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mit all ihren Ängsten, Verlusten und dem Wissen umgehen, dass ihre verbleibende Lebenszeit nach ärztlicher Einschätzung auf ein Minimum begrenzt ist und wie die betroffenen Angehörigen mit dieser schwierigen Situation und später ihrer Trauer zurechtkommen.

      Inzwischen arbeite ich seit mehreren Jahren als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester auf einer kleinen Hospizstation. In meinem Berufsalltag erlebe ich immer wieder, dass sich auch heute noch viele Menschen, die zu uns kommen, unter dem Begriff Hospiz kaum etwas vorstellen können. Fast alle scheinen einen ähnlich strukturierten Ablauf wie in einem Krankenhaus zu erwarten, den die meisten wohl kennen. Manche unserer Gäste wissen, dass in Hospizen schwerkranke Menschen gepflegt werden, manche hoffen, dass wir unsere PatientInnen wieder „gesund machen“ und einige glauben, dass wir unheilbar kranken Menschen beim Sterben „helfen“, indem wir es „beschleunigen“ oder gar auf Wunsch beenden. PatientInnen, deren Angehörige und Freunde und auch SchülerInnen sind fast ausnahmslos angenehm überrascht, weil es bei uns meist entspannt und fröhlich zugeht. Erfreut nehmen sie zur Kenntnis, dass es auf unserer Station keinen starren oder gar hektischen Tagesablauf gibt und dass wir Schwestern viel Zeit für Gespräche und die sehr individuelle Pflege der Schwerkranken haben. Außerdem äußern sich fast alle unsere Gäste und Besucher sehr positiv über die modernen, hell, zweckmäßig und trotzdem freundlich und heimelig gestalteten Räumlichkeiten, die zum Verweilen einladen und sie schätzen die schöne Gartenanlage, die das Gebäude umgibt.

      Warum habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben? Ich bin nur ein winziges Rädchen im riesigen Werk des Gesundheitswesens, aber ich arbeite, wie so viele andere auch, an „vorderster Front“. In meinem Berufsalltag pflege ich, gemeinsam mit meinen Kolleginnen, erwachsene, unheilbar kranke, sterbende Menschen. Durch meine berufliche Tätigkeit erlebe ich Sterben in seiner unglaublichen Vielfalt fast täglich hautnah und kann von diesen Erfahrungen berichten. Inzwischen gibt es unzählige Bücher, die sich mit den Erfahrungen unheilbar kranker Menschen, Nahtoderfahrungen, einem vermeintlichen Jenseits, Reinkarnation, der Unsterblichkeit der Seele, dem Tod, dem Sterben in all seinen Facetten und der Begleitung und Pflege sterbender Menschen beschäftigen. Interessant finde ich, dass sich auch heute noch in dieser fast unüberschaubaren Anzahl von Büchern kaum Berichte von Pflegefachkräften finden lassen, obwohl gerade sie Sterben öfter und näher miterleben als alle anderen Menschen.

       Dichter, Philosophen, Chronisten, Humoristen und weise Männer haben oft über den Tod geschrieben, aber ihn nur selten mit eigenen Augen gesehen. Ärzte und Krankenschwestern sehen ihn oft, schreiben aber selten darüber. Die meisten Menschen sehen den Tod ein- oder zweimal im Leben in Situationen, an denen sie emotional so beteiligt sind, dass sie keine verlässlichen Erinnerungen daran behalten. Überlebende von Massensterben entwickeln rasch so starke Abwehrmechanismen gegen den Schrecken, den sie miterlebt haben, dass alptraumhafte Bilder die Erinnerung an die realen Ereignisse verstellen. Daher gibt es nur wenige verlässliche Berichte über die Art und Weise, wie wir sterben. 1

      Es ist nicht mein Ansinnen, ein Lehrbuch rund um das Thema Sterben zu verfassen, denn das tun Experten wie Sterbeforscher, Mediziner, Philosophen, Theologen, Psychologen, Soziologen und Pflegewissenschaftler. Ich möchte Sie, liebe LeserInnen, daran erinnern, dass Sterben ein ganz natürlicher Vorgang ist, der uns alle, ausnahmslos und unabhängig von unserer Einstellung dazu, früher oder später betreffen wird. Ich kann Ihnen davon erzählen, wie es sich anfühlt, sterbende Menschen zu pflegen. Aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen kann ich Ihnen einen Eindruck vom Alltag in einem stationären Hospiz vermitteln und im Zuge vieler Sterbebegleitungen Erlebtes mit Auszügen aus der inzwischen sehr umfangreichen Fachliteratur vergleichen.

      Sterben ist ein individuelles Geschehen. Es lässt sich weder in einen vorgegebenen Zeitrahmen einfügen, noch verläuft es nach starren Regeln.

      Sterben ist, wenn es nach schwerer Krankheit geschieht, eine intensive Phase des Lebens. Die Begleitung sterbender Menschen ist niemals eine nüchterne, rein sachliche Angelegenheit, sondern immer mit Emotionen verbunden. Vielleicht klingt daher manches von dem, was ich in meinem Berufsalltag erlebe, für Menschen, die noch nie mit dem Tod konfrontiert worden sind, seltsam oder gar klischeehaft, aber ich erzähle hier von im Hospiz Gehörtem, Gefühltem, Erlebtem.

      Ich möchte ich Sie mit einigen Begriffen, gängigen Definitionen, Erkenntnissen und Daten aus der entsprechenden Literatur und dem Internet vertraut machen, die mit dem Vorgang des Sterbens zusammenhängen. Bei der Zusammenstellung des theoretischen Teils musste ich feststellen, dass dies gar nicht so einfach ist. In der Mathematik beispielsweise gibt es Formeln, die überall auf der Welt Gültigkeit haben. 2 + 2 = 4, das ist auf der ganzen Welt so, unabhängig vom Kulturkreis, der Religion, dem ethischem Verständnis oder anderen Kriterien. Beschäftigt man sich aber mit dem Sterben und dem Tod, gibt es keine einfachen Formeln und Regeln, denn alle Antworten sind letztendlich abhängig von der Beantwortung einer einzigen Frage: Besteht ein Mensch nur aus seinem sterblichen Körper, oder gibt es eine unsterbliche Seele? Niemand kann diese Frage mit absoluter Bestimmtheit beantworten. Aus diesem Grund stolpert man auf der Suche nach Antworten automatisch über mehrere mögliche Definitionen, nicht definierbare Begriffe, verschiedene Sichtweisen und Begriffe wie „Unsterblichkeit“, „Seele“, „ins Licht gehen“, ein eventuell mögliches Weiterleben im „Jenseits“ und „Wiedergeburt“. Man sieht sich mit Denkansätzen vieler AutorInnen und teilweise recht unterschiedlichen Meinungen konfrontiert. Tatsache ist jedoch: wir wissen (noch) nicht, was beim Sterben wirklich passiert, außer wir reduzieren den Menschen auf seinen Körper, also Zellen, Gewebe, Organe und ihre Funktionen. Wissenschafter können uns chemische Abläufe während des Lebens und Sterbens im Körper verständlich machen, obwohl auch auf diesem Gebiet längst noch nicht alle Rätsel gelöst werden konnten. Für eine unsterbliche Seele, ein Weiterleben nach dem Tod oder eine Reinkarnation gibt es zurzeit noch keine sicheren, objektiven Beweise. Inzwischen gibt es wohl tausende Berichte von Nahtoderfahrungen, aber bis jetzt ist es noch nicht gelungen, diese Erfahrungen eindeutig als Jenseitserfahrungen zu belegen. In der Literatur finden sich philosophische Betrachtungen, die sich für oder gegen ein Weiterleben nach dem Tod aussprechen.

      Um Ihnen zumindest einen kleinen Überblick über die verschiedenen Definitionsmöglichkeiten und Expertenmeinungen zu geben, finden Sie zu jedem Begriff mehrere mögliche Definitionen und Sichtweisen verschiedener Autoren. Würde ich hier nur Definitionen aus einem einzigen Fachbuch oder die Sichtweise eines einzigen Autors wiedergeben, hätten Sie nicht die Möglichkeit, sich ein Bild von der Vielfalt der Erklärungsmöglichkeiten zu machen. Wörtlich aus der Literatur oder dem Internet entnommene Textpassagen erkennen Sie an der Kursivschrift, neben allen anderen, also nicht wortwörtlich übernommenen Textpassagen, finden Sie in Form von fortlaufenden Ziffern die Literaturhinweise bzw. Hinweise auf die entsprechenden Internetadressen.

      Die theoretische Einstimmung erhebt aufgrund der umfassenden Thematik keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll jenen LeserInnen, die sich vielleicht zum ersten Mal mit dem Bereich „Leben am Lebensende“ auseinandersetzen, lediglich einen Überblick über wichtige (Fach-) Begriffe ermöglichen. Zur Einleitung jedes Kapitels und auch eingebettet in Theorie und Fallbeispiele finden Sie immer wieder berührende Verse und Gedichte. Im Kapitel 5 stelle ich Ihnen meinen Arbeitsplatz vor, danach berichte ich von meinen Erfahrungen als Teil eines Hospizteams sowie von prägenden Erlebnissen, die mich letztendlich auf Umwegen zu meiner beruflichen Tätigkeit in ein Hospiz geführt haben. In den Kapiteln 1, 3, 5 und 6 lasse ich Sie an Erlebnissen im Zuge von Lebens- und Sterbebegleitungen im Hospiz teilhaben. Ich widme diese kurzen Geschichten menschlicher Begegnungen voller Dankbarkeit meinen LehrmeisterInnen – all jenen Menschen, die auf unserer Hospizstation verstorben sind.

      Beim Lesen der folgenden Seiten sollen Sie fühlen, dass jeder Mensch, jedes Leben und jedes Sterben einzigartig ist und dass Hospize besondere Orte sind. Es sind keine dunklen, beängstigenden Orte der Schmerzen, der Hoffnungslosigkeit, der Einsamkeit, der Trauer, des Verlustes und des Todes, sondern Orte des Lebens. Hospize sind helle, offene, freundliche Orte, an denen gemeinsam gelacht und auch geweint wird. An diesen speziellen Orten wird schlicht und einfach Menschlichkeit gelebt. Wir Pflegenden respektieren die Eigenheiten und Wünsche unserer PatientInnen, wir behandeln sie mit Achtung und Respekt und wahren ihre Würde bis zu ihrem Tod. Wir sind beim Regeln „letzter Dinge“ behilflich und stehen Angehörigen

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