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      2.31

       Und weiter: Wenn du dein eigenes Gesetz des Handelns betrachtest, solltest du nicht erzittern; es gibt kein höheres Gut für den Kshatriya als die gerechte Schlacht.

      Wie rechtfertigt das aber das Handeln, das von Arjuna verlangt wird, und das Hinschlachten von Kurukshetra? Die Antwort lautet: Das ist das von Arjuna geforderte Handeln auf dem Pfad, den er zu gehen hat. Es ist bei der Ausführung der Funktionen, die von ihm durch sein svadharma gefordert werden, unvermeidlich geworden. Es ist seine soziale Pflicht, das Gesetz seines Lebens und das Gesetz seines Wesens. Diese Welt, diese Manifestation des Selbstes im materiellen Universum, ist nicht nur ein Kreislauf der inneren Entwicklung, sondern auch ein Feld, auf dem die äußeren Umstände des Lebens als eine Umgebung und eine Gelegenheit für diese Entwicklung angenommen werden müssen. Sie ist eine Welt gegenseitiger Hilfe und gegenseitigen Kampfes. Der Fortschritt, den sie uns erlaubt, ist kein gelassenes friedliches Dahingleiten durch leichte Freuden. Vielmehr muss jeder Schritt durch ein heroisches Mühen und einen Konflikt gegensätzlicher Kräfte erobert werden. Jene machtvollen Männer, die den inneren und äußeren Kampf, selbst bis hin zum rein physischen Zusammenstoß, dem des Krieges, auf sich nehmen, sind die Kshatriyas. Krieg, Kraft, Adel, Mut gehören zu ihrer Natur, Schutz des Rechts und unerschrockene Annahme der Herausforderung der Schlacht zu ihrer Tugend und ihrer Pflicht. (64)

      2.32

       Wenn sich ihnen eine solche Schlacht von selbst anbietet wie das offene Tor zum Himmel, sind die Kshatriyas glücklich.

      Für einen Augenblick gibt der Lehrer dem Gespräch eine andere Wendung, um zu antworten auf das Gezeter Arjunas über seinen Schmerz um den Tod der Verwandten, weil dadurch sein Leben von Motiven und Zielen entleert werde. Was ist das wahre Ziel des Lebens eines Kshatriya, was sein wirkliches Glück? Nicht sich selbst Freude zu verschaffen, nicht häusliches Glück und ein Leben in Bequemlichkeit und friedlichem Genießen mit Freunden und Verwandten. Vielmehr muss er für das Recht kämpfen. Das ist sein wahres Lebensziel. Und er soll ein großes Motiv finden, für das er sein Leben hingeben oder durch den Sieg Krone und Ruhm im Dasein als ein Held gewinnen kann. Das ist sein größtes Glück. (65)

      2.33

       Wenn du aber diesen Kampf für das Recht nicht wagst, hast du deine Pflicht und deine Tugend sowie deinen Ruhm preisgegeben, und Sünde wird auf dir liegen.

      Stets gibt es Kampf zwischen Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, der Kraft, die beschützt, und der Kraft, die verletzt und unterdrückt. Und wenn das einmal bis zum Ausbruch des physischen Kampfes gebracht worden ist, darf der Vorkämpfer und Bannerträger des Rechts nicht erschüttert sein und vor der gewalttätigen und schrecklichen Natur des Werkes, das er zu verrichten hat, erzittern. Er darf seine Gefolgsleute, seine Kameraden nicht aufgeben, seine Sache nicht verraten und nicht zulassen, dass die Fahne des Rechts und der Gerechtigkeit in den Staub gezerrt und von blutbefleckten Füßen des Unterdrückers in den Schmutz getreten wird, wegen eines schwächlichen Jammerns vor dem Gewaltsamen und Grausamen und eines physischen Erschreckens vor der Ungeheuerlichkeit der angeordneten Zerstörung. Seine Tugend und seine Pflicht liegen in der Schlacht und nicht im Vermeiden der Schlacht. Nicht das Töten, das Nicht-Töten wäre hier die Sünde. (64-65)

      2.34

       Überdies werden die Menschen von deiner unauslöschlichen Schande erzählen, und für einen Mann von edlem Rang ist die Unehre schlimmer als der Tod.

      2.35

       Die Starken werden meinen, du seist aus Furcht vor der Schlacht geflohen, und du, der du von ihnen hoch geachtet warst, musst deine Ehre mit Schmach besudeln lassen.

      Wenn Arjuna dies Ideal herabwürdigt, einen Schandfleck auf diese Ehre fallen lässt, indem er dem Helden das Beispiel eines solchen gibt, dessen Handeln sich selbst dem Vorwurf der Feigheit und Schwächlichkeit preisgibt, und auf diese Weise das moralische Niveau der Menschheit herunterdrückt, handelt er falsch, sich selbst gegenüber und auch gegen das, was die Welt von ihren Führern und Königen fordert. (65)

      2.36

       Viele unziemliche Worte werden von deinen Feinden geredet werden, mit denen sie deine Stärke verleumden. Gibt es größeren Kummer als diesen?

      2.37

       Wirst du erschlagen, wirst du den Himmel gewinnen. Bist du aber siegreich, wirst du die Erde genießen. Darum steh auf, O Sohn der Kunti, zum Kampf entschlossen!

      Die indische Ethik hat immer die praktische Notwendigkeit eingesehen, für die Entwicklung des moralischen und spirituellen Lebens der Menschen Ideale unterschiedlichen Grades hochzuhalten. Das Kshatriya-Ideal, das Ideal der vier Ordnungen, wird hier in seinem gesellschaftlichen Aspekt dargestellt, nicht, wie später, in seiner spirituellen Bedeutung. Letzten Endes sagt Krishna hier: Das ist meine Antwort, falls du auf Freude und Schmerz und auf dem Ergebnis dieser Handlungen als dem Motiv für dein Handeln beharrst. Ich habe dir gezeigt, nach welcher Richtung dich die höhere Erkenntnis des Selbstes und der Welt weist. Jetzt zeigte ich dir, wozu dich deine gesellschaftliche Pflicht und der ethische Rang deines Standes bestimmt, vadharmam api cāvekṣya. Was du von beidem auch als maßgebend für dich ansiehst, das Ergebnis ist das Gleiche. Wenn du aber nicht mit deiner gesellschaftlichen Pflicht und mit der Ehre deines Standes zufrieden bist, wenn du denkst, das führe dich in Kummer und Sünde, dann verlange ich von dir, dass du dich zu einem höheren Ideal erhebst und nicht in ein niedrigeres hinabsinkst. (66)

      2.38

       Lass Kummer und Glück, Verlust und Gewinn, Sieg und Niederlage gleich viel für deine Seele sein und stürze dich in die Schlacht! So wirst du keine Sünde auf dich laden.

      Lege jeglichen Egoismus ab! Beachte nicht Freude und Schmerz, nicht Gewinn und Verlust und alle weltlichen Ergebnisse! Schaue nur auf die große Sache, der du dienen musst, und auf das Werk, das du auf göttlichen Befehl durchzuführen hast, „so wirst du keine Sünde auf dich laden“. So werden Arjunas Vorwand des Trauerns, die Verteidigung seines Zurückschreckens vor der Schlacht, seine Ausrede von wegen seines Sündengefühls, sein Hinweis auf die unglücklichen Folgen seiner Aktion beantwortet, und zwar im Einklang mit der höchsten Erkenntnis und den ethischen Idealen, die sein Menschengeschlecht und sein Zeitalter erreicht hatten. (66)

      Der Yoga des intelligenten Willens

      In dem Augenblick, da er sich von dieser ersten und kurz gefassten Antwort auf Arjunas Schwierigkeiten wegwendet, und in den ersten Worten, die den Grundton zu einer spirituellen Lösung anklingen lassen, trifft der Lehrer sofort eine Unterscheidung, die für das Verständnis der Gita von größter Bedeutung ist: die Unterscheidung zwischen Sankhya und Yoga...

      In ihrer Grundlage ist die Gita ein vedantisches Werk. Sie ist eine der drei anerkannten Autoritäten für die vedantische Lehre. Obwohl sie nicht als eine geoffenbarte Schrift beschrieben wird, in ihrer Methode sozusagen weithin intellektuell, vernunftgemäß, philosophisch und, wenn auch gewiss auf die Wahrheit gegründet, doch nicht unmittelbar das inspirierte Wort, also Offenbarung der Wahrheit durch die höheren Fähigkeiten des Sehers ist, wird sie doch so sehr verehrt, dass man ihr beinahe den Rang der dreizehnten Upanishad gibt. Aber ihre vedantischen Gedanken sind durchweg und gründlich durch die Denkweise von Sankhya und Yoga gefärbt: Durch diese Färbung gewinnt sie den besonderen synthetischen Charakter ihrer Philosophie. In der Tat lehrt sie in erster Linie ein praktisches System des Yoga und verwendet metaphysische Gedanken nur, um ihr praktisches System zu erläutern...

      Was sind nun Sankhya und Yoga, von denen die Gita spricht? Sicherlich sind sie nicht die Systeme, die unter diesem Namen auf uns gekommen sind, wie sie einerseits im Sankhya Karika von Ishwara Krishna, andererseits in den Yoga-Aphorismen des Patanjali dargestellt werden. Dies Sankhya ist nicht das System der Karikas – zumindest nicht so, wie dieses allgemein verstanden wird. Denn die Gita lässt niemals, auch nicht für einen Augenblick, die Vielzahl der Purushas als eine Grundwahrheit des Seins zu, sondern behauptet mit Nachdruck, was das traditionelle Sankhya streng bestreitet, den Einen als das Selbst und den Purusha; diesen Einen wiederum

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