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Palladino, beim Tischrücken, 1892.

      Im Sommer 1923 erlosch das Licht in Erzsis Boudoir von selbst. Willy Schneiders Alter Ego („Spalt-Ich“) „Minna“ erteilte den Befehl: „Eine Kette bilden“. Auf diese Weise sollte die Energie der Teilnehmer mit der des Mediums verbunden werden, um angestrebte Phänomene zu verstärken. Der Tisch, an dem Willy saß, erhob sich, sodass zwei Tischbeine in Schwebe verharrten. Die Gegenstände auf dem Tisch, ein Taschentuch, die Spieldose und eine Tabatiere, blieben jedoch auf ihrem Platz. Diese halbe Levitation dauerte wenige Sekunden. Der Tisch war so schwer, dass Schrenck-Notzing ihn nicht anheben konnte. Lediglich im Moment der Levitation wurde er ganz leicht. Das Medium erschauerte, schwitzte, atmete schwer. Das rote Taschentuch erhob sich von der Lampe und eine Hand erschien, die sich auf Schrenck-Notzings Knie legte. Sie war durch einen immateriellen Faden mit Schneider verbunden. Schrenck-Notzing sagte später, die Hand sei warm und zehn Sekunden lang zu sehen gewesen.

      Eine andere Versuchsanordnung führte dazu, dass ein gasförmiger Nebel aus Willy Schneiders Arm stieg. Die wie getönter Rauch aussehende Masse nahm die Form eines schwach leuchtenden Tellers an und als er verschwand, floss etwas Weißes von der Schulter des Mediums herab. Dieses weißliche Material kennt man unter dem bereits erwähnten Namen „Ektoplasma“. Es wird nach der Materialisierung in den Körper des Mediums, aus dem es stammt, zurückgesaugt. Das Ektoplasma wird meist als von dicklicher Beschaffenheit und als lichtempfindlich beschrieben. Es sei die direkte Ursache für paranormale Phänomene, eine sichtbare „Verstofflichung“ der vom Medium ausgehenden Energie, so die Parapsychologen.

      Willy Schneider kehrte unter Zuckungen aus der Trance zurück. Er war erschöpft, die typischen „Medienkrankheiten“ Kopfschmerzen und Depressionen plagten ihn und er benötigte nach einer intensiven Sitzung wie der beschriebenen mehrere Tage Ruhe.

      Als die Versuchsreihe fortgesetzt wurde, gestattete Schneider eine Sitzung ohne Rotlicht. Es war nun hell im Raum. Ähnlich wie beim Experiment in Thirrings Institut erhob sich eine kleine silberne Glocke von einem Tischchen, schwebte in zehn Zentimeter Höhe und klingelte. Dann setzte sie wieder auf und es wurde still. Das war aber noch lange nicht alles. Die erstaunten Sitzungsteilnehmer wurden Zeugen, wie sich eine Hand manifestierte, die einen Rosenstrauß fest umklammert hielt. Der Duft der Rosen breitete sich im gesamten Zimmer aus und alle konnten ihn wahrnehmen. Das Phänomen währte jedoch nur sehr kurz.

      Levitation – der „Magier“

      Im Juli 1924 schrieb Schrenck-Notzing in einem Brief an Erzsi, dass er über den Sommer gerne wieder nach Schönau kommen wolle. Als kleines Dankeschön für die Gastfreundschaft werde er einen „Magier“ mitbringen. Hier kündigt sich ein neues Forschungsinteresse Erzsis an. Offenbar reichten ihr die Ektoplasmen, klingenden Glöckchen und „Spalt-Iche“ nicht mehr. Sie wollte sich nun auf das Gebiet der Magie vorwagen, das über den Okkultismus hinausführt. Im Bereich der Magie ist Eigenverantwortlichkeit gefragt, das heißt, es reicht nicht mehr aus, an einer Sitzung teilzunehmen und einfach zuzusehen, was passiert. Bei magischen Ritualen ist man selbst eingebunden, wird über einen bestimmten Zeitraum geschult und initiiert. Es können durchaus Dinge geschehen, die unerwartet und gefährlich sind. Außerdem postuliert die Parapsychologie, dass die übernatürlichen Phänomene alle psychologischer oder physikalischer Natur seien. Sie sind den Naturwissenschaften zuzuordnen, messbar und müssen lediglich weiter untersucht werden, um ihren Ursachen auf die Spur zu kommen. Parapsychologische Erscheinungen sind nicht „verrückt“ oder „geheim“, sondern sie gehören zu den Forschungsfeldern der Medizin und der Physik.

      Magische Phänomene jedoch überschreiten die rein menschliche Energie. Diese muss zwar vorhanden sein, aber sie wird durch verborgene Kräfte verstärkt. Es können daher weit stärkere und „unheimlichere“ Erscheinungen oder Gefühle damit verbunden sein.

      Auch die von Erzsi bevorzugte Fachliteratur änderte sich grundlegend. Sie las „Die Magie“, ein dreibändiges, soeben (1923) erschienenes Werk. Vom Inhalt her könnte man es als eine Einführung in die Dämonologie bezeichnen, was bereits die Grenzen des Satanismus streift. Solche Bücher gehörten nicht ins Sortiment von Herrn Pichl in der Wienzeile. Erzsis Quelle für diese sehr speziellen Werke ist unklar. Vermutlich erhielt sie diese Dinge von jenem Mann, den Schrenck-Notzing ihr als „Magier“ vorgestellt hat. Der „Magier“ hatte ihr wohl gegen gutes Geld auch mehrere verbotene Broschüren überlassen: „Magische Briefe – Okkulte Praktiken“, Literatur, die nur für initiierte Mitglieder ganz bestimmter Kreise gedacht war. Auch diese Hefte waren nagelneu, publiziert Mitte der 1920er-Jahre. Indische Magier unterweisen hier in Briefform in folgenden Praktiken: Magie der Spiegel und Kristalle; Magie der Spaltung; Magie der Formen und Symbole; Astrologie und Magie; Magie des Pendels; Sympathie und Magie; Satansmagie; Sexuelle Magie. Die Broschüren wurden ebenso nach Erzsis Tod von ihrem Sohn Franzi in der Penzinger Villa aufgefunden. Es ist schwer vorstellbar, was der biedere Hauptschullehrer und sozialdemokratische Funktionär Leopold Petznek zu einer Lebensgefährtin gesagt hätte, die sich den Kopf über satanische Rituale und indische Sexualmagie zerbricht. Aber vermutlich hat er nie von den höchst außergewöhnlichen Steckenpferden seiner Zukünftigen Kenntnis erhalten.

      Ihre sagenhafte Sammlung wertvoller Steine dürfte sie nicht vor ihm versteckt haben. Erzsi verfügte dank ihrer Herkunft über zahlreiche Edelsteine, die sie nach den Vorschriften ihrer diversen Heiler zur Verbesserung ihrer angeschlagenen Gesundheit einsetzte. Horoskope, die sie erstellen ließ, halfen ihr bei der Auswahl der Steine. So empfahl ihr ein Alternativmediziner, sie müsse eine Kupferplatte tragen, amalgamiert mit Quecksilber, mit einem Diamanten in der Mitte, am Rand drei im Dreieck angeordnete Edelsteine, und zwar zwei Hyazinthe und ein roter Jaspis. Im Verständnis des Yoga hilft der Hyazinth zum Beispiel bei Verlusten. Das Amulett sei an einer blauen Seidenschnur ständig am Körper zu tragen. Steine konnten neben ihrem Einsatz als magischer Schmuck auch zur Massage oder zur Wasseraufbereitung verwendet werden. Die heilende Wirkung von Mineralien wird bis heute debattiert, wissenschaftlich belegt ist sie nicht. Rosenquarz soll Gefühle und Vertrauen vertiefen, der „Stein der Liebe“, Jade, hilft laut esoterischen Lehren aus Fernost bei sexueller Unlust. Erzsi erfuhr aus der „Magie der Kristalle“, dass jeder Stein eine eigene Schwingung besitzt und sich mit verschiedenen Chakren (Energiepunkten) des Körpers verbindet. Überhaupt schworen „Magier“ wie Karl Krauss und andere in den 1930er-Jahren von Erzsi angeheuerte „Heiler“ auf die Heilkräfte von Rubin, Smaragd, Amethyst und Co.

      Im Sommer 1924 trat der „Magier“ Karl Krauss seinen „Dienst“ in Schönau an. Er sei ein „Herr“, so Schrenck-Notzing, der „gleichstehend behandelt“ werden müsse, „was sich bei Ihren liberalen Anschauungen von selbst versteht“, schrieb er in einem Brief an Erzsi. Der Besuch sei keine reine Privatangelegenheit, sondern es würden auch Wissenschaftler aus Wien beigezogen werden, um den Charakter der zu erwartenden Phänomene zu bewerten. Für den „Magier“ seien Sherry und Schnaps stets zur Stärkung bereitzuhalten. Daran sollte es bestimmt nicht scheitern …

      Alfred Kubin, der berühmte Grafiker aus dem Schloss Zwickledt bei Wernstein am Inn und einer der Kenner des Unheimlichen, dürfte auch zumindest einmal an einer Sitzung mit Karl Krauss teilgenommen haben. Kubin gehörte ebenfalls zur fächerübergreifenden Fangemeinde Schrenck-Notzings und lernte Erzsi in dieser Runde kennen.

      Damals war Krauss noch ein relativ neuer Name in der Szene und sogar Schrenck-Notzing besaß nur wenige überprüfbare Informationen über ihn. Aufgrund dieser Unsicherheiten sollte Erzsi nie mit ihm allein sein, bekräftigte der Lehrmeister. Franzi war alsbald sehr begeistert von Krauss. Sein eingangs zitierter Ausruf „Es war fabelhaft!“ bezog sich auf eine der Krauss’schen Darbietungen. Die fast täglichen Sitzungen begannen im August 1924. Krauss stellte sich als großer Magier vor, der seine Fähigkeiten jahrelang perfektioniert habe und bei einem initiierten Meister in die Lehre gegangen sei, unter strikten Regeln und strenger Disziplin. Sein Metier sei die Verbindung menschlicher Energien mit denen des Kosmos. Er könne durch erlernte Rituale Kräfte zu Hilfe rufen, auch solche aus negativen Energiefeldern.

      Rotlicht, UV-Licht, elektrisches Licht und andere Kinkerlitzchen spielen in der Magie keine Rolle. Der Magier kann seine Kraft auch im hellen Sonnenlicht entfalten. Ebenso ist Trance oder Hypnose nicht notwendig. Magische Rituale

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