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      Der Avatar – Möglichkeit und Zweck

      4.1

       Der Erhabene sprach: Diesen unvergänglichen Yoga teilte Ich dem Vivasvan (dem Sonnengott) mit. Vivasvan gab ihn an Manu (den Vater der Menschen) weiter, Manu an Ikshvaku (das Haupt der Sonnen-Dynastie).

      Bei seiner Darstellung dieses Yoga, in dem Wirken und Wissen eins werden, hat Krishna beiläufig erklärt, dass dies der alte, ursprüngliche Yoga war. Es ist der Yoga des Opferns der Werke mit Wissen. Die Werke werden im Wissen zur Erfüllung gebracht. Das Wissen unterstützt, verwandelt und erleuchtet das Wirken. Beide werden dem Purushottama dargeboten, der höchsten Gottheit. Er offenbart sich in uns als Narayana, als der Herr unseres ganzen Wesens und Wirkens, der für immer insgeheim unseren Herzen innewohnt. Er wird gerade in der Gestalt des Menschen offenbar als der Avatar; als die göttliche Geburt, die unser Menschsein in Besitz nimmt. Krishna gab diesen Yoga dem Sonnen-Gott Vivasvan. Vivasvan gab ihn dem Manu, dem Vater der Menschen. Manu gab ihn weiter an Ikshvaku, das Haupt der Sonnenlinie. So kam er von dem einen königlichen Weisen zum anderen herab, bis er im großen Ablauf der Zeit verlorenging. Jetzt ist er für Arjuna erneuert worden, weil er der Liebende, der Ergebene, der Freund und Kamerad des Avatars ist. (145)

      4.2

       Und so kam er von einem königlichen Weisen zum anderen hinab, bis er im großen Ablauf der Zeit verloren ging, O Parantapa.

      4.3

       Dieser selbe uralte und ursprüngliche Yoga wird dir heute von Mir kundgetan; denn du bist Mein ergebener Schüler und Mein Freund. Dieser Yoga ist das höchste Geheimnis.

      Dieser Yoga, sagt Krishna, ist das höchste Geheimnis – und er beansprucht so für ihn den Vorrang gegenüber allen anderen Formen des Yoga, weil jene anderen zum apersonalen Brahman oder zu einer persönlichen Gottheit führen, zur Befreiung in einem tatenlosen Wissen oder zur Befreiung in einer selbstvergessenen Beseligung, während dieser Yoga das tiefste Geheimnis und das ganze Geheimnis bietet. Er führt uns hin zum göttlichen Frieden und zum göttlichen Wirken, zum göttlichen Wissen, Handeln und zur göttlichen Ekstase, die in vollkommener Freiheit miteinander vereint sind. Er schließt in sich alle Yoga-Pfade als das höchste Wesen des Göttlichen zusammen, versöhnt und eint in sich alle die verschiedenen, selbst die entgegengesetzten Mächte und Prinzipien seines manifestierten Wesens. Darum ist dieser Yoga der Gita nicht, wie manche behaupten, nur der Karma-Yoga, ein einzelner und, nach ihrer Meinung, der niederste der drei Pfade. Vielmehr ist er der höchste Yoga, der alle Mächte unseres Wesens zusammenfügt und integral zu Gott hinführt. (145)

      4.4

       Arjuna sprach:

       Der Sonnengott war einer der Erstgeborenen unter den Geschöpfen (er war der Ahne der Sonnen-Dynastie), und Du bist erst jetzt in die Welt geboren worden. Wie soll ich es verstehen, dass Du ihm diesen Yoga im Anfang verkündet hast?

      Arjunas praktische Intelligenz wird ganz verwirrt durch Krishnas weitere Behauptung, er sei es gewesen, der in alten Zeiten diesen seitdem verlorengegangenen Yoga dem Vivasvan offenbarte, den er jetzt wieder dem Arjuna enthülle. Mit seinem Verlangen nach einer Erklärung provoziert Arjuna die berühmte und oft zitierte Darstellung vom Wesen des Avatars und seiner Funktion in der Welt. (27)

      4.5

       Der Erhabene sprach: Zahlreiche Leben habe Ich in der Vergangenheit gelebt, und auch du, O Arjuna. Ich kenne die Meinigen alle, aber du kennst sie nicht mehr, O Geißel der Feinde.

      4.6

       Denn obwohl Ich der Ungeborene bin, obwohl Ich in Meinem Selbstsein unvergänglich bin, obwohl Ich der Herr von allem Seienden bin, stelle Ich Mich doch auf Meine eigene Natur und trete durch Meine Selbst-Maya in die Geburt ein.

      Für das moderne Mental ist Avatarschaft eine der am schwersten annehmbaren und begreiflichen Vorstellungen, die aus dem Osten auf das rationalisierte Bewusstsein des Menschen eindringen. Bestenfalls ist es geneigt, sie rein bildlich zur Darstellung einer hohen Manifestation von Macht, Charakter, Genius und großem Werk eines Menschen anzunehmen, der für die Welt oder in der Welt gewirkt hat. Schlimmstenfalls betrachtet es sie als einen Aberglauben, „den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“ (1. Kor. 1, 23, d. Ü.). Der Materialist kann sie natürlich überhaupt nicht in Betracht ziehen, da er nicht an Gott glaubt. Für den Rationalisten oder den Deisten ist sie etwas Törichtes und Lächerliches. Für den kompromisslosen Dualisten, der eine unüberbrückbare Kluft zwischen der menschlichen und der göttlichen Art sieht, klingt diese Vorstellung wie eine Gotteslästerung. Der Rationalist wirft ein, dass Gott, wenn er überhaupt existiert, außerkosmisch oder überkosmisch ist. Er greift nicht in die Angelegenheiten der Welt ein. Er lässt sie von dem festgelegten Mechanismus eines Gesetzes regiert werden – dieser Gott ist eigentlich so etwas wie ein dauernd abwesender konstitutioneller Monarch, ein machtloser spiritueller König Log. Bestenfalls ist er ein gleichgültiger inaktiver Geist hinter dem Wirken der Natur, wie etwa ein verallgemeinerter abstrakter Beobachter-Purusha der Sankhyas. Er ist reiner Geist und kann keinen Körper annehmen. Er ist unendlich und kann nicht so wie das menschliche Wesen endlich sein. Er ist der ewig ungeborene Schöpfer und kann nicht das in die Welt geborene Geschöpf sein. Alle diese Dinge sind selbst für seine absolute Allmacht etwas Unmögliches. Zu diesen Einwendungen würde der extreme Dualist noch hinzufügen, dass Gott in seiner Person, seiner Rolle und seiner Natur von Menschen völlig verschieden und getrennt ist. Das Vollkommene kann nicht menschliche Unvollkommenheit anlegen. Der ungeborene persönliche Gott kann nicht als eine menschliche Person geboren werden. Der Herrscher der Welten kann nicht in ein durch die menschliche Natur begrenztes Handeln und in einen vergänglichen menschlichen Körper eingeschränkt werden. Diese Einwände der Vernunft, die auf den ersten Blick so schwerwiegend erscheinen, sind wohl dem Geist des Lehrers in der Gita gegenwärtig gewesen, wenn er sagt: Obwohl das Göttliche ungeboren, in seinem Selbst-Sein unzerstörbar und der Herr aller Wesen ist, nimmt es trotzdem dadurch die Geburt an, dass es sich in souveräner Weise der Wirksamkeit seiner Natur und der Kraft seiner Selbst-Maya bedient. Er, den die Irregeleiteten verachten, weil er im menschlichen Körper seinen Sitz hat, ist in Wahrheit in seinem höchsten Wesen der Herr aller. Er ist im Wirken des göttlichen Bewusstseins der Schöpfer des vierfachen Gesetzes und führt alles Wirken in der Welt aus. Zugleich ist er im Schweigen des göttlichen Bewusstseins der unparteiische Beobachter des Wirkens seiner eigenen Natur – denn er steht als der erhabene Purushottama immer jenseits von beiden, dem Schweigen und dem Wirken. Und die Gita kann all diesen Gegensätzen standhalten und all ihre Widersprüche versöhnen, da sie ausgeht von der vedantischen Betrachtung des Seins, Gottes und des Weltalls.

      Denn nach der vedantischen Betrachtung der Dinge sind all diese scheinbar so schwerwiegenden Einwände von Anfang an null und nichtig. Für ihr Schema ist die Idee des Avatars tatsächlich unentbehrlich. Sie spielt aber in ihr natürlich nur die Rolle eines völlig rationalen und logischen Begriffs. Denn alles hier ist Gott, ist der Geist oder das Selbst-Sein, ist Brahman, ekamevādvitīyam – es gibt nichts weiter, nichts anderes und nichts davon Verschiedenes, und es kann auch nichts weiter geben, nichts anderes und nichts davon Verschiedenes. Natur ist und kann nichts anderes sein als eine Macht des göttlichen Bewusstseins. Alle Wesen sind und können nichts anderes sein als innere und äußere, subjektive und objektive Seelen-Gestaltungen und körperliche Formen des göttlichen Wesens, die in der Macht seines Bewusstseins existieren oder aus ihm entstehen. Das Unendliche ist keineswegs unfähig, die Endlichkeit anzunehmen. Das ganze Weltall ist ja nichts anderes als endlich. Wo wir auch hinschauen, wir können in der ganzen weiten Welt, die wir bewohnen, überhaupt nichts anderes sehen. Der Geist ist keineswegs unfähig zur Gestaltung und verschmäht es nicht, sich mit Materiellem oder Mentalem zu verbinden und eine begrenzte Natur oder einen Körper anzunehmen; alles hier ist nichts anderes als das, und die Welt existiert nur durch diese Verbindung, wegen dieser Voraussetzung. Die Welt ist keineswegs der Mechanismus

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