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Hekate. Thomas Lautwein
Читать онлайн.Название Hekate
Год выпуска 0
isbn 9783944180007
Автор произведения Thomas Lautwein
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
Ob Leleger und Karer anfangs unterschiedliche Völker waren, ist nicht ganz klar, eine Stelle bei Homer (Ilias 10,42828) und Strabons Kommentar dazu (XIII, 58 f.) legen dies jedoch nahe. Jedenfalls scheinen die Karer, bevor sie selbst von den Griechen ins Landesinnere abgedrängt wurden, ursprünglich selbst über das Meer gekommen zu sein. Nach einer Sage sollen sie von der Insel Samos stammen. Auf Samos wuchs ein uralter Lygos-Baum (Agnus castus, Keuschlamm) der der Hera geweiht war. Unter diesem Baum soll die Göttin die Ureinwohner der Insel geboren haben. Dieser bis zu zwei Meter hohe Strauch mit bläulichvioletten Blumen ist seit jeher eine beliebte Bienenweide. Da die Biene schon bei den Hethitern ein Symboltier der Erdgöttin war, wie wir noch sehen werden, lag es dann nahe, die Pflanze ebenfalls der Göttin zuzuordnen.
Die Karer konnten, obwohl sie zunehmend hellenisiert wurden, doch eine gewisse kulturelle Eigenart bewahren. Um dies zu verstehen, müssen wir zunächst auf die Geographie Kariens eingehen. Karien ist eine Bergregion, die von drei großen Flüssen durchzogen wird, dem Morsynos (heute: Dandala Çay), dem Harpasos (Ahçay) und dem Marsyas (Çine Çay), die in den Mäander (Menderes) münden. Das Bergland fällt zur Küste hin steil ab, die stark zerklüftet ist. Karien erstreckte sich vom Mäander im Norden bis zum Indos in Süden und grenzte an Lydien, Lykien und Phrygien. Die Bergzüge im Norden bestehen aus Gneis, Granit und Glimmerschiefer, während im Süden mesozoisch-alttertiäre Sedimente überwiegen. Die wichtigsten Städte an der Küste waren die ionischen Siedlungen Ephesos, Milet und Halikarnassos, die Heimat des Historikers Herodot. Während die berühmten Seestädte wie Milet und Halikarnassos Handelsverbindungen bis nach Griechenland und Indien hatten, war das Hinterland fast gänzlich von der Landwirtschaft geprägt, die Wein, Oliven, Feigen und Honig erzeugte. Die Kiefern- und Pinienwälder des Latmos-Gebirges lieferten Holz für den Schiffsbau der Küstenstädte. Viele Karer aus dem Landesinneren verdingten sich als Söldner, Seeleute und Handwerker. In der Tat waren die Karer in der Antike allgemein als gute Soldaten und Seefahrer bekannt (auch als Piraten scheinen sie sich betätigt zu haben, s. Herodot 2,152). Karische Söldner werden schon in der Bibel erwähnt (2 Könige 11,4) und standen auch im Dienste der ägyptischen Pharaonen (Herodot 2,152 und 3,11).
Am Südufer des Bafa-Sees (der in der Antike noch nicht vom Meer abgeschnitten war) wurde Marmor abgebaut, der zum Bau der Tempel in Iasos, Milas, Herakleia, Aphrodisias usw. verwendet wurde. Die Siedlungsstruktur im Landesinneren war dörflich geprägt. Die Architektur der Karer, wie sie heute noch in Latmos (oberhalb von Herakleia am Nordufer des Bafa-Sees), Alinda und Labranda erkennbar ist, unterscheidet sich deutlich von der griechischen. Die Bauten wirken klobig und wuchtig, passen sich aber geschickt dem gebirgigen Gelände an und haben eine gewisse herbe Schönheit. Typisch karische Ortsnamen sind oft an der nichtgriechischen Endung auf –anda erkennbar (Labranda, Alabanda, Alinda). Karische Personennamen erkennt man an den Endungen auf –assis, -ollos und –omos. Einige karische Wörter: ala (Pferd), banda (Sieg), gela (König), gissa (Stein), Soua (Grab). Seitdem der Ägyptologe John D. Ray die karische Schrift in den 1980er Jahren entziffern konnte, hat sich herausgestellt, dass Karisch zu den anatolischen Sprachen gerechnet werden muss. 29
Über die Frühgeschichte Kariens ist wenig bekannt, da sie bisher kaum erforscht wurde. Anneliese Peschlow-Bindokat, die in den 1990er Jahren im Latmos-Gebirge steinzeitliche Felsmalereien entdeckte, nimmt aber an, dass es schon im 8. Jahrtausend v. Z. einen Kult des Wettergottes und einer großen Muttergottheit gegeben hat.30 Die Felsmalereien im Latmos stammen ihrer Ansicht nach aus dem 8. - 4. Jahrtausend vor Z. Älteste Spuren einer minoischen Kolonisation an der Küste stammen aus dem 2. Jahrtausend v. Z. „Über die Geschichte Kariens in den ersten Jahrhunderten des 1. Jahrhunderts v.Chr. erfahren wir aus den Quellen nichts.“31 Erst in den letzten Jahren hat man Spuren gefunden, die auf Beziehungen zum Hethiterreich hinweisen. Um 1000 vor Z. entstand dort die karische Rückzugssiedlung Latmos.
Die Karer bildeten ab dem 6.Jahrhundert v. Z. einen Bund (chrysaorischer Bund), dessen Zentrum zunächst Mylasa, später das Heiligtum des Zeus Chrysaor in Stratonikeia war, „in welchem sie zusammenkommen, um zu opfern und sich über gemeinsame Angelegenheiten zu beraten“ (Strabon XIV, 2,25). Während des ionischen Aufstandes der griechischen Küstenstädte 500 v. Chr. standen die Karer auf Seiten der Griechen, unterwarfen sich aber bald wieder dem Perserkönig Dareios. Im 4. Jahrhundert wurde Karien von der Herrscherfamilie der Hekatomniden beherrscht, deren Name offenbar von Hekate abgeleitet ist. Der bekannteste Herrscher aus diesem Satrapen-Geschlecht war Mausolos (377 - 351), dessen Frau Artemisia in Halikarnassos (Bodrum) das berühmte Mausoleion errichtete. Als Alexander der Große Karien eroberte, bestätigte er Mausolos’ Schweser Ada in der Herrschaft über Karien und ließ sich sogar von ihr adoptieren. Die Kultur der Karer war wie die der Lyder mutterrechtlich organisiert; was auch erklären mag, warum bei den Hekatomniden nach dem Tod eines Königs Schwestern und Gattinnen offenbar ganz selbstverständlich die Herrschaft übernehmen konnten. Die verwickelte Familiengeschichte der Hekatomniden und das selbstbewusste Handeln der beiden Königinnen Artemisia und Ada wird von Strabon in Buch XIV seiner Erdbeschreibung erwähnt:
Hekatomnus nämlich, der König von Karien, hatte drei Söhne, Mausolos, Hidrieus und Pixodarus, und zwei Töchter, mit deren älterer, Artemisia, der älteste der Brüder, Mausolus, vermählt war, während der zweite, Hidrieus, die andere Schwester, Ada, zur Gemahlin hatte. Als jener kinderlos starb, hinterließ er das Reich seiner Gattin, von welcher ihm das erwähnte Grabmahl errichtet wurde. Als aber auch sie aus Gram über den Verlust des Gatten an der Auszehrung verschieden war, herrschte Hidrieus, und ihm folgte, als er an einer Krankheit starb, seine Gemahlin Ada; diese aber verdrängte der Pixodarus, der noch übrige von den Söhnen des Hekatomnus. Dieser, ein Freund der Perser, ließ einen Satrapen zur Teilnahme an der Herrschaft kommen, und als auch er aus dem Leben schied, behielt der Satrap Halikarnassus, da er die Ada, eine Tochter des Pixodarus und der Aphneis, einer Kappadocierin, zur Gemahlin hatte. Als aber Alexander heranzog, hielt er eine Belagerung aus; Ada jedoch, die Tochter des Hekatomnus, welche Pixodarus verdrängt hatte, flehte den Alexander an und beredete ihn, sie in das ihr entrissene Königreich zurückzuführen, indem sie ihm ihre Mitwirkung in Bezug auf die abgefallenen Städte versprach, da ja deren jetzige Besitzer ihre Verwandten wären; auch übergab sie ihm Alinda, wo sie sich damals aufhielt. Alexander erklärte seine Zustimmung, ernannte sie zur Königin und überließ ihr, nachdem er die Stadt bis auf die Burg erobert hatte, die Belagerung jener.32
Ab 129 v. Z. gehörte Karien zur römischen Provinz Asia, ab 305 wurde es eigene Provinz (Caria), aus dieser Zeit stammt auch das Preisedikt des Diokletian in Stratonikeia. In byzantinischer Zeit gehörte es zum Thema Kibyrrhaiton, bis sich ab 1260 die Seldschuken und Osmanen in Karien festsetzten.
Ob die Karer die Gottheit Hekate aus ihrer ursprünglichen Heimat mitbrachten oder erst auf dem Festland kennen lernten, ist unklar, es spricht aber einiges dafür, dass Hekate eine autochthone kleinasiatische Gottheit ist. Karien war im Landesinneren eine eher unzugängliche Region, so dass sich dort altertümliche Sitten und Kulte länger hielten als andernorts (auch die Christianisierung verlief langsamer als andernorts). Nachdem man in den letzten Jahren die Schrift der Karer entziffern konnte und die wenigen Inschriften lesen konnte, ordnen Sprachwissenschaftler heute das Karische der Gruppe der anatolischen Sprachen zu, zu denen auch das Luwische gehört. Karisch wäre also eine indogermanische Sprache und folglich mit dem Hethitischen verwandt33. Eine Stelle bei Homer (Ilias II, 867) belegt jedenfalls, dass ihre Sprache von den Griechen als „rau“ empfunden wurde: Nastes führte die Karer, die rauh, ganz ungriechisch, sprechen 34