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Hekate. Thomas Lautwein
Читать онлайн.Название Hekate
Год выпуска 0
isbn 9783944180007
Автор произведения Thomas Lautwein
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
Ab dem 4. Jahrtausend gelingt es den Männern, die Frauen immer stärker von sich abhängig zu machen, und parallel dazu die ersten großen Staaten aufzubauen. Neben die großen Göttinnen treten zunehmend männliche Sturm- und Himmelsgötter, die sich mit der Göttin in der „heiligen Hochzeit“ verbinden, und als deren menschliche Ebenbilder sich die Herrscher der neuen Großreiche sehen. Das Symboltier der Göttin ist der Löwe (Kybele, Ischtar, Atargatis, Hepat), das des Gottes ist der Stier. In einem langwierigen Prozess, der sich vom 4. bis zum 1. Jahrtausend v. Z. hinzieht, bildet sich dann die eigentliche patriarchale Gesellschaft heraus:
Obwohl die Herausbildung der archaischen Staaten (...) deutliche Veränderungen in den Machtbeziehungen zwischen Männern und zwischen Männern und Frauen mit sich brachte, gab es keinen Hinweis auf einen „Umsturz“. Die Periode der „Durchsetzung des Patriarchats“ war nicht „ein Ereignis“, sondern ein Prozess, der sich in einem Zeitraum von etwa 2500 Jahren, ungefähr von 3100 bis 600 v. Chr. vollzogen hat.11
Das zentrale Ritual in dieser Zeit ist die „heilige Hochzeit“. Sie beruht auf dem Glauben, dass die Fruchtbarkeit von Land, Vieh und Mensch abhängig sei von der Zelebrierung der sexuellen Kraft der Fruchtbarkeitsgöttin. Dabei vereinte sich die Göttin (z. B. Inanna in Uruk) mit dem Hohepriester, der den Gott repräsentierte, oder mit dem König. Die jährliche Wiederholung dieser mythischen Vereinigung war eine öffentliche Zeremonie, die für das Wohl der Gemeinschaft von größter Bedeutung war. In einigen Ritualen gingen der Hochzeit der Tod und die Auferstehung des Gottes (Dumuzi, Adonis, Attis) voraus:
Die Entthronung der mächtigen Göttinnen und ihre Ablösung durch einen dominanten männlichen Gott vollzieht sich in den meisten Gesellschaften des Vorderen Orients nach dem Errichten eines starken und imperialistischen Königtums. Zunehmend wird die Funktion der Kontrolle der Fruchtbarkeit, die zuvor ganz den Göttinnen oblag, dargestellt durch die symbolische oder tatsächliche Vermählung des männlichen Gottes oder Gottkönigs mit der Göttin oder ihrer Priesterin. Schließlich werden Sexualität und Fruchtbarkeit voneinander getrennt und durch das Erscheinen von entsprechenden Göttinnen für jede dieser Funktionen symbolisiert, wobei die Muttergöttin zur Gemahlin/Gefährtin des obersten männlichen Gottes wird.12
Als die indogermanischen Luwier, Palaer und Hethiter ab 2000 v. Z. nach Kleinasien einwanderten, fanden sie die einheimische bronzezeitliche Kultur der Hattier vor, die bereits eine recht hohe Kulturstufe erreicht hatte und eine Große Göttin unter verschiedenen Namen verehrte. Die Hethiter hingegen verehrten vor allem den Himmels- und Lichtgott Sius (von idg. *Dieus), der mit dem griechischen Zeus verwandt ist. Dieser Wettergott, der hurritisch Tessub (Teššob, „hoch, herrlich“) bzw. hethitisch Tarhunt hieß, sah sich nun mit der machtvollen hattischen Erd-, Unterwelts- und Sonnengöttin konfrontiert, die Namen wie Estan, Wurunsemu, Šawoška oder Hepat trug:
Ihr hattischer Name Wurunsemu enthält das hattische Wort /wur/ „Erde“; hurritisch heißt sie Allani, gebildet aus allai „Herrin“. In ihrer Eigenschaft als Unterweltsgöttin führt sie den noch ungedeuteten Namen Lelwani oder die sumerische Bezeichnung Ereškigal „Herrin der großen Erde“. Als Mutter- und Schicksalsgöttin heißt sie auch Hannahanna, eine Reduplikation von hann- „Großmutter“. Inara ist ihr hattischer Name, wenn man die Schutzgöttin des Hatti-Landes meint. Zumeist aber verehrt man sie unter dem Namen „Sonnengöttin von Arinna“. Arinna ist wie Nerik, Zippalanda oder Kastama eine alte hattische Kultstadt. In Beschwörungsritualen, aber auch gelegentlich sonst, ruft man sie als Sonnengöttin der Erde an. Sicher bezieht sich dieser Aspekt einer Sonnengöttin der Erde auf die Vorstellung der des Nachts in der Unterwelt weilenden Sonne, die des Morgens als „Sonnengottheit des Wassers“ von der Unterwelt, die tief unterhalb des Meeres gedacht ist, aus den Wassern emporsteigt. Nun ist die Sonne in der hattischen Religion nicht wie bei den Hethitern oder Babyloniern männlich, sondern weiblich. In einem althethitischen Text ist sie noch mit dem Attribut „Tochter“ versehen: „Und die Frau Erde und die Tochter Sonne“.13
Als Sonnengöttin trug sie den Namen Estan (später Arinna und Hepat) und war die Herrin des Landes, das sie dem König in ihrer Funktion als „Throngöttin“ übertrug. Die Legitimität des Königs hing von dieser Bestätigung ab. Nicht zufällig versuchten später illegitime Könige, die die Macht an sich gerissen hatten, die matrilineare Sukzession abzuschaffen. Die Stellung der Königin, die gleichzeitig Hohepriesterin war, blieb bis weit ins 2. Jahrtausend hinein sehr stark. Die späteren Könige übernahmen dann sogar den Titel „meine Sonnengottheit“ für sich selbst.14
In Kilikien entsteht um 1500 v. Z. das hurritische Königreich Kizzuwatna, das „Land der Zauberpriesterinnen“15, das seine Unabhängigkeit von den Hethitern lange behaupten kann. In ihm wird eine Göttertrias verehrt, die aus dem Gott Tessub, der Göttin Hepat und ihrem Sohn Sarruma besteht (ähnlich der Dreiheit Osiris, Isis, Horus). Hepat, die zunächst vor allem in Nordsyrien und Südanatolien verehrt wird, ist auch mit den Namensformen DHA-A-BA-DU (Ebla), hba-eni („Mutter Heba“, Lykien) und Hipta (orphisch als Mutter des Dionysos) bezeugt.16 Kizzuwatna ist ein „Sammelbecken religiöser und magischer Überlieferungen, die manchmal bis in die hellenistische Epoche weitergereicht worden sind“17. Die Macht der Frauen ist bis 1200 v. Chr., als das Hethiterreich im Ansturm der Seevölker zusammenbricht, in ganz Kleinasien politisch und religiös noch sehr stark. Immer wieder klagen hethitische Könige darüber, dass ihre Frauen oder weiblichen Verwandten mithilfe von „Zauberweibern“ und schwarzer Magie gegen sie intrigieren. So beschuldigt König Mursili II. (1345 - 1315) die alte Königin, sie habe seine Frau von der Hexe Mezulla töten lassen und trachte auch ihm selbst und seinen Kindern nach dem Leben. Offensichtlich handelt es sich dabei um einen Machtkampf zwischen dem König, der das Prinzip der männlichen Erbfolge durchsetzten will, und der Königin-Hohepriesterin, die ihre alte Macht verteidigt:
Hier zeigt sich noch deutlich die Macht der alten Königin, die ja höchste priesterliche Würden bekleidete und sich oftmals in innenpolitischer Opposition zum König befand. Dass sich hier einst vorhandene, schon von Hattusili I. unterdrückte politische Rechte Geltung zu verschaffen suchten, steht wohl außer Frage.18
Die hethitische Geschichte liefert also ein besonders gutes Beispiel für den Übergang von einem matrilinearen Königtum mit entsprechender Thronfolge zum patrilinearen Königtum, und wie sich dieser Vorgang in der Mythologie widerspiegelt. Gerda Lerner resümiert:
Die frühe Herrschaftsform bei den Hatti stützte sich auf ein System, demzufolge das Recht der Nachfolge bei der tawananna lag, der Schwester des Fürsten. Das Königshaus der Hatti praktizierte die Geschwisterehe, ähnlich den Regelungen im ägyptischen Königshaus. Ein männlicher Herrscher heiratete seine Schwester, die als tawananna eine Priesterin mit beträchtlicher wirtschaftlicher und politischer Macht war und zum Beispiel das Recht hatte, von den Städten Steuern einzunehmen. Ihr Sohn erbte das Recht auf Thronfolge – nicht weil sein Vater König war, sondern weil das Recht