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Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
Читать онлайн.Название Das Abenteuer meiner Jugend
Год выпуска 0
isbn 9783962818746
Автор произведения Gerhart Hauptmann
Жанр Языкознание
Серия Klassiker bei Null Papier
Издательство Bookwire
Er lag da mit geöltem, sorgsam frisiertem Scheitel, das Gesicht wachsgelb und wohlrasiert, Hemd- und Halskragen blütenweiß, einen schwarzen Schlips um den Hals, im schwarzen Rock, weißer Weste und schwarzer Hose, weiße Glacéhandschuhe an den über dem Magen gefalteten Händen und, wahrscheinlich ein Werk des Toten selbst, zwei nagelneue Schuhe an den Füßen.
Das weiße, abgeschabte Sohlenleder, das noch nie den Boden berührt hatte, ist mir in Erinnerung, und ich sehe bis heut nie dergleichen Sohlen, ohne an den Handwerksmeister im Sarge zu denken.
Zehntes Kapitel
Lesen habe ich nicht in der Schule gelernt, sondern am Robinson Defoes und Coopers Lederstrumpf. Gott, dem ich dafür dankbar bin, hat sich einer Frau Metzig bedient, um mir beide Bücher als Geschenke ins Haus zu tragen. Sie war mit den Straehlers als geborene Schubert verwandt, weil ihr Bruder die zweitjüngste Tochter des alten Brunneninspektors, Julie Straehler, geheiratet hatte. Er war als Oberamtmann Schubert, in der Familie als Onkel Gustav bekannt.
Durch Robinson und Lederstrumpf haben meine Träume und meine Spiele richtunggebende Nahrung erhalten.
Erzählungen bedeuten Träume, mündlich oder schriftlich in Worte gefasst. Von da ab, als ich am Robinson lesen lernte, wurde ein wesentlicher Teil meiner Träumereien durch Bücher genährt. Wie kommt es, dass ich, der ein mir völlig gemäßes Leben führte, Robinson und Lederstrumpf mit Gier entzifferte und die Lebensform bald des einen, bald des anderen Helden leidenschaftlich herbeiwünschte, und weshalb verfallen diesen Gestalten alle gesunden Knaben so wie ich?
Auch hier ist Kampf, aber nicht mit Buchstaben, Bibelsprüchen und Rechenexempeln, sondern mit der Natur und in der Natur. Und nach der Vervollkommnung, nach der Vollendung dieses natürlichen Zustands sehnte ich mich trotz allem, was mich an meine Umgebung fesselte.
Und jeder gesunde Knabe sehnt sich danach.
So weit, dass ich wirklich geflohen, eine Seestadt zu erreichen gesucht und mich auf ein Schiff geschlichen hätte, trieb ich es nicht. Aber ich habe es oft erwogen. Dabei bestand zwischen mir, meinen Eltern und meinem Elternhause die allerinnigste Verbundenheit.
Und nicht nur das, sondern ich konnte mir manchmal gar nicht denken, dass es etwas andres als Salzbrunn mit seiner Säulenhalle, seiner Heilquelle, seinen paradiesischen Kuranlagen und dem Gasthof zur Krone mitten darin in der Welt überhaupt noch geben könne.
Das Verlockende an Robinson war sein völlig verlassenes, völlig einsames Leben in der Natur, ohne Menschen oder Ansprache, wo niemand ihn belehren, zurechtweisen, seinen Willen und seine Schritte irgendwie gängeln konnte. Lag darin die höchste Erfüllung einer Wesensneigung in mir, so sah ich ein anderes Vorbild in der Gestalt des Lederstrumpfs: seine milde Menschlichkeit, verbunden mit ruhiger Furchtlosigkeit, seine nie fehlende lange Büchse dazu, sein passiver Mut während der indianischen Folterung. Zähigkeit im Erdulden von Strapazen und überall, auch im Essen und Trinken, Anspruchslosigkeit: ich liebte ihn bis zur Begeisterung.
Trotzdem versetzte ich mich bei unseren Knabenspielen, und auch wenn ich allein war, seltener in seine Person hinein als in die seines Freundes, des edlen Häuptlings der Delawaren, Chingachgook. Immer wieder durch Jahre identifizierte ich mich mit dieser Gestalt. Auf Federschmuck und auf äußerliche Fixfaxereien habe ich dabei keinen Wert gelegt, aber ich schwang einen hölzernen Tomahawk.
Mein ältester Bruder Georg nannte mich, wenn er von Breslau in die Ferien kam, nie anders als Chingachgook, wobei allerdings auch doppelte Ironien und Humore, nämlich bei ihm und bei mir, zutage kamen.
Gleichsetzungen wie die meinen mit Chingachgook würde ein moderner Forscher dämonisch nennen: das Dämonische stelle im Gegensatz zu den durch geistige Erfassung gewonnenen Tatsachen das aufbauende Leben dar. Nach eigener Erfahrung glaube ich, dass es so ist. Und so darf man es nicht mit dem Verstande störend schädigen, da es, wie weiter gesagt wird, nur in seinen Auswirkungen zugänglich sei. Es war bei mir mit stürmischen Ausbrüchen der Affekte verbunden. Und ein solcher Affekt, heißt es weiter, sei eine naturnotwendige Erschütterung, um das Dämonisch-Geniale zu wecken. Bekämpfe man im Knaben das Dämonische, schließt der einsichtsvolle Mann, so bekämpft man zugleich das Geniale im Kinde, das auch getötet werden kann.
Nun also, der göttliche Wahnsinn des Dämonischen hat mich damals berauscht, ich lebte im Zustand einer gesunden Besessenheit. Meine Seele hätte sich überhaupt nie entbrannt und ins Leben gerufen, wenn nicht eben dieses Dämonische die Natur und mich ununterbrochen verwandelt hätte. Ohne bewusste Metamorphose meiner selbst und meiner Umgebung gab es um jene Zeit für mich kein höheres, also kein eigentliches Sein. Ein Junge, der meinen Namen trug, bedeutete nichts. Aber da stand ich als Inkarnation meiner eigenen Idee, als Chingachgook: alles andere an mir hatte ich wie eine überflüssige Schale weggeworfen. Ein so beseelter und betätigter Traum, sagt der Philosoph, habe das große Ganze nur zum Hintergrund.
*
Selbstverständlich, dass es aus solchen Träumereien hie und da ein Erwachen gab. Schon die Dorfschule sorgte dafür. »Ihr Bösewichter!« war Lehrer Brendels tägliche Anrede, wobei ihm die Augen übergingen vor Wut. »Ihr Bösewichter! Ihr Taugenichtse!« klingt es mir noch heut im Ohr.
Und wirklich, diese Bezeichnung als Taugenichts war bei mir in Bezug auf die Schule gerechtfertigt. Ich konnte nicht leben ohne Licht, Luft und freie Natur und ohne das einsame, robinsonale Leben und Selbstbestimmungsrecht in alledem. Schularbeiten hasste ich.
Hie und da kam, wie gesagt, ein Tag des Erwachens, der Besinnlichkeit. Eines solchen erinnere ich mich.
Einmal war Alfred Linke, der Apothekerssohn, nach seiner wohlerzogenen Art mit mir spazierengegangen. Am Gartentor seines Elternhauses schlug er mir vor, auf ihn zu warten, er habe Klavierstunde. Mit Vergnügen sagte ich zu.
Hingestreckt lag ich am Gartenzaun, nichtstuerisch, meinen Grashalm kauend, als das Klavierspiel Alfreds, der ein virtuoses Talent besaß, und die korrigierende Stimme des Lehrers herausschallten. Da fiel mir die eigene Zeitvergeudung aufs Herz. Was tat ich, während er sich so eifrig fortbildete?
Ich