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wenn nicht das, so vielleicht mit einem Versuch, das Mädchen zu befreien.

      Nordstern fing offenbar an zu träumen. Sie bewegte sich lebhaft und stieß sogar Laute aus. Harka lauschte angestrengt, um zu verstehen, was sie im Traum sagen wollte. Sie lallte aber nur. Doch jetzt – war das nicht ein Name gewesen? Aber Tashunka-witko hatte sie nicht gesagt. Vielleicht liebte sie irgendeinen jungen Dakotakrieger, der sie in sein Zelt hatte holen wollen, ehe sie die Gefangene der Siksikau wurde. Ihr Traum schien beendet zu sein. Sie atmete sehr tief und lag dann ruhig. Ihre Atemzüge wurden wieder ganz regelmäßig.

      Harka ärgerte sich über sich selbst. Dieses Mädchen konnte schlafen, er aber, ein Junge, war zu aufgeregt dazu! Eine Schande war das. Aber ehe er sich nochmals einzuschlafen zwang, musste er sich vergewissern, welche Stunde es war. Er stand nicht auf, ging nicht zum Zeltausgang, weil er das Mädchen nicht wecken wollte. Leise legte er die Decken beiseite, kroch zur Zeltwand, lockerte vorsichtig einen Pflock und schob den Kopf unter der Plane hinaus. Er wollte nach den Sternen lugen. Aber dazu kam er nicht mehr.

      Eine Hand packte ihn am Hals und würgte ihn, so dass er nicht den geringsten Laut von sich geben konnte. Er griff nach den Fingern der feindlichen Hand, um sie einzeln aufzubiegen, versuchte auch, sich mit den Füßen einzustemmen, aber die Zeltplane, unter der er den Kopf durchgesteckt hatte, war ihm sehr hinderlich. Schon waren auch seine Füße gepackt, und trotz seiner heftigen Gegenstöße wurde ihm eine Fessel um die Fußgelenke gebunden. Die Finger an seiner Gurgel ließen sich nicht wegreißen. Der Mann, der ihn gepackt hatte, war stark. Harka spürte die entsetzliche Angst des Erstickenden, und seine Glieder wurden allmählich schlaff. Es verging eine Zeit, in der er nichts mehr von sich wusste. Er hätte auch nicht sagen können, wie lange er bewusstlos gewesen war, als seine Sinne langsam wiederkehrten.

      Zuallererst versuchte er tief Luft zu holen, aber das gelang ihm nicht. Er empfand einen quälenden Brechreiz. Dadurch kam ihm zu Bewusstsein, dass er geknebelt war. Er vermochte kaum zu atmen. Nur wenn er langsam und ruhig Luft durch die Nase einzog, ließ der erstickende Brechreiz nach, und er konnte leben. Er versuchte sich zu rühren, aber die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden und die Füße zusammengefesselt. Er war ein Gefangener und befand sich in einer erbärmlich hilflosen Lage. Das Einzige, was er noch zu tun vermochte, war, die Vorgänge um sich herum zu beobachten.

      Von fern her erschallte wütendes Geschrei. Das war Kriegsgeschrei! Der Kriegsruf der Dakota gellte von Süden her; wie gut kannte ihn Harka von daheim. »Hi-jip-jip-jip-hi-jaah!« Wie oft hatte der Vater als Kriegshäuptling der Bärenbande diesen Ruf als Erster ausgestoßen. Jetzt waren die, die ihn erhoben, zu Harkas Feinden geworden, und er horchte lieber auf das Rufen und Brüllen der Siksikau, die mit den Dakota auf der Prärie draußen in Kampf geraten sein mussten. Harka war wieder ganz in das Zelt hineingezogen worden. Er sah den Schatten eines schlanken Mannes, und neben ihm sah er das Mädchen, das sich erhoben und angekleidet hatte. Der Mann hatte zu sprechen begonnen: »Uinonah, Tochter der Dakota! Du bist frei und wirst zu uns zurückkehren. Roter Pfeil, der dich liebt, kämpft draußen in der Prärie mit unseren Kriegern zusammen gegen die räudigen Siksikau. Alle Krieger aus den Zelten der Siksikau sind draußen im Kampf. Wir haben diese Stinktiere hier überlistet. Unsere Krieger griffen von Süden an; ich aber kam im Bogen von Norden, um dich zu holen. Du hattest mir recht berichtet. Mattotaupa ist hier, und er hat unsere Krieger aufgespürt und das Dorf gewarnt, so dass wir unvermutet früh auf diese schmutzfüßigen Kojoten stießen: Doch werden wir siegen, und Mattotaupa stirbt durch meine eigene Hand. Hörst du unseren Kriegsruf?«

      »Hi-jip-jip-jip-hi-jaah!«, gellte es wieder von der Prärie her, und dawider schallten die Kampfrufe der Siksikau: »Hai-jah-jiep!«

      »Komm, Uinonah! Diesen Knaben in Fesseln nehmen wir mit. Er ist ein Kind der Dakota. Er gehört uns. Hau!«

      Der Mann kam mit zwei schnellen Schritten zu Harka herbei, wickelte ihn in eine Büffelhautdecke, warf ihn über die Schultern wie eine Jagdbeute und eilte mit dem Mädchen zusammen aus dem Zelt hinaus. Harka konnte nichts mehr sehen, da die Decke auch über seinen Kopf geschlagen war. Während er schwer nach Luft rang, vernahm er noch etwas von dem Kriegsgeschrei, aber es schien, dass Tashunka-witko, der den Knaben erbeutet und das Mädchen befreit hatte, nicht zu dem Kampfgebiet hineilte, sondern in eine andere Richtung, in der er unbeobachtet blieb.

      Harka litt allmählich derart an Atemnot, dass er nichts anderes mehr denken, wahrnehmen oder empfinden konnte als: Luft! Luft! Er wusste nicht mehr, wohin er getragen wurde oder wie lange er so fortgetragen wurde, aber da er sich dem Erstickungstod nahe glaubte, schien es ihm unendlich lange.

      Als er zu Boden geworfen wurde, fiel er nicht hart. In seiner Qual versuchte er, die Decke, die ihm das Atmen noch mehr erschwerte, von seinem Gesicht wegzustreifen oder sich daraus hinauszuschieben. Er krümmte und streckte sich wie ein Wurm, ohne zu erreichen, was er wollte, und die Anstrengung erschöpfte ihn vollends. Aber da wurde ihm die Lederdecke auch vom Gesicht genommen, und nicht nur vom Gesicht, nein, sie wurde ganz aufgeschlagen, und die kühle Nachtluft strich über seine Haut, die von Angstschweiß nass war. Er machte die Augen auf und versuchte wieder ruhig Luft zu gewinnen, nur ruhig, ganz ruhig, das war die einzige Möglichkeit. Er sah den Sternenhimmel und neben sich die schlanke Gestalt Tashunka-witkos, der ihn weggeschleppt hatte, und er sah auch die Mädchengestalt, alles dunkel, im Nachtschatten zerfließend, denn der Mond schien nicht, und die Sterne flimmerten mit schwachem Licht. Die Geräusche des Kampfes, heisere Schreie waren aus größerer Entfernung noch zu hören. Es fielen aber keine Schüsse: Mattotaupa war wohl ohne seine Feuerwaffen auf Kundschaft gewesen, und nun lagen diese noch im Häuptlingszelt. Die Schwarzfüße mussten die angreifenden Dakota aber ein gutes Stück nach Süden zurückgedrängt haben. Harka dachte an den Vater. Sicher befand er sich bei den kämpfenden Kriegern, und er wusste nicht, wohin sein Sohn unterdessen geschleppt wurde. Harka konnte ihm auch kein Zeichen geben.

      Tashunka-witko sagte etwas zu dem Mädchen. Er flüsterte, aber Harka hatte gute Ohren, und bei allem, was jetzt geschah, ging es um sein ganzes Leben. Es ging nicht um seinen Tod, das hatte er schon begriffen, aber um sein ganzes Leben ging es. Er sollte nicht mehr der Sohn Mattotaupas sein; er sollte der jüngere Bruder Tashunka-witkos werden. Das wollte er nicht, und darum lauschte er auf die Worte, die der Dakota zu dem Mädchen sprach, wie auf die Worte eines Todfeindes.

      »Diese schmutzfüßigen Hunde drängen die Männer der Dakota zurück. Ich muss meine Krieger unterstützen und kann nicht mehr für dich da sein, Uinonah. Flieh! Du weißt, wohin du zu laufen hast und wo du unsere Zelte findest. Laufe! Lauf!«

      Das Mädchen zögerte keinen Augenblick, Tashunka zu gehorchen. Geschwind wie ein Reh floh sie südwärts in die Prärie hinaus. Sie hatte nichts bei sich als das Messer. Die Zelte der Ihren konnten nicht nahe sein. Für das Mädchen war das ein Weg auf Leben und Tod. Aber sie hatte ihn sofort gewählt.

      Tashunka-witko bückte sich und nahm Harka den Knebel aus dem Mund. Der Knabe keuchte nach Luft und füllte seine Lunge. Dann schrie er laut auf, und er glaubte, dass Tashunka-witko ihn dafür sofort erstechen oder ihn wieder knebeln würde. Aber der Dakotahäuptling kümmerte sich gar nicht darum, dass der Knabe schrie. Das begriff Harka nicht. Er konnte darüber auch nicht nachdenken. Er musste dem Vater ein Zeichen geben, wo er sich befand. Das war nicht einmal das Wichtigste. Er musste den Vater wissen lassen, wo er Tashunka-witko finden konnte. Darum begann der gefesselte Knabe laut und wütend zu bellen wie ein Hund. Als er eine Pause machte, um Atem zu schöpfen, hörte er, dass Tashunka-witko auflachte und sagte: »Gut!«

      Harka war verblüfft. Wenn das, was er tat, dem Feind nützte, handelte er sicher falsch. Was wollte der Dakota damit erreichen, dass er den Knaben schreien und Zeichen geben ließ? Blitzartig wurde Harka das einzig mögliche Motiv klar: Tashunka-witko wollte Mattotaupa und vielleicht noch einige Schwarzfußkrieger aus dem Kampf abziehen und dadurch seinen eigenen Männern Erleichterung verschaffen. Harka verstummte daher, aber es war schon zu spät.

      Von Süden her schwirrten bereits die ersten Pfeile gegen den Dakotahäuptling, der aufrecht stehen blieb und mit einem Hohngelächter antwortete, als die gefiederten Geschosse zu kurz gingen und im Grasboden steckenblieben. Aber Harka hörte auch schon schnelle Füße; Schatten tauchten auf, und dann schrillte der Kriegsruf der Dakota, ausgestoßen von einer einzigen kräftigen Stimme:

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