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zu­sam­men. Im All­ge­mei­nen stan­den sie bei grö­ße­ren Un­ter­neh­mun­gen hin­ter mir. Hie und da aber wur­den sie auf­säs­sig, kon­spi­rier­ten zum Teil oder in ih­rer Ge­samt­heit ge­gen mich. Ge­le­gent­lich ging das so weit, dass man die Acht über mich ver­häng­te. Wenn ich dann eine Zeit lang ge­mie­den wor­den war und kei­ner der An­füh­rer mit mir ge­spro­chen hat­te, bahn­ten sich meist Ver­hand­lun­gen an. Dann wur­den von mir Of­fi­zie­re er­nannt, ich ge­brauch­te mei­ne Über­re­dungs­kunst und brach­te, wo das nichts half, Wi­der­spens­ti­ge durch Ge­schen­ke auf mei­ne Sei­te.

      In Fäl­len von dau­ern­der Wi­der­setz­lich­keit griff ich zur Exe­ku­ti­on. Ich ging zum per­sön­li­chen An­griff über; dann kam es dar­auf an, dass ich ob­sieg­te. War das der Fall, so ent­fern­te sich meist der Un­ter­le­ge­ne schimp­fend, heu­lend, un­ter Dro­hun­gen. Trotz­dem ich mein Bür­ger­tum nie her­vor­kehr­te, spür­te ich doch bei die­sem und je­nem den Klas­sen­hass. Ich wur­de mit Schimpf­na­men trak­tiert. Ich er­in­ne­re mich, wie bei ei­ner sol­chen Ge­le­gen­heit sich ein Kampf zwi­schen mir und mei­nem Ver­läs­te­rer ent­spann, der wohl eine Vier­tel­stun­de dau­er­te. Er ging bei­nah auf Le­ben und Tod. Er­wach­se­ne ris­sen uns aus­ein­an­der.

      Die Jun­gen von Hin­ter­har­tau bei Salz­brunn wa­ren da­mals be­rüch­tigt. Sie be­läs­tig­ten Kin­der und Er­wach­se­ne. Da or­ga­ni­sier­te ich ei­nes Ta­ges eine Straf­ex­pe­di­ti­on. Es ent­stand eine Stein­schlacht, die lan­ge hin und her tob­te. Die Hin­ter­har­tau­er wa­ren im Vor­teil, denn wir muss­ten zu ih­nen den Berg hin­an­stür­men. Aber wir ta­ten es, ich vor­an, ums­aust von ei­nem ge­fähr­li­chen Stein­ha­gel. Die Har­tau­er räum­ten das Feld und ver­flüch­tig­ten sich.

      Ich selbst trug eine schwarz­blaue, blut­un­ter­lau­fe­ne Zehe da­von, und zwar trotz des Schuh­le­ders, das die Wucht des Stein­wur­fes nicht we­sent­lich ab­schwäch­te. Wenn dies an der großen Zehe ge­sch­ah, dach­te ich mir, so kannst du von Glück sa­gen, dass dei­ne Nase, dein Auge, dei­ne Stirn heil ge­blie­ben sind.

      *

      Im­mer nach sol­chen Aus­brü­chen mel­de­te sich je­doch der Hang zur Träu­me­rei und in sei­ner Fol­ge zur Ein­sam­keit. Die­ses Träu­men war ein frei­es Schal­ten mit Vor­stel­lun­gen, wie sie mir mei­ne Sin­ne bis­her ver­mit­telt hat­ten. Es war zu­gleich eine in­ner­li­che Be­trach­ter­tä­tig­keit.

      Da­bei dräng­te sich mir ei­nes Ta­ges die Fra­ge nach der Her­kunft der Ma­te­rie auf, als ich das Fens­ter­brett, die Stein­wand da­ne­ben, die Mar­mor­plat­te un­ter dem Spie­gel und al­ler­lei Ge­gen­stän­de for­schend an­fass­te. Wie­so seid ihr da? Wo kommt ihr her? frag­te ich mich. Ich ge­riet über das Et­was in Ver­wun­de­rung, wäh­rend ich das Nichts als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­setz­te.

      Ein­mal ver­lor ich mich in Me­di­ta­tio­nen über ein grü­nes Blatt. Ich wur­de nicht müde, es zu be­trach­ten: das Blatt­ge­rip­pe, die Far­be, die Form. Die un­end­li­che Fein­heit und Zart­heit des Ge­bil­des ver­setz­te mich in stau­nen­de Be­wun­de­rung. Ich tat die Fra­ge nach dem Zu­sam­men­halt, ich dach­te das un­lös­li­che Rät­sel der Ko­hä­si­on.

      Mei­ne Be­trach­tun­gen en­de­ten wun­der­lich. Könn­test du die­ses klei­ne, un­schein­ba­re Blatt ir­gend­wie ma­nu­ell kon­stru­ie­ren und her­stel­len, sag­te ich zu mir, so wür­dest du trotz dei­ner Ju­gend der be­rühm­tes­te un­ter den Men­schen sein.

      *

      Als Kna­be, ja­wohl noch als Kind kam ich dem Be­griff des Kan­ti­schen Din­ges an sich nahe. Ich be­trach­te­te einen Baum, ich beroch und be­rühr­te sei­nen Stamm. Ich stell­te mit mei­ner Stirn des­sen Här­te fest. Ich sag­te: Nun ja, ich nen­ne dich Baum, ich weiß, du be­stehst aus Holz, das brenn­bar ist, doch was du ei­gent­lich bist, weiß ich nicht.

      Ich ging auch wei­ter und mach­te mich selbst zum Ob­jekt. Was bist du ur­sprüng­lich selbst? Was ist ur­sprüng­lich dein ei­gens­tes We­sen? Die­se bei­den Fra­gen stell­te ich an mich. In ei­nem sol­chen Au­gen­blick ver­moch­te ich hin­ter mich selbst zu drin­gen und als Ein­zel­we­sen mich auf­zu­ge­ben.

      Ich war im Som­mer viel al­lein, und das wur­de mir, wohl auch durch Ge­wöh­nung, mehr und mehr an­ge­nehm, aber doch nicht so, dass ich Ein­sam­keit und Zu­rück­ge­zo­gen­heit nicht im­mer wie­der gern durch einen Sprung ins be­weg­te Le­ben un­ter­bro­chen ge­se­hen hät­te. In wei­ten Strei­fen be­weg­te ich mich wäh­rend mei­ner ein­sa­men Stun­den in ent­le­ge­nen Tei­len der An­la­gen um­her, saß in Wip­feln von Bäu­men, den pro­me­nie­ren­den Kur­gäs­ten un­sicht­bar, oder lag auf den grü­nen Ra­sen ge­streckt an den Kies­we­gen.

      Ver­schol­len ist heu­te der Ty­pus des Bon­vi­vants. Sa­ni­täts­rat Dok­tor Va­len­ti­ner konn­te da­mals als sol­cher ge­nom­men wer­den. Er mach­te im Win­ter als Schiffs­arzt Welt­rei­sen und war bei den Da­men all­be­liebt.

      »Wil­helm von Ora­ni­en!« sag­te er ein­mal mit ei­nem Blick auf mich in ei­nem Tone, der Fried­rich Haa­se Ehre ge­macht ha­ben wür­de, als er mich im Gra­se lie­gend er­blickt hat­te und pa­the­tisch hei­ter sei­nen Zy­lin­der schwin­gend vor­über­schritt. Ich schlie­ße dar­aus, dass ich viel­leicht einen nicht ganz so schlim­men Ein­druck ge­macht hat­te, als ich von mir selbst ver­mu­te­te, und dass mei­ne Mut­ter mich kleid­sam aus­stat­te­te.

      *

      Die Salz­bach, im Dia­lekt kurz­weg Baa­che ge­nannt, teil­te den Ort, der als Ober-, Mit­tel- und Nie­der-Salz­brunn die Er­stre­ckung von min­des­tens ei­ner deut­schen Mei­le hat­te, in zwei Tei­le. Ober-Salz­brunn be­gann mit dem Kur­län­di­schen Hof, der ei­nem Fräu­lein von Ran­dow ge­hör­te. Nie­der-Salz­brunn da­ge­gen schloss mit den bei­den Orts­kir­chen, der ka­tho­li­schen und der evan­ge­li­schen, ab, die sich zu bei­den Sei­ten der Chaus­see, wenn sie ge­wollt hät­ten, die Hand rei­chen konn­ten. Der ei­gent­li­che Ort lag sei­ner gan­zen Län­ge nach an der West­sei­te der Baa­che, aber es gab, wie in vie­len Dör­fern des na­hen Böh­mens und selbst in Prag, eine Klei­ne Sei­te. Ich war auf der Gro­ßen und Klei­nen zu Hau­se. Ich ging nicht nur in den We­ber­hüt­ten, son­dern auch in den üb­ri­gen Werk­stät­ten der Klei­nen als ein Da­zu­ge­hö­ri­ger un­ge­hin­dert, ja un­be­ach­tet aus und ein, eben­so auch in den ein­zel­nen, bis da­hin ver­spreng­ten Elends­quar­tie­ren der Berg­leu­te aus dem na­hen In­dus­trie- und Koh­len­be­zirk. Dem Schmie­de sah ich zu, wenn er Huf­ei­sen auf­leg­te, dem von Tuch­fet­zen um­ge­be­nen Schnei­der auf sei­nem nie­de­ren Tisch bei der Sti­che­lei, dem Schuh­ma­cher auf sei­nem Sche­mel vor dem Ar­beit­s­tisch, wo hin­ter den was­ser­ge­füll­ten Glas­ku­geln die Öl­fun­se brann­te.

      In die­sen en­gen Schuh­ma­cher­werk­stät­ten sah ich zu­erst mit Ver­wun­de­rung, in­wie­weit sich klei­ne Vö­gel, hier meist Rot­kehl­chen und Rot­schwänz­chen, mit den Men­schen ver­traut ma­chen kön­nen. Ohne durch Fa­mi­li­en- und Werk­statt­lärm der eng zu­sam­men­ge­dräng­ten Le­bens- und Ar­beits­ge­mein­schaf­ten ge­stört zu sein, stelz­ten und flat­ter­ten sie her­um und be­haup­te­ten furcht­los die selt­sams­ten Plät­ze: den Kopf der Kat­ze oder den Arm des Hand­werks­meis­ters, wäh­rend er den Ham­mer schwang.

      Meist gab man die­sen be­dräng­ten Tier­chen win­ters Un­ter­kunft und ließ sie beim ers­ten Hauch des Früh­lings un­ge­hin­dert da­von­flie­gen.

      Als ich ir­gend­wann

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