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Krawulkes Rückzug zu decken.

      "Trinken wir einen zusammen?", fragte er unvermittelt.

      "Gute Idee", sagte ich und folgte ihm ins Lokal.

      "Absinth?"

      "Nein, nur einen schönen starken und heißen Kaffee", sagte ich.

      "Kaffee! Soll das ein Witz sein?"

      "Nur Kaffee", wiederholte ich und lehnte mich an den Tresen. Der Wirt zuckte mit den Schultern, griff einen Wasserkessel von der kleinen Kochplatte und goss Wasser in den Filteraufsatz einer großen Kaffeekanne. Mir wurde dabei bewusst, wie sehr ich im Verlaufe meines neuen Lebensabschnittes die Erfindung von Melitta Bentz lieben gelernt hatte.

      Die kluge Hausfrau verwendete zum Kaffee aufbrühen verschiedene Sorten Papier als Filter. Daraus entstand der industriell gefertigte Papierfilter, der nun Einzug in unzählige Haushalte fand.

      Und auch in kleinen Kneipen wie dem ‚Knuff‘ verwendet wurde.

      Vor allem dort, wenn der Ausschank von Alkohol bei weitem über dem von Kaffee lag. Das kräftige Aroma der aufgebrühten Bohnen zog mir in die Nase.

      Plötzlich stutzte ich. Da war noch ein anderes Aroma.

      Mit dem köstlichen Geruch des aufgebrühten, frischen Kaffees hatte ich plötzlich einen Geruch in der Nase, den ich früher geliebt hatte. Der mich an heimelige Weihnachten erinnerte.

      Inzwischen verband ich aber den Geruch von Zimt mit sehr unangenehmen Erinnerungen. Als ich ein Geräusch neben wir vernahm, erwartete ich in diesem Augenblick tatsächlich, das kantige Gesicht des Rothaarigen zu sehen. Die kurz geschnittenen Haare, der eckige, rote Kinnbart. Diese durchdringenden Augen – ich musste mich gewaltsam aus meinen immer wieder verdrängten Erinnerungen reißen.

      Ich hatte wohl die ganze Zeit hinüber zum Telefon gestarrt.

      Otto bemerkte es. "Erwartest du einen Anruf?"

      "Ja", sagte ich und schaute auf meine Uhr.

      "Von wem?", fragte er.

      "Von Erikas Mörder", antwortete ich.

      "Langsam wirst du mir unheimlich", sagte er und stellte mir die frisch gefüllte Tasse hin. "Milch und Zucker stehen da vorn, greif zu."

      "Schwarz! Und nimmst du etwa Zimt zum Kaffee aufbrühen?", antwortete ich unfreundlich und versank wieder in dumpfes Brüten.

      "Zimt?" Otto lachte hell auf. "Hast ne feine Nase, Freund. Ja, ist so 'ne Marotte von mir, hat mir mal meine Verflossene beigebracht. Ein Löffel von dem Zeug in den Kaffee, und selbst Zichorie schmeckt wie beste Röstung!"

      Ich hörte ihm schon nicht mehr zu und verdrängte meine Gedanken, die durch den Zimtgeruch wieder zu der alten Geschichte führten.

      Ich kam in meiner Sache nicht weiter, ich hatte keinen rettenden Einfall.

      Frantzen fehlte mir, aber er hatte andere Recherchen übernommen. Zu meiner Rolle als Frank Steinfurt passte auch kein Gehilfe. Der geniale Konstrukteur, dessen Mitarbeit von Reichspräsident Ebert persönlich gewünscht wurde, war ein stiller, zurückgezogener Einzelgänger. Auch Erika passte nur schlecht in das Bild, aber wahrscheinlich war Steinfurt in der Einsamkeit dankbar für eine weibliche Person an seiner Seite.

      Ich leerte meine Tasse bedächtig. Als das Telefon klingelte und der Wirt den Anruf entgegennehmen wollte, nahm ich ihm den Hörer aus der Hand.

      "Das ist für mich."

      "He, Moment mal...", protestierte er schwach.

      "Ja?", rief ich in die Sprechmuschel. Es knackte kurz, das Fräulein meldete sich und sagte nur: "Ich verbinde!"

      Dann die unangenehme Stimme. "Hol den Schnüffler an den Apparat..."

      "Ist schon dran", sagte ich.

      Kurze Pause, dann sagte der Mann, mit dem ich schon einmal telefoniert hatte: "Ich muss mein Ultimatum ändern. Das mit den zwölf Stunden ist hinfällig. Wir erwarten, dass Sie sofort verschwinden. Innerhalb von sechzig Minuten. Sie haben also genau eine Stunde Zeit, um das Leben der hübschen Karla zu erhalten..."

      Ich legte auf und ging zur Tür.

      "He, was ist los?", rief mir der Wirt hinterher. "Was hat’s gegeben?"

      Ich antwortete ihm nicht und ging rasch die Straße hinab. Am Tabakladen von Eimer stoppte ich. Weshalb man den Besitzer mit diesem seltsamen Namen bedachte, wurde mir bei einem Blick in den schäbigen, kleinen Laden rasch klar. Die Decke musste wohl schon längere Zeit undicht sein, wie zahlreiche, hässliche Wasserflecken anzeigten. Und die Eimer, die man überall im Laden verteilt hatte. Nicht gerade ideal, wenn man mit Schnaps, Tabakwaren und Zeitungen handelte. Nur gab es vermutlich in dieser Gegend keine Alternative.

      Im Laden brannte keine Lampe mehr, aber die Haustür war noch offen. Ich stellte fest, dass dieser Eimer, der in Wirklichkeit Theodor Weissner hieß, wie das Namensschild an der Ladentür verriet, über seinem Laden wohnte, und klingelte. Das Treppenhaus hatte schon seit undenklich langer Zeit kein Bohnerwachs mehr gesehen. Dafür mischten sich die Wohlgerüche von verschiedenen Eintöpfen mit Kohl zwischen den Zigarettengeruch und den noch etwas pikanteren von Bergen ungewaschener Wäsche. Kein Wunder.

      Dies hier war längst eine typische Arbeiter-Gegend in Berlin. Und die Stadt wuchs und die Fabrikation blühte nach dem großen Krieg endlich wieder auf und verschlang seine Arbeiter. Altes musste weichen. Neue Billigquartiere für die Arbeiter und ihre Familien mussten her.

      Weissners Wohnung war gleich im ersten Stock, über seinem Laden.

      Der Ladenbesitzer öffnete mir. Er trug verknitterte, sehr weite Hosen und ein kurzärmeliges blaues Hemd. Aus dem Hintergrund drang Musik an meine Ohren, und eine mächtige Rauchwolke entwich beim Türöffnen in das Treppenhaus.

      Weissner betrachtete mich verwundert durch die Gläser seiner altmodischen Nickelbrille und fragte: "Ist es schon wieder wegen Siegfried Hoffmann?"

      "Ja", sagte ich nickend. "Darf ich Sie einen Moment sprechen?"

      Er zögerte und rückte nervös an seiner Brille herum. "Ich kenne Sie nicht..."

      "Es ist sehr wichtig."

      "Wollen Sie mir nicht Ihren Namen nennen? Meine Frau sitzt im Wohnzimmer vor dem Grammophon. Die gute alte Zeit. Sie ist sehr ängstlich, wissen Sie..."

      "Robert Raboi", sagte ich und verzichtete damit darauf, meine Rolle als Frank Steinfurt weiterzuspielen.

      "Hm", machte der Ladenbesitzer, der noch immer nicht sonderlich überzeugt oder zufrieden wirkte. "Es wird am besten sein, wir unterhalten uns unten in meinem Ladenbüro. Warten Sie hier."

      Er schlurfte bis zu einer Tür, öffnete sie und sagte laut: "Ich muss noch eine Kleinigkeit im Laden erledigen. Ich glaube, es tropft wieder stärker an der einen Stelle..."

      Dann schloss er die Tür und führte mich seufzend ins Erdgeschoss. Der eiserne Zugang zu seinem Laden war mit mehreren Schlössern abgesichert.

      "In dieser Gegend kann man nicht vorsichtig genug sein", meinte er und schaute mich prüfend an. "Nur zur Klarstellung: Ich habe kein Bargeld im Hause. Dafür bin ich bekannt."

      "Schon gut", sagte ich. "Ich bin nicht hergekommen, um Sie auszuplündern."

      Er schritt vor mir her durch einen Korridor, in dem man sich kaum bewegen konnte, weil die Wände mit Kartons bis unter die Decke vollgestapelt waren. Überall standen diese lächerlichen Metalleimer, über manche Kartons waren alte, zerschlissene Decken gehängt und gaben einen muffigen Geruch von sich.

      Ich folgte ihm in ein Büro hinter dem Ladenraum, das gleichfalls Lagerfunktionen erfüllte. Weissner knipste die Lampe auf seinem Schreibtisch an, setzte sich in den alten, bequemen Drehstuhl und sagte: "Im Grunde fühle ich mich hier unten am wohlsten. Ich weiß, dass es schrecklich unordentlich aussieht, aber ich finde auf Anhieb alles, was ich brauche. Das Problem mit dem

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