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nach Hause gereist, nachdem ihr Bruder gestorben war.« Er wollte seinen Bruder dafür hassen, dass er all das ans Licht zerrte. »Schau, wir zerreißen das Ding einfach und vergessen es. Kein Schaden entstanden, nichts Schlimmes passiert.«

      »Der Erzbischof hat eine Kopie angefertigt, und zu Recht. Und wir können nicht einfach eine Heiratsurkunde zerreißen. Corina ist nicht dein Haustier. Sie ist deine Frau.«

      »Die ich seit fünf Jahren nicht gesehen habe.« Stephen setzte sich wieder auf seinen Hocker an der Kücheninsel und nahm einen Krapfen, den er dann aber wieder auf den Teller fallen ließ.

      »Das wäre mir neu, dass Ehen verjähren können, nur weil man jemanden nicht tatsächlich von Angesicht zu Angesicht sieht. Es sei denn natürlich, sie wäre gestorben. Ist sie das? Gestorben?«

      »Sei nicht geschmacklos. Obendrein ist das grob unhöflich, wo du genau weißt, was mit ihrem Zwillingsbruder passiert ist.« Stephen tigerte wieder in der Küche herum. Sein Adrenalin setzte zu neuen Höhenflügen an und machte es ihm unmöglich, still zu sitzen. »Und rede nicht so herablassend mit mir.«

      »Du hast recht. Ich entschuldige mich. Diese ganze Angelegenheit ärgert mich einfach so dermaßen. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Was hast du dir nur dabei gedacht? Hast du sehenden Auges den Thron von Brighton aufs Spiel gesetzt? Vor sechs Jahren war diese Heirat noch ganz und gar gesetzeswidrig. Einem Anwärter auf den Königsthron war es verboten, eine Ausländerin zu heiraten. Was, wenn mir etwas passiert wäre?« Der Rauch des Zorns kräuselte sich um Nathaniels Worte. »Du bist der Zweite in der Thronfolge.«

      »Also bitte, ich war es doch, der sich für den Auslandseinsatz eingeschifft hat. Du, der Kronprinz, durftest doch gar nicht.«

      »Ich hätte auch in der Badewanne ausrutschen, hinfallen und mir mein königliches Haupt stoßen können.«

      »Das kann jetzt nicht dein Ernst sein.« Stephen legte einen boshaften Unterton in sein spöttisches Lachen.

      »Nein, wohl nicht.« Zum ersten Mal nahm Nathaniel seinen Tee wahr und nahm einen Schluck. Er zog eine Grimasse. »Der ist kalt.«

      »Ich mach uns schnell neuen.«

      »Lass gut sein, Stephen.« Nathaniel kauerte auf seinem Hocker. »Erzähl mir mal, was da passiert ist. Warum die Geheimniskrämerei? Wie sah denn euer Plan für die Zeit nach deiner Rückkehr aus?«

      »Ich weiß es nicht. Du mit deinen wasundzwanzig Fragen. Also schön, ich war verliebt.« Stephen lehnte sich gegen die Anrichte und kreuzte den geschienten Knöchel über seinen gesunden Fuß. Er spürte einen dumpfen Schmerz. »Es war der Abend des Militärballs. Corina und ich waren auf der Spitze des Braithwaite Tower. Sonst war keiner da, nur wir zwei. Wir schauten hinunter auf die Rue du Roi, die von den Lichtern der Stadt umgeben war, und in dem Moment war das Leben einfach perfekt gewesen. Es war neun Uhr am Abend. Die Glocken der Kathedrale hatten gerade begonnen zu läuten.«

       Der Wind wehte durch die Avenue und trug den Duft des River Conour mit sich. Stephen fing Corina mit seinen Armen ein, indem er seine Hände fest auf das Geländer des Braithwaite legte.

       Ihr Haar strich ihm über die Wange, und er fühlte sich, als würde er im Glück ihrer Gegenwart ertrinken.

       Er drehte sie zu sich herum und fuhr sanft mit dem Finger über ihre Wangenknochen. Dann hob er ihr Kinn an und berührte ihre Lippen mit den seinen. So sanft, so süß. Das weckte einen tieferen, stärkeren Hunger. Als er zurückwich, wusste er, dass das, was da seit Monaten in seinem Herzen flüsterte, echt war.

       Er liebte sie. Er wollte sie heiraten. Aber schon in vier Wochen würde er mit seiner RAC Staffel zu einem sechsmonatigen Einsatz in Torcham aufbrechen.

       Hinter ihm, neben ihm, vor ihm fingen die aufeinander abgestimmten Glocken der Kathedrale an zu läuten.

       Eins, zwei, drei …

      Dann war sie es, die es zuerst sagte. Die Worte, die sein Herz fast zum Platzen brachten. »Ich liebe dich, Stephen. Du bist mein Prinz.« Ihr sanftes Lachen rankte sich um sein Herz.

       Vier, fünf, sechs …

       Dann wusste er, was er mehr wollte als alles andere. Er dachte nicht lange nach, zögerte nicht, denn er wusste, dass es richtig war. Er kniete sich hin und sah in ihre haselnussbraunen Augen mit den goldenen Pünktchen.

       Sieben, acht …

       »Heirate mich, Corina Del Rey. Ich liebe dich so sehr.«

       Neun.

       »Was? Dich heiraten?« Ihre Stimme klang laut in der Stille. Die Luft des Juniabends duftete nach Geißblatt.

       »Ja, heute. Wir können die Fähre nach Hessenberg nehmen.«

       »Hessenberg? Aber warum? Wie? Brightons Gesetz verbietet es dir, eine Ausländerin zu heiraten.« Ihre Stimme zitterte, als sie die Wahrheit aussprach.

       »Und doch bist du hier, in meinen Armen.«

       »Ich liebe dich, und ich kenne mich mit dem Gesetz nicht aus. Aber ich will nicht verantwortlich dafür sein, das Hause Stratton oder eines seiner Mitglieder zu Fall zu bringen.«

       »Aber nicht doch. Das schaffe ich schon ganz alleine. Mein lieber Schatz, ich muss in einem Monat in den Krieg. Wenn das keine Bedrohung für das Hause Stratton ist, weiß ich auch nicht. Aber es ist bestimmt keine, wenn ein Prinz die Frau heiratet, die sein Herz für sich gewonnen hat. Also heirate mich! Bitte. Der Erzbischof ist ein feiner Kerl. Ich bin mir sicher, dass er uns trauen wird.« Oder zumindest hoffte er das.

       »Du willst mich wirklich heiraten?«

       »Ist das ein Ja?«

       »Wenn du mich heiraten möchtest, dann …«

       »Ja, du wirst mich heiraten.« Er nahm sie in den Arm, wirbelte sie herum und küsste sie zum ersten Mal so richtig. So, wie sie sich noch oft küssen würden.

      »Stephen? Hast du mich überhaupt gehört?«

      Er kehrte wieder zurück zu seinem Bruder in die Gegenwart. »Was hast du gesagt, bitte?«

      Nathaniel schenkte sich eine Tasse Tee ein. »Warum hat es aufgehört?«

      »Warum machst du das nur? Rate doch mal. Du weißt, dass ihr Bruder einer der Männer war, die an jenem Tag gefallen sind.« Nathaniel war neben dem Verteidigungsminister, dem Leiter der Rechtsabteilung der Luftwaffe und seinem lieben, verstorbenen Vater der einzige, der die ganze Wahrheit kannte.

      »Ah, also hast du die Ehe wegen ihres Bruders beendet.« Nathaniel wusste, dass Stephen und Carlos befreundet gewesen waren. Und er wusste, dass Stephen ziemlich von der Zwillingsschwester seines Kumpels, Corina, angetan gewesen war.

      »Sie ist mit ihren Eltern nach Hause zurückgekehrt, als sie die Nachricht … wegen Carlos … bekommen hat.« Stephen schüttelte den Kopf, eine einfache, seichte Geste, die ausdrückte, was er nicht in Worte fassen konnte. »Während dieser fünf Tage, die ich nach der Explosion im Krankenhaus verbrachte, wusste ich, dass ich mich jedes Mal, wenn ich sie ansah, erinnern würde, und –«

      »Und dann was? Dann hast du sie angerufen und gesagt, ›das war’s, Liebes‹?«

      »Nein … Nach Carlos‘ Beerdigung kam sie wieder nach Brighton. Ich konnte ihr nicht sagen, wie ich ihr abhandengekommen war, warum ich ihre Anrufe und ihre E-Mails nicht beantwortet hatte, warum ich nicht bei der Beerdigung ihres Bruders gewesen war. Weil die Luftwaffe nicht wusste, dass sie meine Frau war, hatten sie sie natürlich auch nicht kontaktiert, als ich verwundet wurde.«

      »Und

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