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Okkultisten, auch Schrenck-Notzing bevorzugt diese Art der Beleuchtung in Anwesenheit einiger seiner Medien. Abgesehen vom roten kann auch violettes Licht bei manchen Sitzungen förderlich sein. Die weit verbreitete Ansicht, dass parapsychologische Sitzungen nur bei Nacht durchgeführt wurden, ist unrichtig. Im Gegenteil, die meisten fanden (und finden) ganz normal tagsüber statt.

      Schrenck-Notzing verlangt an Technik alles, was zu seiner Zeit möglich ist: Bis zu neun Kameras, eine auch an der Decke, kommen gleichzeitig zum Einsatz. Die Medien werden verdrahtet. Sie sollen Hände und Füße nicht ohne sichtbare Impulse bewegen können. Manchmal müssen sie in Käfigen sitzen, die nicht größer sind als ein Kubikmeter. Sie tragen ein speziell gefertigtes schwarzes Sitzungstrikot mit am Rücken vernähten, am Ende plombierten Schnüren. Tüllschleier verdecken Kopf und Hände. Jede Körperöffnung wird überprüft, Achselhöhlen und Frisuren werden auf versteckte Gegenstände inspiziert. Ein Federmesser wird herangezogen, um zwischen Finger- und Zehennägeln und Fleisch verborgene Fäden etc. ausschließen zu können. Mit minutengenauen Zeitangaben werden alle Geschehnisse einer Stenotypistin diktiert, die bei Rotlicht schreiben muss, auch wenn draußen helllichter Tag herrscht. Schrenck-Notzing besitzt außerdem einen elektrischen Parlographen, in den er wie in ein Diktiergerät direkt hineinsprechen kann. Doch Illusion und Täuschung werden immer zu den Vorwürfen gehören, die bei derartigen Séancen unausweichlich sind. Katzendärme, Fischblasen, eine Plazenta samt Nabelschnur, tierisches Gekröse, sogar ein im Mastdarm verborgener Pfropfen: Das alles kann – feuchtgehalten mithilfe eines Stärkekleisters – ein Ektoplasma echt aussehen lassen. Oder es kann aus Gänsefett, Gaze, Putzwolle und Watte fabriziert werden. Die materialisierten Hände können in Wirklichkeit aufgeblasene Gummihandschuhe sein, Phantome wurden als Teile übermalter Gips- und Gliederpuppen erkannt. Okkulte Erscheinung? Oder Textil, Tüll und Pappkarton?

      Schrenck-Notzing sprach Erzsi in seinen ungefähr 50 Briefen mit „Liebe und verehrte Freundin“ oder „Chère amie“ an. Die Briefe stammen aus den Jahren 1921 bis 1928, doch ist aus den ersten Briefen ersichtlich, dass sich die beiden schon mehrere Jahre kannten.

      Erzsi legte Wert darauf, anerkannte Medien bei sich zu Gast zu haben, aber sie entwickelte auch den Ehrgeiz, selbst welche zu entdecken – eine Herausforderung, die ihr letztlich zum Verhängnis wurde. Die Wirkmächtigkeit eines Mediums trug dazu bei, dass sich Erzsi Ende der 1920er-Jahre zum Verkauf des von ihr so geliebten Anwesens im niederösterreichischen Schönau entschließen musste.

      Noch war es aber nicht so weit. In den Jahren 1922 und 1923 fanden parapsychologische Sitzungen in großer Anzahl im Schloss Schönau statt. Solange Schrenck-Notzing Zeit für einen Urlaub bei Erzsi erübrigen konnte, wurden fast jeden Tag solche Versuche gemacht. Die Schlossherrin hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden, fix an die Existenz der Geisterwelt zu glauben. Sie wollte diese neue Energie spüren und mithilfe von Schrenck-Notzing und der Medien weiterentwickeln. Euphorie breitete sich in ihr aus, wenn sie den Eindruck hatte, ihr toter Freund sei anwesend und beantworte Fragen, die sie ihm im Leben nicht mehr zu stellen imstande gewesen war.

      Die wichtigsten Medien, die Erzsi nach Schönau kommen ließ, waren die Teenager-Brüder Schneider, der gelegentlich als Betrüger entlarvte „Magier“ Karl Krauss (auch: Krauß) und die junge burgenländische Dienstmagd Wilma (auch: Vilma) Molnar.

      Psychokinese – die Brüder aus Braunau

      Willy (auch: Willi) und dessen jüngerer Bruder Rudi Schneider wurden mehrere Male als Medien nach Schönau geholt. Vor allem der gelernte Zahntechniker Willy galt als großer Star der damaligen Parapsychologie. Beiden Brüdern wurde besondere Geschicklichkeit in den Bereichen Teleplastik, Telekinese und Psychografie attestiert, was bedeutet, dass sie fähig waren, Materialisationen hervorzurufen, Dinge zu bewegen, ohne sie zu berühren, sowie Fragen zu beantworten – in sogenannter automatischer Schrift. Die automatische Schrift erfreute sich großer Beliebtheit bei Leuten, die in Kontakt mit dem Übernatürlichen treten wollten. Erzsi konnte Fragen an Verstorbene richten und das Medium schrieb in einem Zustand des Halbbewussten die Antwort nieder. Die automatische Schrift unterschied sich stark von der „alltäglichen“ Schrift des betreffenden Mediums.

      Willy und Rudi Schneider gehörten in den 1920er-Jahren zu jenen Medien, die in ganz Europa herumgereicht wurden. Die Brüder stammten aus Braunau und waren unter 20 Jahre alt. Sie zeigten ihre „Kunst“ in Wien, München, Zürich, Prag und in London vor der „Gesellschaft für Psychische Forschung“. Der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer war überzeugt, das Herkunftsgebiet der Bauernsöhne hätte ihre „Leistungen“ beflügelt. Er sprach vom Innviertel als einem besonderen Ort, der geeignet sei, „das Wachstum zwielichigter zweitgesichtiger medialer oder auch pathologisch deformierter Halb-Genies oder Ganz-Charlatane“ hervorzubringen. Zu den Letztgenannten zählte er „auch die berühmten ‚Schneider-Büben‘“, die seiner Ansicht nach „ihre an sich vorhandenen Fähigkeiten mit Hilfe eines ‚Gang‘s von Erwachsenen geschickt ausgebaut und durch alle möglichen Tricks merkantilisiert“ hätten. Vom Physiker Hans Thirring wurden sie in seinem Institut an der Universität Wien untersucht. Willy Schneider musste ein „Sitzungskostüm“ tragen und wurde durch Thirring und eine weitere Person in seinen Bewegungen kontrolliert. Die Sitzung fand wie üblich beim Licht einer Rotlampe statt. Schrenck-Notzing schrieb in seinem Aufsatz „Neuere Untersuchungen über telekinetische Phänomene bei Willy Schneider“ (April 1926), dass sich die innere Kraft des Mediums in der Nähe einer weiblichen Vertrauten steigere. Wie Schrenck-Notzing schon früher postuliert hatte, existiere demnach ein Zusammenhang zwischen psychischen Phänomenen und Sexualität. Thirring war sehr geneigt, dieser These zuzustimmen. Die Telekinese betraf in diesem Fall Gegenstände, die sich teils auf einem Tisch bzw. einer Bank und außerhalb der Arm- oder Fußreichweite Schneiders befanden. Eine andere Sitzung gipfelte darin, dass Rudi Schneider eine Glocke, die sich hinter seinem Rücken in fast zwei Meter Entfernung befand, zu Boden warf. Stellten sich bei wiederholten Experimenten nicht die erwarteten, schon einmal erzielten Erfolge ein, gingen Kritiker dieser Versuche von Betrug aus. Schrenck-Notzing machte in seinem Text hingegen „die Ungeduld von seiten der Professoren“ (es waren oft Ärzte der „Wiener Landesirrenanstalt am Steinhof“ anwesend) für die „schwächeren Ergebnisse der Sitzungen“ verantwortlich. Thirring beobachtete beispielsweise ein periodisches Abflauen und Anwachsen der Kraft des Mediums. Der damals sehr bekannte Parapsychologe Harry Price wurde von Schrenck-Notzing folgendermaßen zitiert: „Wenn es sich wirklich um psychische Phänomene handelt, dann muß zur Erlangung eines echten, guten Phänomens das Vorhandensein eines wohlmeinenden, harmonischen, seelischen Kontakts zwischen Medium und Teilnehmern notwendig sein.“ Price sei überhaupt der Meinung, dass Musik oder gelöste Unterhaltung der Sitzungsteilnehmer das Medium positiv beeinflussen könnte. Schrenck-Notzing ergänzte: „Wenn das Ganze einer Prüfung, einem Examen gleicht, dann kann und wird sich niemals ein Phänomen ereignen.“

      In Erzsis Versuchsanordnung in Schönau saß das Medium Willy Schneider auf einem Sessel. Schrenck-Notzing stand, um alles im Blick zu haben, neben ihm saß Erzsis ältester Sohn Franzi. Willy Schneider wandte Selbsthypnose an und fiel in Trance. Im Raum breitete sich kühle Luft aus. Die Hände des Mediums wurden kalt, was Schrenck-Notzing mit „Energieverlust“ erklärte. Ein Lufthauch streifte die Teilnehmer. Wenige Sekunden lang hörte man eine Melodie. Und dann soll sich ein Astralleib präsentiert haben, noch dazu ein weiblicher: „Minna“. Im nächsten Moment drehte sich der Bronzeluster an der Decke. Schrenck-Notzing ersuchte „Minna“, dies sofort einzustellen. Der Luster hing wieder still. Dafür erhoben sich nun auf einem Tisch ausgelegte Fächer in die Luft. Zu allem Überfluss drang aus der Tapete hinter Schneider ein schwarzer Schleier hervor und verformte sich zu einer Hand, deren Finger mehrere Fächer nahmen, als würden diese davongetragen. Während der Erscheinung hörte man Stöhnen, Keuchen und Seufzen, da die Materialisationen für das Medium körperlich anstrengend waren. Als sich die Phänomene dem Ende zuneigten, erklang aus der Spieldose auf dem Nebentisch eine Melodie. Der Körper Schneiders wurde von Krämpfen geschüttelt. Dies sei ein physisches Phänomen, das nachließe, sobald die Manifestation vorbei sei, erklärte Schrenck-Notzing. Alles spielte sich anderthalb Meter entfernt von Schneider ab.

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