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      Kranke Kinder

      Erzsi konnte „normale Ärzte“, wie sie sagte, nicht leiden. Lediglich die Tiermediziner, die sich ihrer Hundezucht annahmen, schafften es gelegentlich, ihre Auftraggeberin zufriedenzustellen. Allerdings waren sowohl Erzsi als auch ihre Kinder häufig kränklich oder richtig krank und litten unter wiederkehrenden Krankheitssymptomen unerklärlicher Herkunft. Insbesondere die Azetonämie-Anfälle ihrer Kinder zehrten an Erzsis Nerven. Diese Krankheit tritt hauptsächlich bei Heranwachsenden auf. Heute nennt man sie Ketose, es handelt sich um eine Stoffwechselkrankheit mit verschiedenen Symptomen wie beständige Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Kopfschmerzen und vor allem heftiges Erbrechen. Erzsis vier Kinder wuchsen sehr schnell, fast alle erreichten die enorme Körpergröße ihrer Vorfahren auf belgischer Seite, also des Urgroßvaters Leopold II. und der Großmutter Kronprinzessin Stephanie, sowie von Erzsi selbst. Sie wurden fast zwei Meter groß. Dies könnte eine Ursache für die Leiden der Kinder gewesen sein, sicher trugen aber auch der unstete Lebensstil der Mutter, die Abwesenheit des Vaters und überhaupt die in Scheidung lebenden, sich öffentlich bekriegenden Eltern zum Unwohlsein der Kinder bei. Das jüngste Kind von Erzsi und Otto Windisch-Graetz, die Tochter Stephanie, genannt Fee, machte seiner Mutter die meisten Sorgen und jagte ihr sogar regelrecht Angst ein. Oft schien die Heranwachsende halb ohnmächtig, zeigte auf Ansprache keinerlei Reaktionen. Sie schien vollkommen abwesend, nahm kaum wahr, was sich in ihrer Umgebung abspielte. Dass ihr die Tochter immer ähnlicher sah, beunruhigte Erzsi zusätzlich. Da sie viel über „Astralleibe“ und „Doppelgänger“ las, könnte Erzsi sich vor einer Reinkarnation ihrer selbst gefürchtet haben. Fee war ihr zeitweise so unheimlich, dass sie sich von der Tochter angestarrt fühlte, auch wenn diese gar nicht mit ihr im selben Zimmer war.

      Erzsi suchte aus diesen Gründen laufend Ärzte, Psychologen und von sich selbst sehr überzeugte Heiler auf, doch die ersehnten Therapieerfolge blieben aus. Kalte Bäder, Stromanwendungen, Homöopathie – alles wurde ausprobiert. Astrologen und Wünschelrutengeher kamen und gingen. Erzsi holte auch sogenannte Wender. Das Wenden wird heute kaum mehr verstanden, es gehört zu den sehr alten Formen der Heilkunde. Man kann es sich als europäische Form des Geistheilens vorstellen. In Niederösterreich, wo Erzsi damals lebte, war es einmal sehr verbreitet, doch schon zu ihrer Zeit gab es kaum noch Wender. Salben, Medikamente oder andere Hilfsmittel werden bei dieser Art des Heilens nicht verabreicht. Der Heiler konzentriert sich auf den Kranken und versucht allein durch die Kraft seiner Gedanken, die Krankheit abzuwenden, das heißt die Krankheit wird „umgewendet“ in Gesundheit. Es gibt auch die Möglichkeit, den Kranken zu besprechen: Der Wender sitzt beim Kranken, verlässt ihn nach einer Weile und nimmt die Krankheit mit sich. Mit einem Spruch wird das Leiden dann aufgelöst. Von manchen Kranken werden solche Menschen „Gesundbeter“ genannt – vor allem, wenn sich Patient und Heiler nicht am selben Ort befinden. Mit Beten haben Wender im Allgemeinen jedoch nichts zu tun. Ihre Methoden stammen durchwegs aus den vorchristlichen Jahrhunderten und Menschen, die es nach dem Mittelalter noch praktizierten, wurden als „Hexen“ und „Zauberer“ verfolgt. Die meisten Wender fielen dem Hexenwahn zum Opfer, ihre Fähigkeiten starben – zum allergrößten Teil – mit ihnen.

      Aus der Sammlung Peter Altenbergs: Erzsi mit ihren Kindern, um 1914

      Die Söhne Franzi und Erni erzählten später von ihren Brechanfällen und von Erzsis Art, diese zu bekämpfen. Auf Anraten eines „Heilers“ mussten die Kinder Unmengen Spinat essen, was sich günstig auf die Verdauung auswirken sollte.

      Flucht vor der Vernunft?

      Alles, was Erzsi im Lauf ihrer okkulten Sitzungen sah oder erlebte, suchte sie mithilfe der Vernunft zu erklären. Sie war eine ausgesprochen moderne Frau und in dieser Hinsicht ganz die Tochter ihres Vaters. Parapsychologie interessierte sie, aber sie wollte den Phänomenen, die sich in ihrer Gegenwart abspielten, präzise auf den Grund gehen und deren Ursachen erforschen. Thomas Mann formulierte es so: Es ginge darum, dass die Vernunft anerkennen soll, was die Vernunft ablehnt. So sah es auch Schrenck-Notzing. Was er hasste, waren Amateure, „Laienpublikum“, wie er es nannte. „Laienhafte Nekromanten“ mochte er genauso wenig, „Gesindestuben-Metaphysik“ oder gar „Köchinnensonntagnachmittagausgehvergnügen“ (Thomas Mann) war rundheraus abzulehnen. Man benötige, so der Parapsychologe, eine klare und strenge Methodik. Versuchsanordnungen mussten wiederholbar sein. Überhaupt half einzig und allein das Experiment, genauso wie in der Physik oder der Chemie. Schrenck-Notzing versicherte, das Okkulte könne anhand naturwissenschaftlicher Vorgehensweisen aufgehellt, wissenschaftlich erfasst und publiziert werden. Man müsse es so lange freilegen, bis es ganz ins Offensichtliche, Erklärbare übergegangen sei.

      In den von Schrenck-Notzing vermittelten Sitzungszirkeln in Wien lernte Erzsi Dr. Hans Thirring kennen, der mit dem Münchner Arzt gut bekannt war. Jemanden wie Thirring würde man in Okkultismus-Kreisen nicht auf den ersten Blick vermuten, denn er war theoretischer Physiker und Vorstand des Instituts für Theoretische Physik an der Universität Wien bis 1938. Tatsächlich jedoch existierte im ersten Wiener Gemeindebezirk schon in den 1870er-Jahren ein vegetarisches Restaurant, in dem nicht nur Esoteriker verschiedenster Art verkehrten, sondern auch „Sozialisten, die die Weltrevolution planten“, so der Theosoph und Freud-Berater Friedrich Eckstein in seinen Memoiren. Zu Thirrings Umfeld gehörten demnach Persönlichkeiten wie Albert Einstein und Sigmund Freud, was dazu führte, dass er nach dem „Anschluss“ 1938 „beurlaubt“ wurde. Schon in den 1920er-Jahren, als Thirring mit Erzsi an Sitzungen teilnahm, setzte er sich gegen den rechtsnationalen Terror ein, der sich auf den Universitäten breitmachte. Seine Vorlesungen begannen immer erst, wenn alle jüdischen Studenten, die bei ihm lernen wollten, Platz genommen hatten. Es kam damals nicht selten vor, dass rechte Studenten jüdische Hörer am Betreten der Hörsäle hindern wollten.

      Erzsi kannte Thirring als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, und er meinte einmal, als er auf seine „merkwürdigen“ Forschungen im Bereich der Grenzwissenschaften angesprochen wurde: „Wer nicht den Mut hat, sich auslachen zu lassen, ist keine echte Forschernatur!“ Wenn ein paar Professoren von Schwindlern gefoppt würden, sei das kein Unglück, denn es könne ebenso passieren, dass ein bisher unbekanntes Naturphänomen unentdeckt bleibe. Und davor wollte er die Wissenschaft bewahren. Diese Herangehensweise deckte sich mit Erzsis Vorstellungen. Beide begannen in den 1920er-Jahren mit ihren Untersuchungen auf dem Gebiet der Parapsychologie. 1927 wurde Thirring zum (Gründungs-)Präsidenten der „Österreichischen Gesellschaft für Psychische Forschung“ (heute: „Österreichische Gesellschaft für Parapsychologie und Grenzbereiche der Wissenschaften“) gewählt.

      Die meisten Experimente, die Schrenck-Notzing, Erzsi, Thirring und ihr Kreis mit verschiedenen Medien durchführten, befassten sich mit die Grenzen des Organismus überschreitenden, teleplastischen Charakteren. Das bedeutet, dass man außerhalb des Körpers des Mediums Formen wie Körperglieder, vor allem Hände, wahrnehmen kann, die biologisch lebendig sind. Die Erscheinung geht im Allgemeinen sehr schnell vorüber. Schrenck-Notzing war der Ansicht, es handle sich um eine „Verstofflichung“ des Geistes, um „fleischgewordene“ Traumbilder, hervorgerufen durch eine zu erforschende psychische Kraft des Mediums. Die sichtbar werdende Materie nennt man „Ektoplasma“: ein dem Körper entbundenes, sich verdichtendes Fluidum.

      Wie gesagt ist es aber sehr selten, dass eine ganze Person, also ein „Geist“, sich materialisieren kann. Was Thirring und Erzsi, aber auch Schrenck-Notzing im Lauf des Lebens immer mehr als wissenschaftliches Experiment in einer Art Laborsituation wahrgenommen haben wollten, hatte in den Augen von Skeptikern bestenfalls theatralischen Show-Charakter – es wurde als spektakulärer Spuk bezeichnet, als nichts anderes als die Auftritte des Magnetiseurs Hansen. Schon der Modearzt Franz Anton Mesmer war als Scharlatan verschrien gewesen und zu Freuds Lehrer, dem französischen Nervenarzt Jean-Martin Charcot, waren nicht wenige sensationsgierige Schaulustige gepilgert, um zu sehen, wie er halbnackte „Hysterikerinnen“ in der Salpêtrière in Paris mit Elektroschocks und anderen in den Anfängen der Psychiatrie üblichen „Heilmitteln“ malträtierte.

      Doch wie eine überzeugende Erklärung für das Unerklärliche finden? Immer unter der Voraussetzung, dass

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