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ge­bil­ligt wor­den. Da mei­ne Mut­ter nun kei­nes­wegs in dem er­war­te­ten Sin­ne glück­lich ge­wor­den war, ging ein Zwie­spalt durch ihre See­le.

      Ich ahn­te das al­les in man­chem drücken­den Au­gen­blick, wenn ich in Mut­ters Nähe weil­te, aber dann tat ich eben wie­der dem Foh­len gleich und ga­lop­pier­te da­von, ins Freie.

      Die wirt­schaft­lichs­te un­ter den Töch­tern des Brun­nen­in­spek­tors war mei­ne Mut­ter. Heut weiß ich, dass sie auch die klügs­te ge­we­sen ist. Rein äu­ßer­lich wäre viel­leicht eine grö­ße­re Har­mo­nie er­zielt wor­den, wenn die ge­nia­le und seh­ni­ge Tan­te Ju­lie mit ih­ren ge­sell­schaft­li­chen Ta­len­ten in den Gast­hof, mei­ne Mut­ter in das Do­mi­ni­um Lohnig ein­ge­hei­ra­tet hät­te. Auf ei­nem Guts­hof, sag­te sie im­mer, sei ihr wah­res Wir­kungs­feld. Auch ist es ein Guts­be­sit­zer in Quols­dorf ge­we­sen, dem sie um mei­nes Va­ters wil­len einen Korb ge­ge­ben hat.

      Nicht beim Tode des Brun­nen­in­spek­tors, aber bei Ver­tei­lung der Erb­mas­se bra­chen alle ver­harsch­ten Wun­den in den See­len mei­ner El­tern wie­der­um auf.

      *

      Mich mit den An­ge­le­gen­hei­ten der Er­wach­se­nen ernst­lich zu be­schäf­ti­gen, be­stand bis­her kei­ne Not­wen­dig­keit. Es war selbst­ver­ständ­lich, dass mei­ne El­tern, mensch­li­che Göt­ter, in je­der Be­zie­hung für mich sorg­ten. Zwei­fel an der ge­si­cher­ten Macht und Kraft, aus der sie es ta­ten und tun muss­ten, be­stan­den nicht. Auf dem Wege von Lohnig nach Strie­gau, in der Land­kut­sche, ging mir zum ers­ten Mal mei­ne Ver­bun­den­heit mit ei­ner großen Volks­ge­mein­schaft auf, von de­ren Wohl und Wehe mein ei­ge­nes nicht zu tren­nen war. Und mehr als das: näm­lich so weit ver­brei­tet, so zahl­reich, so stark und wehr­haft die­se Volks­ge­mein­schaft war, sie war ver­letz­lich, sie konn­te in Fra­ge ge­stellt, ja zer­stört wer­den.

      Die ge­wohn­heits­mä­ßi­gen, fort­lau­fen­den Kna­ben­sor­gen stör­ten mich nicht, sie ge­hör­ten zu mei­ner Per­sön­lich­keit. Nun aber wur­de ich in die all­ge­mei­ne Sor­ge um Volk und Va­ter­land hin­ein­ge­zo­gen, und et­was mir bis­her ganz Fer­nes und Frem­des be­las­te­te mich.

      Die­se be­fremd­li­chen Düs­ter­nis­se im Rau­me mei­nes Ge­müts wur­den bald vom Fan­fa­ren­ge­schmet­ter der Sie­ge auf­ge­löst. Feu­er­wer­ke, Ra­ke­ten, Leucht­ku­geln, Son­nen stie­gen im­mer­wäh­rend, so­gar am hel­lich­ten Tage, em­por, als gäl­te es, der na­tür­li­chen Son­ne am Him­mel den Rang ab­zu­lau­fen.

      Jetzt aber, nach dem Tode des Groß­va­ters, er­wies sich ein an­de­rer Bo­den, des­sen un­an­tast­ba­re Fes­tig­keit ich als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­ge­setzt hat­te, als nicht ganz so fest und nicht ganz so trag­fä­hig. Und ich sah mich aber­mals ge­zwun­gen, frem­de An­ge­le­gen­hei­ten, sol­che er­wach­se­ner Men­schen, mei­ner ei­ge­nen El­tern so­gar, in ge­wis­sem Be­tracht zu den mei­nen zu ma­chen.

      Vom Be­gräb­nis des Groß­va­ters weiß ich nichts, ver­stän­di­ger­ma­ßen wur­de ich ganz und gar da­von fern­ge­hal­ten. Auch wein­te sich mei­ne Mut­ter nicht vor uns Kin­dern aus. Dann kam die Er­öff­nung des Te­sta­ments, von der wir er­fuh­ren und über die wir Ge­schwis­ter uns al­ler­lei span­nen­de Din­ge zu­tu­schel­ten. Wir fühl­ten bald, dass zu­gleich zwi­schen Va­ter und Mut­ter eine Span­nung ein­ge­tre­ten war, die sich bei mei­nem Va­ter als Zu­rück­hal­tung, ja als Käl­te äu­ßer­te. Er ver­ab­scheu­te Heu­che­lei. Die Trau­er aber um den al­ten, stei­fen, un­ver­söhn­li­chen Schwie­ger­va­ter kann bei ihm nicht sehr tief ge­we­sen sein.

      *

      Der Er­öff­nung des Te­sta­ments bei­zu­woh­nen, hat­te mein Va­ter, wie ich im Ne­ben­zim­mer hö­ren konn­te, er­regt und bei­na­he mit Ver­ach­tung ab­ge­lehnt, wor­auf mei­ne Mut­ter wei­nend al­ler­lei, was ich nicht ver­ste­hen konn­te, ant­wor­te­te. Es fie­len Aus­drücke wie Lei­chen­fled­de­rei, die der Krieg po­pu­lär ge­macht hat­te. Er trei­be sie nicht, so sag­te mein Va­ter, er ent­wür­di­ge sich nicht durch Lei­chen­fled­de­rei. Kurz, mei­ne Mut­ter muss­te al­lein ge­hen, da sie doch ihre In­ter­es­sen nicht un­ver­tre­ten las­sen konn­te.

      Ich ver­hielt mich mäus­chen­still in der Vier, als die Mut­ter am spä­ten Nach­mit­tag aus dem Dachrö­dens­hof zu­rück­kehr­te und in der Drei auf den Va­ter traf. Sie hat­te ihm, wie sie uns spä­ter ein­mal er­zähl­te, eine Schür­ze voll Gold im Wer­te von tau­send Ta­lern nicht ohne ei­ni­ge Freu­de und ei­ni­gen Stolz mit­ge­bracht. Ich hör­te zu­nächst, wie mein Va­ter äu­ßerst er­regt die Wor­te »Be­hal­tet euch eu­ren Mam­mon!« der Mut­ter ent­ge­gen­schleu­der­te, und dann das Fal­len, Klin­gen und Rol­len von Geld.

      Ich weiß nicht, was mei­ne Mut­ter, ver­wun­det und ver­letzt, wie sie sein muss­te, geant­wor­tet hat, sie muss aber auch bei ihm eine wun­de Stel­le be­rührt ha­ben. Vi­el­leicht schob sie ihm un­ter, dass ihm die Sum­me zu ge­ring wäre.

      Je­den­falls brach die Ent­rüs­tung mei­nes Va­ters un­ge­hemmt und in ei­ner nie ge­hör­ten Wei­se aus, die mich zit­tern mach­te. Man fühl­te, wie sich jahr­zehn­te­lang ver­letz­ter Stolz auf­bäum­te und in Macht­lo­sig­keit der Em­pö­rung über­schlug. Eine un­über­brück­ba­re Kluft zwi­schen mei­ner Mut­ter und mei­nem Va­ter tat sich auf, von de­ren Vor­han­den­sein in mei­ne glück­li­che Da­seins­form kaum der Schat­ten ei­ner Ver­mu­tung ge­fal­len war. Das Gan­ze war in ei­ner lan­gen Rei­he von Punk­ten eine An­kla­ge ge­gen die Fa­mi­lie mei­ner Mut­ter. Haupt­säch­lich warf er ihr Hoch­mut, Dün­kel in je­der Form, Her­zens­käl­te und was nicht noch al­les vor. Am Ende des sich furcht­bar stei­gern­den Wort­wech­sels brach mei­ne Mut­ter wie­der in Trä­nen aus. Wei­nend warf sie dem Va­ter vor, er habe ihr vor der Hoch­zeit fest ver­spro­chen, den Gast­hof zur Kro­ne bin­nen höchs­tens zwei Jah­ren zu ver­kau­fen. Er habe die­ses Ver­spre­chen nicht ein­ge­löst und sie die­sem Mo­loch ge­op­fert. Sie has­se das Haus, sie ver­flu­che das Haus. Sie habe ih­ren Ab­scheu vor dem gan­zen Gast­haus­we­sen klar und deut­lich ohne je­den Rück­halt ihm im­mer und lan­ge vor der Ehe zum Aus­druck ge­bracht. Sie habe es sich aber lan­ge nicht schlimm ge­nug ge­dacht, es sei al­les noch sehr viel schlim­mer ge­kom­men. Es habe ihre Lie­be zer­stört, ihre Ehe zer­stört. Das wol­le hei­ßen: ihr Glück zer­stört. »Oder«, fuhr sie dann im­mer wei­nend fort, »willst du be­haup­ten, dass ein Fa­mi­li­en­le­ben in die­sem Mar­ter­kas­ten mög­lich ist? Im Som­mer ste­cke ich die Nase nicht aus der Kü­che her­aus; sehe ich dich oder höre ich dich, ist es höchs­tens, wenn du mich oder je­mand an­ders run­ter­kan­zelst. Du machst im Büro oder Sa­lon den vor­neh­men Mann, und ich, an­ge­zo­gen wie eine Schlum­pe, schä­le in der Kü­che Kar­tof­feln oder pel­le Scho­ten aus. Und wenn ich auf Ord­nung hal­ten will und die Leu­te, vor­an der Chef, mich an­grob­sen, gibst du nicht mir, son­dern ih­nen recht. Du spei­sest im Saal, Ger­hart und Carl krie­gen ihre Tel­ler voll Es­sen in der Bü­fett­stu­be. Ich sehe den gan­zen Som­mer kei­nen ge­deck­ten Tisch« – mei­ne Schwes­ter Jo­han­na war da­mals in ei­nem Pen­sio­nat, mein Bru­der Ge­org in Bunz­lau auf der Real­schu­le – »und im Win­ter ist es wie eben jetzt. Man hat sich den Som­mer hin­durch nicht einen Au­gen­blick Ruhe ge­gönnt, bei drei­ßig Grad Hit­ze un­ter dem Glas­dach der Kü­che halb tot ge­schun­den, da­mit man im Win­ter schlaflo­se Näch­te in Sor­gen und Ängs­ten hat. Du sitzt mit Gu­stav im Büro, ihr schreibt, ihr rech­net, ihr rech­net und schreibt, und wenn ihr noch so sehr rech­net

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