überraschung war. Die Prognose war ziemlich überall die gleiche: entweder Operation oder gelähmt sein und nie wieder laufen können. Ich hätte als Arzt an ihrer Stelle dieselbe Empfehlung ausgesprochen und dasselbe gesagt: Diese Option war die sicherste. Aber es war nicht die Option, für die ich mich entschied.

      Vielleicht war ich damals einfach nur jung und wagemutig: Ich entschied mich gegen das medizinische Modell und die Spezialistenempfehlungen. Ich glaube an eine uns innewohnende Intelligenz, ein unsichtbares, lebensspendendes Bewusstsein. Es unterstützt, unterhält, schützt und heilt uns in jedem Augenblick unseres Lebens. Es erzeugt fast 100 Billionen spezialisierte Zellen (am Anfang sind es nur zwei); es lässt unser Herz Hunderttausende Male am Tag schlagen, organisiert in jeder einzelnen Sekunde und jeder einzelnen Zelle Hunderttausende an chemischen Reaktionen und erledigt noch viele weitere erstaunliche Aufgaben. Damals überlegte ich mir: Wenn diese Intelligenz etwas Reales war und willentlich, achtsam und liebevoll solche wundersamen Fähigkeiten an den Tag legt, dann könnte ich vielleicht meine Aufmerksamkeit von der Außenwelt weg und nach innen lenken, um mich mit dieser Intelligenz zu verbinden – dann könnte ich versuchen, eine Beziehung zu ihr zu entwickeln.

      Ich hatte die Heilungskraft des Körpers zwar intellektuell verstanden, aber jetzt musste ich all dieses philosophische Wissen umsetzen und auf die nächste Ebene und darüber hinaus bringen, um eine echte Heilerfahrung zu kreieren. Da ich nirgendwohin gehen konnte und auch nichts tat, außer mit dem Gesicht nach unten dazuliegen, fasste ich zwei Entschlüsse: Zum einen wollte ich jeden Tag meine gesamte bewusste Aufmerksamkeit auf diese Intelligenz in mir richten und ihr einen Plan unterbreiten, eine Vorlage, eine Vision, mit ganz spezifischen Aufträgen, um dann loszulassen und diesem größeren Geist mit seiner unbegrenzten Macht meine Heilung zu überlassen. Zum Zweiten wollte ich keinen unerwünschten Gedanken an meiner Aufmerksamkeit vorbeischlüpfen lassen. Klingt ganz einfach, oder?

      Eine radikale Entscheidung

      Gegen den Ratschlag meiner Ärzte verließ ich das Krankenhaus in einer Ambulanz, die mich zum Haus zweier enger Freunde fuhr. Dort verbrachte ich die nächsten drei Monate und konzentrierte mich ganz auf meine Heilung. Ich befand mich auf einer Mission. Jeden Tag wollte ich als Erstes an der Rekonstruktion meiner Wirbelsäule arbeiten, Wirbel für Wirbel, um diesem Bewusstsein – falls es meine Bemühungen tatsächlich wahrnahm – zu zeigen, was ich wollte. Ich war mir bewusst, was das bedeutete: vollständige Präsenz, ganz im jeweiligen Moment gegenwärtig sein, kein Bedauern meiner Vergangenheit, keine Sorgen um die Zukunft, keine obsessive Beschäftigung mit den Umständen meines äußeren Lebens, kein Fokussieren auf meine Schmerzen und Symptome. Wir wissen ja eigentlich in jeder Beziehung mit einem anderen Menschen, ob diese Person bei uns präsent ist oder nicht, nicht wahr? Bewusstsein ist Bewusstheit, Bewusstheit ist Aufmerksamkeit, und Aufmerksamkeit ist Präsenz und Wahrnehmen. Also würde dieses Bewusstsein wahrnehmen, wann ich präsent war und wann nicht. Ich musste in der Interaktion mit diesem Bewusstsein total präsent sein, ebenso gegenwärtig, mit ebenso starkem Willen und mit genauso starker geistiger Kraft wie dieses Bewusstsein.

      Also ging ich zweimal täglich zwei Stunden in mich und kreierte ein Bild meiner beabsichtigten Ergebnisse: eine komplett geheilte Wirbelsäule. Natürlich fiel mir auf, wie unbewusst und unfokussiert ich war. Wie ich damals erkannte, richten wir ironischerweise im Fall einer Krise oder eines Traumas zu viel Aufmerksamkeit und Energie auf Gedanken darüber, was wir nicht wollen, anstatt auf das Gewünschte.

      In den ersten paar Wochen hatte auch ich immer wieder diese Tendenz. Während meiner Meditationen über das von mir gewünschte Leben mit einer vollkommen gesunden Wirbelsäule bemerkte ich oft plötzlich, wie ich unbewusst über die Worte nachdachte, die mir die Chirurgen vor ein paar Wochen gesagt hatten: dass ich wahrscheinlich nie wieder laufen könne. Mitten in meinen Visualisierungen meines innerlichen Aufbaus meiner Wirbelsäule erwischte ich mich bei Gedanken darüber, ob ich meine chiropraktische Praxis verkaufen sollte. Oder ich übte gerade mental, wieder zu laufen, und ertappte mich bei der Vorstellung, wie es wohl sein würde, den Rest meines Lebens in einem Rollstuhl zu sitzen. Sie wissen schon, was ich meine.

      Jedes Mal, wenn ich unaufmerksam wurde und mein Geist zu anderen, nicht förderlichen Gedanken abwanderte, begann ich von vorne und visualisierte alles noch einmal. Das war nervig, frustrierend und, ganz ehrlich, mit das Schwierigste, was ich je gemacht habe. Aber ich wollte diesem inneren Beobachter ein klares, sauberes, dauerhaftes finales Bild liefern. Um diese Intelligenz zu dem von mir erhofften Ergebnis zu bringen – und ich wusste, dass es ihr möglich war –, musste ich vom Anfang bis zum Schluss bewusst bleiben und nicht ins Unbewusstsein abdriften.

      Sechs Wochen focht ich einen Kampf mit mir selbst aus und bemühte mich, mit diesem Bewusstsein präsent zu sein; schließlich konnte ich meinen inneren Aufbauprozess durchlaufen, ohne immer wieder von vorne anfangen zu müssen. Ich erinnere mich, wie es mir zum ersten Mal gelang – es war ein Gefühl, wie wenn man einen Tennisball am Sweetspot trifft. Es fühlte sich richtig an. Es machte »Klick«; etwas rastete ein, und ich fühlte mich vollständig, zufrieden und ganz. Zum ersten Mal war ich wirklich entspannt und präsent – mental wie auch körperlich, ohne geistiges Geschnatter, ohne Analysieren, ohne Gedanken, ohne fixe Ideen, ohne Probieren. Etwas löste sich auf, und es herrschte Frieden und Stille – als wären mir all die Dinge, um die ich mir eigentlich in der Vergangenheit und der Zukunft hätte Sorgen machen müssen, egal.

      Diese Erkenntnis bestärkte mich auf meiner Reise, denn genau zu diesem Zeitpunkt wurden das Visualisieren meiner Wünsche und die Rekonstruktion meiner Wirbel von Tag zu Tag einfacher. Und was noch wichtiger war: Mir fielen einige ziemlich wichtige physiologische Veränderungen auf. In diesem Moment brachte ich meine innere Arbeit, mit der ich diese Veränderungen bewirken wollte, mit dem zusammen, was außerhalb von mir passierte – in meinem Körper. Und von da an achtete ich verstärkt darauf, was ich machte, und tat es mit mehr Überzeugung, immer und immer wieder, und zwar mit Freude und Inspiration, anstatt mich halbherzig zu bemühen. Auf einmal konnte ich das, wofür ich vorher zwei oder drei Stunden gebraucht hatte, schneller erreichen.

      Jetzt hatte ich also jede Menge Zeit. Ich begann mir vorzustellen, wie es wäre, wieder einen Sonnenaufgang am Wasser zu erleben, mit meinen Freunden essen zu gehen und in einem Restaurant zu sitzen, und wie ich diese Dinge nie wieder als selbstverständlich betrachten würde. Ich stellte mir vor, wie ich duschte und das Wasser auf Gesicht und Körper spürte. Oder wie ich einfach auf der Toilette saß oder am Strand von San Diego spazieren ging, den Wind auf meinem Gesicht spürte. Diese Dinge hatte ich vor dem Unfall nie wirklich vollkommen wertgeschätzt, aber jetzt waren sie bedeutsam – und ich nahm mir die

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