Скачать книгу

Dennoch kann der Mensch der innewohnenden Gottheit bewusst werden, wenn er sich aus dem Mechanismus der Natur zu ihrem inneren, verborgenen Meister zurückzieht.

      Nun ist bemerkenswert, dass die Gita mit einer geringfügigen, aber wichtigen Veränderung des sprachlichen Ausdrucks in derselben Weise beides beschreibt: Das Wirken des Göttlichen, wenn er die gewöhnliche Geburt der Geschöpfe zustande bringt, und sein Wirken bei der Geburt des Avatars. „Indem Ich mich auf Meine eigene Natur herabbeuge, prakṛtiṁ svām avaṣṭabhya“, heißt es später, „löse Ich in verschiedener Weise, visṛjāmi, diese Menge von Geschöpfen, die wehrlos der Herrschaft der Prakriti untertan sind, aus Mir heraus“, avaśaṁ prakṛter vaśāt. „Indem Ich auf Meiner eigenen Natur stehe“, sagt die Gita hier, „werde Ich durch Meine Selbst-Maya geboren, prakṛtiṁ svām adhiṣṭhaya ... ātmamāyayā, löse Ich mich aus Mir selbst, ātmānaṁ sṛjāmi.“ Das Wirken, das durch das Wort avaṣṭhabya ausgedrückt ist, ist ein kraftvoller Druck nach unten, durch den der beherrschte Gegenstand überwunden, unterdrückt, blockiert oder in seiner Bewegung oder Wirkungskraft begrenzt und wehrlos der beherrschenden Macht untertan wird, avaśaṁ vaśat. In dieser Aktion wird die Natur mechanisch. Die Masse der Geschöpfe wird wehrlos im Mechanismus festgehalten. Sie sind nicht Herr ihres eigenen Handelns. Im Gegensatz dazu ist das Wirken, das in dem Wort adhiṣṭhāya angedeutet wird, ein Der-Natur-Innewohnen, aber auch ein Über-ihr-Stehen, eine bewusste Kontrolle und Beherrschung durch die innewohnende Gottheit, adhiṣṭhātrī devatā. In ihr wird der Purusha nicht wehrlos von der Prakriti durch die Unwissenheit getrieben; vielmehr wird die Prakriti erfüllt vom Licht und Willen des Purusha. Darum ist bei der normalen Geburt das, was von der Gottheit nach außen hin ausgelöst wird – erschaffen, wie wir sagen –, die Menge von Geschöpfen oder Werde-Gestaltungen, bhūtagrāmam. Bei der göttlichen Geburt ist das, was nach außen hin ausgelöst wird, selbst-erschaffen, das des Selbsts bewusste, aus dem Selbst seiende Wesen, ātmānam. Denn die vedantische Unterscheidung zwischen ātmā und bhūtāni ist dieselbe, wie sie in der europäischen Philosophie zwischen dem Sein und seinen Werdeformen getroffen wird. In beiden Fällen ist Maya das Mittel zur Erschaffung oder Manifestation. Aber in der göttlichen Geburt wird durch Selbst-Maya, ātmamāyayā, erschaffen, nicht durch Involution in die niedere Maja der Unwissenheit. Hier handelt die selbst-seiende Gottheit bewusst in ihrer in die Erscheinung hervortretenden Selbst-Darstellung. Sie ist sich dabei ihres Handelns und ihrer Absicht wohl bewusst –, das, was die Gita anderswo Yogamaya nennt. Bei der gewöhnlichen Geburt wird Yogamaya vom Göttlichen benutzt, um sich zu verhüllen und vor dem niederen Bewusstsein zu verbergen, so dass es für uns das Mittel der Unwissenheit wird, avidyā-māyā. Durch diese gleiche Yogamaya wird aber auch die Erkenntnis des Selbsts geoffenbart bei der Rückkehr unseres Bewusstsein zum Göttlichen; sie ist das Mittel des Wissens, vidyā-māyā. Und in der göttlichen Geburt übt sie diese Wirkung aus – als das Wissen, das die Werke beherrscht und erleuchtet, die gewöhnlich in der Unwissenheit getan werden. (150-56)

      4.7

       Wenn immer, O Sohn Bharatas, auf Erden das Dharma zerfällt und die Rechtlosigkeit überhand nimmt, trete Ich durch eine Geburt aus Meinem Sein hervor.

      4.8

       Um die Guten zu erlösen, die Übeltäter zu vernichten und das Recht auf seinen Thron zu erheben, werde Ich von Zeitalter zu Zeitalter geboren.

      4.9

       Wer so Meine göttliche Geburt und Mein göttliches Werk in ihren wahren Grundlagen erkennt, wird nicht wiedergeboren, wenn er seinen Körper aufgibt. Er gelangt zu Mir, O Arjuna.

      4.10

       Befreit von Vorliebe, Furcht und Zorn, erfüllt von Mir, haben viele, die ihre Zuflucht in Mir gefunden und sich durch die Strenge des Wissens geläutert haben, Meine Wesensnatur erlangt (madbhāvam, die göttliche Natur des Purushottama).

      Wir müssen ausdrücklich bemerken: Das Aufrechterhalten des Dharma in der Welt ist nicht das einzige Ziel der Herabkunft des Avatars, jenes großen Geheimnisses des in der Menschheit manifestierten Göttlichen. Denn das Aufrechterhalten des Dharma ist nicht ein voll ausreichender Zweck in sich, nicht das höchstmögliche Ziel für die Manifestation eines Christus, eines Krishna, eines Buddha, sondern nur die allgemeine Voraussetzung für ein höheres Ziel und einen eher erhabenen und göttlichen Nutzen. Denn es gibt zwei Aspekte der göttlichen Geburt: Der eine ist eine Herabkunft, die Geburt Gottes in der Menschheit. Die Gottheit offenbart sich in der menschlichen Gestalt und Art als der ewige Avatar. Der andere Aspekt ist ein Emporsteigen, die Geburt des Menschen in die Gottheit. Dadurch erhebt sich der Mensch in die göttliche Natur und in das göttliche Bewusstsein, madbhāvam āgataḥ. Er wird von neuem in einer zweiten Geburt der Seele geboren. Dieser neuen Geburt soll die Avatarschaft und die Aufrechterhaltung des Dharma dienen. Dieser doppelte Aspekt der Avatarschaft der Gita wird vom flüchtigen Leser leicht übersehen, der, wie die meisten, damit zufrieden ist, wenn er eine oberflächliche Anschauung von ihren tiefen Lehren bekommen hat. Er wird ebenso auch von dem formalistischen Kommentator übersehen, der in der Starrheit der Schulen versteinert ist. Dieser zweite Aspekt ist aber sicherlich notwendig zum Verständnis der ganzen Bedeutung der Lehre. Sonst bliebe die Idee vom Avatar lediglich ein Dogma, ein populärer Aberglaube, eine phantastische oder mystische Vergöttlichung eines historischen oder legendären Übermenschen, aber nicht das, wozu die Gita ihre ganze Lehre macht: Eine tiefe philosophische und religiöse Wahrheit und ein wesentlicher Teil vom oder ein Schritt zum höchsten Geheimnis, rahasyam uttamam.

      Würde es sich nicht darum handeln, dass dem Menschen durch die Herabkunft Gottes in die Menschheit zu seinem Aufstieg in die Gottheit geholfen werden soll,

Скачать книгу