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die teurer war als durchschnittliche Gastbetriebe und Essen von minderer Qualität ausgab. Fast alle Ziegelarbeiter, größtenteils Arbeitsmigranten aus dem heutigen Tschechien, man nannte sie daher „Ziegelböhm“, waren unterernährt, krank und lebten in fürchterlichen hygienischen Verhältnissen. Kinder unter zwölf Jahren arbeiteten von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Sogar die von jeglicher Realität abgeschirmte Erzsi in der Hofburg erfuhr später, als Teenager, von den Zuständen am Wienerberg.

      Viktor Adler wurde mit der Veröffentlichung seiner Beobachtungen zu einem sozialistischen „Helden“, der sowohl von den linken als auch den eher gemäßigten Sozialdemokraten akzeptiert wurde. Ohne die Wienerberger-Reportagen wäre es wohl nicht zum Einigungsparteitag gekommen. Doch die Ideen zur Verbesserung des Loses der Arbeitenden reichten schon weiter zurück.

       „Was wir ersehnen von der Zukunft Fernen, Dass Arbeit und Brot uns gerüstet stehen, Dass unsere Kinder in der Schule lernen Und unsere Alten nicht mehr betteln gehen.“

      Dieses Gedicht von Ferdinand Freiligrath, dem langmähnigen deutschen Freigeist der bürgerlichen Revolution von 1848, nahm die Arbeiterbewegung in ihr Kulturgut auf, um ihr Programm der Armutsbekämpfung im 19. Jahrhundert voranzutreiben. Die Botschaft wollte unters Volk gebracht werden, und zu diesem Zweck gründeten sich schon ab 1867 zahlreiche Bildungs- und Kulturvereine, in Wien und in anderen größeren und kleineren Städten. Ihre Proponenten organisierten Bildungsprogramme für Arbeiter und zunehmend auch für Arbeiterinnen, denn ungelernte Frauen ohne Geld und Wohnung strömten in Massen in die Haupt- und Residenzstadt. Vorträge, Kurse, Diskussionen, neu eingerichtete Arbeiterbibliotheken sollten helfen, aus kaum gebildeten Arbeitssklaven klassenbewusste Proletarierinnen und Proletarier zu machen. In Wien und Wiener Neustadt erschienen – oft verboten und daher noch unregelmäßig – die ersten Zeitungen der im Entstehen begriffenen Arbeiterbewegung. Ferdinand Lassalles Ideen, wonach der Staat Produktionsgenossenschaften schaffen sollte, setzten sich, von Deutschland kommend, auch in Österreich durch. Wie für die deutsche Sozialdemokratie hieß der erste Schritt: Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer. Viele Frauen in der Bewegung verlangten schon damals das Wahlrecht für alle, doch die Männer, die das Sagen hatten, meinten: Klasse schlage Geschlecht. Im Klartext hieß das, zuerst wählen einmal alle Männer und dann werde man weitersehen.

      Bald gewannen jene Kräfte innerhalb der zerstrittenen Arbeiterbewegung an Boden, die sich für eine eigene Partei stark machten. So kam es zu Ostern 1874 im burgenländischen Neudörfl zur Gründung der SDAP. Damals gehörte der kleine Ort übrigens zur ungarischen Reichshälfte.

      Der „Schwarze Freitag“ von 1873, als die Börse krachte, beendete schlagartig die Ära des Liberalismus. Rasch herrschte hohe Arbeitslosigkeit, es kam zu polizeilichen Verfolgungen der hungernden Proletarier, die sich organisieren wollten, und im Endeffekt durch Spaltungen zum Beinahe-Ende der jungen Arbeiterbewegung. Schließlich gelang es Viktor Adler, mit seiner Zeitung „Gleichheit“ einen neuen Sammelpunkt zu schaffen, der 1888/89 zur Neugründung der SDAP auf dem Hainfelder Einigungsparteitag führte.

      30 Jahre später. Monarchie und Adel sind abgeschafft. Frauen nehmen erstmals an Wahlen teil. In diesem Jahr 1919 wird die Tochter des Kronprinzen Rudolf, Elisabeth Windisch-Graetz, eingeschriebenes Mitglied der nun staatstragenden sozialdemokratischen Partei.

      Und noch einmal zurück: Am Karsamstag 1889 spielte Anton Bruckner Mozarts „Te Deum“ in der Hofburgkapelle, wo nur wenige Wochen davor Rudolfs einbalsamierte Leiche zur Schau gestellt worden war. In der oberösterreichischen Heimat des Organisten wurde an diesem Tag, dem 20. April 1889, dem Ehepaar Klara und Alois Hitler ein Baby geboren. Der Bub erhielt den Namen Adolf. Die verschiedenen Ausprägungen des Faschismus und nicht zuletzt seine Folgen werden auch Erzsis Leben und das ihrer Angehörigen aus den Angeln heben.

      I Die Geister, die sie rief

      Unheimliche Fälle auf Schloss Schönau

      Ein Geisterfoto, das eine Ektoplasma-Erscheinung zeigt. Es wurde bei Rotlicht aufgenommen und erscheint durch die Bewegungen des Mediums unscharf. Hier zu sehen: Das Medium Stanislawa P., das auch Albert von Schrenck-Notzing, Erzsis Spiritismus-Sachverständiger, bei „Sitzungen“ beschäftigte. Ob die Erscheinung „echt“ ist – darüber scheiden sich die Geister.

      „Als Medium ist er natürlich unersetzlich.“

      (Albert von Schrenck-Notzing warnt Erzsi vor einem Betrüger.)

      „Es war fabelhaft!“ Sichtlich begeistert berichtete Erzsis ältester Sohn Franz Joseph, genannt Franzi, später seiner Frau Ghislaine von den Séancen, die seine Mutter etwa zehn Jahre lang veranstaltete. Franzi war damals um die 20 Jahre alt und auf Wunsch seiner Mutter musste er bei den Geisterbeschwörungen immer dabei sein, da man das Verhalten der Medien und der von ihnen hervorgerufenen Erscheinungen kaum vorhersehen konnte. Obwohl sich Erzsi von den besten Hypnosefachleuten und Parapsychologen ihrer Zeit ausbilden und schulen ließ, respektierte sie die Manifestationen und wollte ihre beiden bereits erwachsenen Söhne bei den Sitzungen um sich haben. Sie fürchtete nämlich, von gewalttätigen Erscheinungen angegriffen zu werden. Der zweitälteste Ernst Weriand, genannt Erni, weigerte sich aber und so blieb es an Franzi hängen, Zeuge der unterschiedlichen Dinge zu werden, die sich im verdunkelten Boudoir seiner Mutter abspielten. Ghislaine Windisch-Graetz verdanken wir viele Berichte über diese spiritistischen Sitzungen. Erzsi selbst sprach nie darüber. Ihre schriftlichen Aufzeichnungen wären sehr wertvoll und interessant, sind jedoch nicht erhalten geblieben. Sie schrieb ihre Erfahrungen in Briefen an ihren Lehrmeister, den deutschen Arzt Albert von Schrenck-Notzing (1862–1929), nieder. Man könnte ihn als führende Kapazität auf dem Gebiet der Parapsychologie bezeichnen. Er führte einen regen Briefverkehr mit zahlreichen bekannten Persönlichkeiten, war ein enger Freund von Erzsi und wurde wiederholt in ihren damaligen Wohnsitz nach Schönau in Niederösterreich eingeladen, wo er oft viele Wochen am Stück verbrachte.

      Die Briefe, die Erzsi für Schrenck-Notzing verfasste, wurden von den Nationalsozialisten verbrannt. Okkultismus war – zumindest offiziell – dem NS-Regime ein Dorn im Auge. Außerdem waren viele Mitglieder in Schrenck-Notzings Zirkel adeliger Abstammung und standen daher im Fokus der neuen Machthaber. Man beabsichtigte, gegen diese Leute vorzugehen. Gleichzeitig konnten Männer aus adeligen Familien im NS-Eliteverband SS große Karrieren machen und auch Okkultisten gab es dort zur Genüge. Dennoch drangen SA-Verbände in Schrenck-Notzings ehemaliges Laboratorium in München ein, verbrannten seinen Briefverkehr, seine Bücher und auch unzählige Fotos der von ihm dokumentierten Erscheinungen. Die Räume seiner einstigen Münchner Wohnung wurden verwüstet. In Erzsis Briefen dürften ihre Versuchsanordnungen und die Ergebnisse, die sie erzielt hatte, genau beschrieben gewesen sein.

      Der „Geisterbaron“

      Schrenck-Notzing war wissenschaftlich ungeheuer penibel und hielt jede Bewegung, den leisesten Lufthauch, fest – schriftlich und in Form von Fotos. Sein Ziel war es, die Parapsychologie genauso wie die Sexualwissenschaft, mit der er sich medizinisch auseinandersetzte, als exakte Naturwissenschaften zu etablieren. Seine Selbstdefinition lautete „Spezialist für Nervenkrankheiten und Sexual-Pathologie“. Er war gewissermaßen der erste Psychotherapeut im heutigen Verständnis des Begriffes. Sein Interesse galt seelischen Vorgängen und deren Auswirkungen – im körperlichen, aber auch im geistigen Bereich. Konzentration, Meditation, Beherrschung des eigenen und fremden Willens sowie Hypnose konnten seiner Ansicht nach Materialisationen hervorrufen, wenn die „Zielperson“ gewisse dafür notwendige Veranlagungen mitbrachte. Eine solche Person nannte er „Medium“. Schrenck-Notzings Versuche mit den Medien würden heute von den meisten Menschen zumindest als fragwürdig bezeichnet werden.

      Einige Briefe von Schrenck-Notzing an Erzsi sind im Besitz ihrer Nachkommen erhalten geblieben. Erkennbar wird, wie genau sich der Arzt mit ihren Berichten befasst und wie sehr er sich um sie und ihr Wohlergehen gesorgt hat. Er warnte sie immer wieder vor betrügerischen Medien oder empfahl ihr „passende“, die er bereits überprüft habe.

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