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Gang. Edel und ge­ra­de die hohe Ge­stalt em­por­ge­rich­tet, fühl­te sie lang­sam ge­las­se­nen Schrit­tes vor, Ober­kör­per und Haupt mit ei­ner vor­neh­men Nick­be­we­gung pfau­en­ar­tig nach­ho­lend.

      Die Ver­bin­dung zwi­schen dem Fürs­ten­haus Hoch­berg-Pleß und der Fa­mi­lie Straeh­ler war Men­schen­al­ter hin­durch schick­sal­haft. Die­se hat­te Dienst­leu­te und Be­am­te al­ler Art ge­stellt. Eine der schöns­ten Aus­wir­kun­gen die­ses Ver­hält­nis­ses war die Stel­lung, die Fer­di­nand Straeh­ler als Brun­nen­in­spek­tor ein­neh­men durf­te. Da­mals war ich noch weit ent­fernt, die Weh­mut der Mut­ter zu be­grei­fen, dar­über, dass die­ses har­mo­ni­sche Le­ben und Wir­ken ei­nes Man­nes und sei­ner Fa­mi­lie, in dem auch sie wur­zel­te, nun doch zu Ende ge­gan­gen war.

      Mei­net­we­gen, es war ein Wir­ken im klei­nen Kreis, aber der Groß­va­ter hat­te doch in Freund­schaft mit hoch­ge­bil­de­ten Män­nern, un­ter an­de­ren Ge­heim­rat Zem­plin und dem Ma­ler Jo­seph Fried­rich Raa­be, ei­nem zeit­wei­li­gen Haus­ge­nos­sen und Be­ra­ter Goe­thes, das Bad Ober-Salz­brunn fast aus dem Nichts auf­bau­en kön­nen. Die Eli­sen­hal­le, das Kur­haus, der Brun­nen­saal, der An­na­turm, das Thea­ter und die ge­sam­ten Park­an­la­gen zeug­ten da­von.

      *

      Im Saa­le des Ho­tels Zur Son­ne in Salz­brunn gab es nach Schluss der Som­mer­sai­son eine Ver­an­stal­tung mit mu­si­ka­li­schen Vor­trä­gen. Be­su­cher wa­ren vor­nehm­lich die Salz­brun­ner selbst und ei­ni­ge Fa­mi­li­en der Nach­bar­schaft. Als mei­ne Mut­ter mit mir und mei­ner Schwes­ter den Saal be­trat, wa­ren alle Plät­ze be­setzt au­ßer den Stüh­len der ers­ten Rei­he, auf de­nen Zet­tel mit dem Wort »Re­ser­viert« la­gen. Mei­ne Mut­ter schob ganz ein­fach drei der Zet­tel hin­weg, nahm sel­ber Platz und hieß uns Platz neh­men. Was soll­te das hei­ßen? Wem soll­ten die Ho­no­ra­tio­ren­plät­ze zu­ste­hen, wenn nicht der Fa­mi­lie des Brun­nen­in­spek­tors?

      Wir brach­ten den Win­ter von Ein­und­sieb­zig auf Zwei­und­sieb­zig nicht im Gast­hof zur Kro­ne, son­dern im Kur­saal zu. Die­se Zeit ist für mich über­aus denk­wür­dig.

      Mein Va­ter hat­te, wie ich schon sag­te, den Kur­saal ge­pach­tet. Ich neh­me an, der Brun­nen­in­spek­tor hat­te ihm das so be­nann­te, dem Fürs­ten ge­hö­ri­ge Ba­de­ho­tel, das mit dem Kur­park zu­sam­men­hing, sei­ner­zeit in die Hand ge­spielt. Wa­rum wir da­hin für den Win­ter über­ge­sie­delt sind? Es hat­te wohl dar­in sei­nen Grund, dass mein Va­ter nun, durch die ho­hen Zin­sen der neu­en Hy­po­the­ken ge­drängt, jede Mög­lich­keit, zu ver­die­nen, aus­nüt­zen woll­te, wes­halb auch der Kur­saal im Win­ter ge­öff­net blieb.

      Die Kur­saa­l­exis­tenz war von ei­ner ge­wis­sen Be­hag­lich­keit, die jene in der Kro­ne über­traf. Die Ga­sträu­me, die ei­gent­lich nur sonn­abends und sonn­tags von Schlit­ten­gäs­ten be­sucht wur­den, be­stan­den aus drei freund­li­chen Stu­ben im Par­terre, die nur bei star­kem Ver­kehr durch Öff­nung ei­nes der bei­den Ge­sell­schafts­sä­le er­gänzt wur­den.

      Moch­ten wir nun aber auch die gan­ze Wo­che al­lein blei­ben und der klei­ne Ap­pa­rat nur für uns sel­ber vor­han­den sein, so wa­ren wir doch nicht, wie in der Kro­ne, von der Öf­fent­lich­keit ab­ge­schlos­sen, son­dern muss­ten mit Über­ra­schun­gen rech­nen. Hat­te doch je­der­mann grund­sätz­lich das Recht, bei uns ein­zu­keh­ren.

      *

      In der Schu­le war un­ter ei­nem ehe­ma­li­gen Feld­we­bel, Groß­mann, Ex­er­zie­ren ein­ge­führt: Rechts um, links um! Au­gen rechts, Au­gen links! Vor­wärts marsch! Eins, zwei, eins, zwei! Gan­zes Ba­tail­lon halt! Kehrt! Still­ge­stan­den! Rührt euch! Groß­mann war Kin­der­freund und über­aus gut­mü­tig.

      Die Dorf­schu­le hat­te sechs Trom­meln ge­kauft: al­les Mar­tia­li­sche kam nach dem Krie­ge und Sie­ge in Auf­nah­me. Das Glück war mir hold, und ich wur­de ei­ner der Tromm­ler. Wir durf­ten drei­vier­tel Stun­den vor dem Ende des Un­ter­richts un­se­re Trom­meln um­schnal­len, um uns zu­nächst für den Schul­spa­zier­gang ein­zuü­ben. Wer fasst es wohl heut, was dies uns Jun­gen be­deu­tet hat?

      Uns führ­te im­mer der glei­che Weg hin­ter der Schu­le hü­gel­an bis zu ei­nem al­ten Birn­baum ins Feld hin­aus. Dort er­scholl das Kom­man­do des Tam­bour­ma­jors, der sei­nen be­trod­del­ten Stab mit sich führ­te. Und dann schlu­gen wir auf die Kalb­fel­le.

      Das Trom­meln mach­te uns Freu­de, ganz ge­wiss, aber wie es nun ein­mal bei Jun­gens nicht an­ders ist, wir ver­ga­ßen es auch zu­wei­len. Wir ent­fern­ten uns ge­le­gent­lich wei­ter vom Ort und tra­fen ein­mal auf eine große Krö­te. Plötz­lich hat­ten wir alle den einen Ge­dan­ken, dass in ihr ein Feind, etwa der Feind Deutsch­lands, in­kar­niert wäre, und da man auf dem Ge­län­de über­all faust­große Stei­ne auf­neh­men konn­te, kam es so­gleich zur Stei­ni­gung. Wir war­fen die Stei­ne mit ei­ner Wut auf das häss­li­che Tier, die es in we­ni­gen Au­gen­bli­cken nach sei­nem letz­ten, mensch­lich er­staun­ten, mensch­lich pro­tes­tie­ren­den Ge­quiek zu Mus mach­te. Aber zu schleu­dern und im­mer wie­der in sinn­lo­sem Ra­sen Stei­ne über Stei­ne zu schleu­dern, hör­ten wir dar­um noch lan­ge nicht auf. Am Ende ist von dem ar­men ver­wun­sche­nen Got­tes­ge­schöpf nichts ir­gend Kennt­li­ches üb­rig­ge­blie­ben.

      Wie ka­men wir nur zu die­sem Aus­bruch be­sin­nungs­los mör­de­ri­scher Lei­den­schaft?

      *

      Ein Flü­gel wur­de die Wo­che über aus dem klei­nen Kur­haus­saal, da­mit er nicht von der Käl­te lei­de, im Wirt­schafts­zim­mer auf­ge­stellt. Mein Va­ter spiel­te öf­ter als sonst sei­ne ge­dämpf­te Erin­ne­rungs­mar­seil­lai­se und Par­ti­en aus der von ihm be­son­ders ge­lieb­ten Lort­zing­schen Oper »Zar und Zim­mer­mann«. So­gar mei­ne Mut­ter saß mit­un­ter, mich zur Sei­te, gleich­sam ver­stoh­len am Kla­vier und ent­schloss sich scham­haft, das »Ge­bet ei­ner Jung­frau« halb­laut an­zu­schla­gen. Ich glau­be nicht, dass aus den Mu­sik­stun­den ih­rer Mäd­chen­jah­re mehr üb­rig­ge­blie­ben war.

      Jo­han­na spiel­te recht hübsch Kla­vier. Sie war aber die­sen Win­ter nicht da, son­dern in der schle­si­schen Kreis­stadt Strie­gau in ei­ner von ade­li­gen Da­men ge­hal­te­nen Pen­si­on un­ter­ge­bracht, wo sie den letz­ten ge­sell­schaft­li­chen Schliff ei­ner »hö­he­ren Toch­ter« be­kom­men soll­te. Und was mich be­traf, so wa­ren Ver­su­che ei­nes Kla­vier­un­ter­richts durch Leh­rer Irr­gang fehl­ge­schla­gen.

      Al­lein die­ser Um­stand ver­hin­der­te nicht, dass ge­ra­de ich die el­fen­bei­ner­ne Kla­via­tur am meis­ten be­an­spruch­te. Ich hat­te mir »Die Wacht am Rhein« auf den Tas­ten zu­sam­men­ge­sucht, dann aber auch eine An­zahl Cho­rä­le. Sol­che vor al­lem, die wie »Lasst mich ge­hen, lasst mich ge­hen, dass ich Je­sum möge se­hen!« an of­fe­nen Grä­bern ge­sun­gen wur­den. »Mei­ne Seel ist voll Ver­lan­gen, ihn auf ewig zu um­fan­gen«, so wie­der­hol­te ich im Geis­te un­zäh­li­ge Male dies von from­mer In­brunst ge­tra­ge­ne Jen­seits-Lie­bes­lied, mei­ne in­ne­re Stim­me müh­sam auf dem Kla­vier be­glei­tend.

      Und ich ging dar­über hin­aus.

      Es war eine pro­duk­ti­ve Lust in mir, mich und ge­wis­se dra­ma­ti­sche Vor­gän­ge aus dem Rin­gen des Men­schen mit der Na­tur dar­zu­stel­len. Ein Mo­tiv die­ser Art war der hoff­nungs­lo­se Kampf, den ein Schiff im

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