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am Ufer verfolgen, er aber in Lachsgestalt entkommt, kurz bevor sie ihn einholen. In der Asche an Lokis Feuerstelle finden die Götter die Reste eines geschickt geknüpften Fischernetzes, nach dessen Muster sie ein neues fertigen. Mit dem durch den Fluss gespannten Netz nähern sie sich Loki. Dieser bemerkt die Gefahr und versucht, über das Netz zu springen, wobei er von Thor gefangen wird. Danach wird Loki mit den Gedärmen eines seiner Söhne gefesselt, und eine Gift speiende Schlange wird über seinem Gesicht aufgehängt. Sigyn, Lokis Gattin, fängt das Gift in einer Schale auf, doch immer wenn sie ihren Platz verlassen muss, um die Schale zu leeren, windet sich Loki so sehr in Schmerzen, dass davon die Erde bebt. Lokis Betrug an den Göttern mag erschreckend genug gewesen sein, um seine Bestrafung zu rechtfertigen, doch das größte Verbrechen hatte er bereits begangen: seine Anstiftung zu Baldurs Tötung. Von einem Anteil Thors an den Bemühungen, die Auswirkungen dieser Katastrophe zu verringern, kann kaum die Rede sein; in der Tat ist sein gewöhnliches Repertoire an Drohungen und Gewalt der Situation derart unangemessen, dass er geradezu tölpelhaft erscheint, als er bei Baldurs Bestattung die Beherrschung verliert und beinahe die grauenvolle Riesin Hyrrokkin attackiert, die von den Göttern herbeigerufen worden war, um das Schiff mit Baldurs Leichnam ins Wasser zu stoßen. Schlimmer noch, tritt er verdrossen einen unglückseligen Zwerg in die Flammen, weil dieser vor ihm her gerannt ist, als er den Scheiterhaufen mit seinem Mjöllnir segnete. Nun, da Ragnarök unvermeidlich bevorsteht, erscheint es ausgeschlossen, dass Thor seiner Aufgabe als Hauptverteidiger der Grenzen von Asgard und Midgard nachzukommen vermag. Er kann – vielleicht sogar mehr zur Untätigkeit verdammt als die anderen Götter – nichts anderes tun, als warten, da sich nun die Horden der Riesen sammeln, und ebenso wie er nach seinen alten Feinden sucht, werden diese nach ihm suchen.

      Die Vorstellung einer altnordischen Apokalypse ist weitgehend belegt in den Gedichten der Lieder-Edda und stand offenbar im Mittelpunkt der heidnischen Zeitauffassung. Etwa die Hälfte der ‚Völuspa’ ist dem Weg zur Ragnarök und den dann eintretenden Ereignissen gewidmet, und vieles davon findet sich auch in der ausführlichen Darstellung der ‚Gylfaginning’. Auf drei Jahre zerstörerischen Kampfes, in dem alle verwandtschaftlichen Verhältnisse verwirrt werden, folgt der Fimbulwinter (welcher, laut Snorri, drei Jahre lang unablässig Kälte und Frost mit sich bringt); der Wolf Fenrir wird die Sonne verschlingen, während seine Artgenossen den Mond einfangen und die Sterne auslöschen werden; der Riese Hrym wird mit seinen Heerscharen die Segel setzen, und die Midgardschlange wird den Himmel und das Meer vergiften. Dann wird Surt, von Flammen umlodert, die Brücke Bifröst überqueren, die Midgard und Asgard miteinander verbindet, und diese wird in sich zusammenstürzen. So wird es geschehen, dass die Götter mit all ihren Feinden zusammentreffen, Loki eingeschlossen, der die Mächte von Muspellheim anführt.

      Die Götter ziehen mit den Heerscharen Walhallas ins Feld, angeführt von Odin und Thor. Freyr wird von Surt getötet, da er, wie eine andere Erzählung über seine Torheit berichtet, kein Schwert mit sich führt, und Surt wird eine alles verzehrende Feuersbrunst entfachen. Odin wird von Fenrir verschlungen, doch wird er von seinem Sohn Vidar gerächt; und Loki und Heimdall werden sich gegenseitig töten. Thor, der Odin nicht mehr zu Hilfe kommen kann, wird gegen die Midgardschlange anstürmen und sie töten, aber er wird ihrem Gift erliegen, nachdem er noch neun Schritte gegangen ist:

      Der hehre Sproß der Hlodyn naht.

      Der Lande Gürtel gähnt zum Himmel:

      Gluten sprüht er, und Gift speit er;

      entgegen geht der Gott dem Wurm.

      Der Erde Schirmer schlägt ihn voll Zorn –

      die Menschen müssen Midgard räumen;

      weg geht wankend vom Wurm neun Schritt

      der Gefecht nicht floh, der Fjörgin Sohn [Thor].36

      Obwohl einige der Götter überleben, um eine Zeit der Erneuerung, ein neues Goldenes Zeitalter, heraufzuführen, an dessen Anbruch Baldur von Hel zurückkehren wird, fährt die ‚Völuspá’ fort zu prophezeien, dass ein Ungeheuer, diesmal in Gestalt von Hels Drachen Nidhögg, einst abermals Tod und Zerstörung bringen werde. Bevor dies aber eintritt, so weissagt die Seherin, wird der ‚gewaltige mächtige Eine, der über alles gebietet, […] kommen von oben zur Richtstätte der Götter.’37 Obwohl unter den Interpreten kein Konsens darüber besteht, was dies bedeuten könne, gehen viele davon aus, dass es sich um eine christliche Einschiebung handelt, die auf den Niedergang des heidnischen Glaubens hindeutet.

      Die obigen Erzählungen machen nur einen Bruchteil der Mythen um Thor aus, die es einmal gegeben hat. Das kann zumindest aus den Quellen der Skaldendichtung geschlossen werden, welche die Namen vieler Riesen anführen, die von Thor getötet wurden und über die keine Mythen erhalten geblieben sind. Außerdem gibt es in den verschiedenen Versionen anderer Mythen Widersprüche, die Unklarheiten darüber aufkommen lassen, ob es Thor ist oder ein anderer Gott, der den jeweiligen Riesen erschlägt. Ein Beispiel ist die Tötung des Riesen Thjazi, der die Göttin Iduna entführt und mit ihr die Äpfel, die die Götter benötigen, um ihre ewige Jugend zu erhalten. Im ‚Hárbarðsljóð’ behauptet Thor, Rache an Thjazi genommen und dessen Augen in den Himmel geworfen zu haben, wo sie zu Sternen geworden seien, doch aus Snorris ‚Gylfaginning’ ergibt sich nicht eindeutig, wer den Riesen tötet; ausdrücklich wird hingegen angegeben, dass Odin Thjazis Tochter damit besänftigt, ihren Vater auf diese Weise unsterblich gemacht zu haben. Die starke Ähnlichkeit dieses speziellen Elements des Mythos mit Thors Geschichte von Aurvandills Zeh in Snorris Darstellung des Hrungnirmythos legt nahe, dass hier mythische Elemente miteinander verschmolzen wurden oder von einem Mythos zum anderen übergegangen sind – was wieder einmal die Verflechtungen und Ungewissheiten veranschaulicht, denen der Mythograph bei seinem Bestreben, die Eddas zu entwirren, begegnet.

      Eine Erklärung für diese Probleme besteht darin, dass jene, die die Mythen in den ersten zwei Jahrhunderten nach der Bekehrung abgefasst haben, bemüht waren – wie auch Snorri –, den frühen Eddas etwas von ihrer Unverständlichkeit zu nehmen, indem sie zufrieden stellende Lösungen ersannen; doch hat dies die Schwierigkeiten mit der Zeit noch verstärkt. Wenn dem aber so ist, sollte eingeräumt werden, dass es gerade in der Natur der altnordischen Mythen liegt, keine vollkommene erzählerische Einheit zu bilden. Anders als in der jüdisch-christlichen Mythologie gibt es keine Lehrautorität und damit keine Orthodoxie, so dass reichlich Unterschiede in den Erzählungen auftreten, die zum Beispiel davon abhängen, welcher Gott von seinem jeweiligen Anhänger für besonders heilsam gehalten wird. Ebenso unbestreitbar ist, dass ein Mythos sich entwickelt, im Laufe der Zeit überarbeitet und zunehmend systematisiert wird. Nach dem Einzug des Christentums in den alten Norden wurde dieser Prozess abrupt beendet. Was wir von den altnordischen Mythen geerbt haben, ist ein Palimpsest, durch dessen Schichten ältere Versionen der Mythen stellenweise verblasst, an anderen Stellen jedoch so markant wie inkongruent, sichtbar werden. Während die mythologischen Himmel zu weiten Teilen mit Wolken verhangen sind, erlaubt das von Snorris rückblickendem Bestreben, den Mythen eine Ordnung aufzuerlegen, Erhellte nichtsdestotrotz eine Menge verhältnismäßig sicherer Erläuterungen und Analysen dessen, was den Gott Thor ausgezeichnet, und was er seinen Anhängern bedeutet hat.

Kapitel 2

      Das altnordische Heidentum als Glaubenssystem mag sich von bestimmten monotheistischen Religionen, wie z. B. dem Christentum oder dem Islam, dadurch unterscheiden, dass es keine evangelikale Mission kannte und daher nicht auf die Gewinnung von Konvertiten ausgerichtet war. Doch trotz dieser offensichtlichen Aufgeschlossenheit war der altnordische Mythos ideologisch nicht minder allumfassend und konservativ in seiner Weltanschauung. Ähnlich wie auch in anderen mythologischen Systemen brachte die Verbindung der Edda-Mythen mit den Sitten der altnordischen Gesellschaft eine Einheit von Tugenden hervor, die in den Eddas in abstrahierter Form vorlag: Überall gab es die gleichen Werte und damit auch die gleichen Ängste, die ihnen zugrunde lagen. Untrennbar waren damit existenzielle Gedanken verbunden, etwa die uralten philosophischen Fragen: Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Wie sollen

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