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Hamburg hatten sie mir acht Jahre Knast aufgebrummt, noch dazu Zet, nun sollte ich nach Kassel auf Termin, wegen Bettels mit der Waffe. Besser war, ich ging vorher stiften.

      Unterwegs über Nacht lag ich mit noch zweien auf der Zelle, einer war stikum, der andre ein richtiger Stubben von der Portokasse, nichts für unsereinen. Ich brach ein Stück Eisenbeschlag vom Bett los, mit dem Ganoven bog ich’s zurecht, dass es über der Hüfte auf dem bloßen Leib von selbst festsaß. Dann rissen wir dem Schemel ein Bein aus, ich brauchte einen Hebel. Der Halbseidene wurde getrampelt, dass er uns nicht verpfiff, und der Wachtmeister pennte halb bei der Filzerei, ich bekam die Sachen mit auf die Bahn. Den ganzen Tag hielt unser Express in jedem Kaff, erst um zehn sollten wir in Kassel sein. Nach vier war also die beste Zeit zum Türmen, dann wurde es dunkel. Es war übrigens kalt draußen, zwei, drei Grad, manchmal schneite es auch. Der Halbseidene muckste nicht, es war auch egal, ob er mitmachte oder nicht, wenn er nur das Maul hielt. Übrigens war ich ganz ruhig, ich wusste bestimmt, die Sache würde klappen.

      Kurz vor fünf hielten wir irgendwo endlos. Ich zog mich aus, nahm Brechstange und Schemelbein vom Leib und blieb erst mal in Hemd, Hose und Strümpfen. Als der Zug anfuhr, hatte ich schon die Scheibe aus dem Fenster, es war ohne Laut abgegangen.

      Die verdammte erste Gitterstange brachte mich in Schweiß, ich hatte keinen rechten Raum, mein Brecheisen [90]anzusetzen. Es krachte ein paar Mal schrecklich, wir hörten die Transporteure auf dem Zellengang reden, aber uns hatten sie nicht gehört.

      Als die erste Stange einmal los war, brachen die andern weg wie Harzer Käse. In fünf Minuten hatte ich das Fenster frei und hing mit dem halben Leibe draußen. Der Wind pfiff mich an, es war dunkel, bitterkalt. Ich wollte grade zurück, als ich merkte, dass der Zug langsamer fuhr, in der Ferne sah ich die Lichter einer Station.

      Mit dem zertrümmerten Gitterfenster konnte ich unmöglich auf einen Bahnhof, ich fuhr rein ins Abteil, schrie dem andern zu: »Ich hau ab. Station!«, und turnte, diesmal mit den Beinen zuerst, aus dem Fenster. Einen Augenblick hing ich am linken Arm, der Wind biss unsinnig in mein Gesicht, die Stationslichter kamen erschreckend nah, dann warf ich mich mit aller Gewalt nach rechts, um nicht unter die Räder zu kommen.

      Der Zug schrie mit Geknatter und Steinspritzern an mir vorbei, ich lag auf dem scharfen Schotter im Nachbargleis. Als ich aufstand, waren die Knochen heil, aber die Hose hing in Fetzen, an den Beinen lief mir das Blut herunter und die Handflächen waren bloßes Fleisch.

      Vorne fing Geschrei an, der Zug stand, Schatten liefen. Ich machte, dass ich von der Bahn kam. Dabei flog ich über die Signaldrähte, rollte die Böschung runter und landete im Graben, in Eis und Wasser. Es brannte wie Feuer, der Atem blieb mir lange weg.

      Ehe ich noch hoch war, sah ich sie oben laufen, die Greifer. Auch am Grabenrand kamen zwei, darum blieb ich liegen, wenn mich die Eissuppe auch so krumm zog, dass ich dachte, ich käme nie wieder hoch.

      [91]Als sie vorbei waren, rappelte ich mich auf. Ich war krumm wie eine Kanone und für die ersten hundert Schritt brauchte ich wohl eine Stunde. Hemd und Hosen waren aus Eis und schabten mir das bisschen Haut ab, das der Schotter mir noch gelassen hatte. Aber nach einer Weile fühlte ich nichts mehr und lief weich wie in Butter.

      Ich hatte mir geschworen, nichts anzufassen im ersten Dorf wegen Kleidern und Essen. Überall waren Leute unterwegs und Lichter brannten, so schlug ich mich durch die Felder, bis ich auf eine Chaussee kam, die ich weiterlief.

      Es mochte gegen neun sein, als ich in dem bisschen Mond wieder ein Dorf sah. Aber die Häuser legen verdammt eng und die Mistbauern schliefen noch nicht, so schlich ich lange herum, ohne was rechtes zu finden. Schließlich machte ich, dass ich weiterkam.

      Ich war müde, auch das Frieren hatte wieder angefangen. Ich hatte das Gefühl, als ob meine Füße, von denen der letzte Fetzen Strumpf längst abgefallen war, immer dicker wurden. Ich mochte gar nicht hin fassen.

      Schließlich kam ich an einen Ausbauhof, ganz einsam, grade das Rechte für einen Mann wie mich. Im Wohnhaus brannte Licht, Gardinen gab’s keine, so konnte ich die beiden Bauersleute hocken sehen, er qualmte, sie nähte. Ich wollte keine faule Sache anfangen, ich dachte: Warte lieber, bis sie schlafen sind. Eine Ewigkeit stand ich vor dem Fenster, alle Viertelstunde sagte sie ein Wort, aber er antwortete nicht einmal, so ein blödes Pack, diese Bauern!

      Unterdes versuchte ich, die Hände ein bisschen warm zu kriegen. Die Finger standen krumm, wie die Backen einer Zange, ich bog sie grade, steckte sie in den Mund, keine Möglichkeit. Ich war steif wie eine Latte. Darum ging auch [92]alles schief. Als ich die Scheibe eindrückte, fiel sie ins Zimmer, es gab Lärm, Hunde bellten, ein Fenster wurde hell – ich musste sehen, dass ich weiterkam.

      Eine bildschöne Wut hatte ich im Leib, ich lief los, ich weiß nicht wie lange. Am liebsten wäre ich hingefallen und verreckt, aber ich mochte den Greifern nicht den Spaß tun, mich so dumm selbst in die Pfanne zu hauen.

      Gegen zwölf kam ich wieder in ein Nest und nun musste ich zum Schluss kommen, soviel war klar. Gleich im ersten Hof stand das Wagenschauer auf, ich kroch rein, konnte aber nichts für mich finden. Eine Weile lag ich im Kutschwagen unter dem Knieleder, döste auch einmal ein. Aber die Kälte hatte mich gleich wieder wach.

      Hinter einer Wand hörte ich das Rasseln von Kuhketten. Gegen das Vorlegeschloss brauchte ich nur ein paar Mal mit einem Stein zu schlagen, dann war’s offen. Ich hängte es in die Krampe, als hätten sie vergessen, es zuzuschließen, und zog die Tür sacht hinter mir zu.

      In die warme dunkle Luft hineinzukommen, war wie ein Tannenbaum zu Haus bei Muttern. Ich machte nur ein paar Schritte, dann warf ich mich blindlings auf’s Stroh zwischen zwei Kühe. Sie blieben liegen, ich wühlte mich immer tiefer ein, ich hätte heulen mögen vor Wonne.

      Fünf Minuten lag ich so, langsam zog die Wärme in meinen Körper, dann begannen die Schmerzen. Ich presste Faust und Stroh ins Maul, um nicht laut zu brüllen. Hände und Füße schnitt es mit Messern, meine abgescheuerten Schenkel brannten wie der Teufel. Ich rieb mich ganz mit Kuhdreck ein, das half eine Weile, aber dann legten die Schmerzen wieder los.

      Irgendwie ging die Nacht vorüber. Als es gegen Morgen [93]war, kroch ich die Leiter hoch zum Heuboden. Es war dort wenigstens windgeschützt und einigermaßen warm. Dann kamen die Weiber zum Melken. Ihre Stimmen und die Strullgeräusche der Milch in den Eimern regten mich auf, ich schlief aber schließlich darüber ein. Am Nachmittag war ich wieder so weit, dass ich mich runter traute und eine Mahlzeit von Milch, Futterrüben und Kleie hielt, die mir guttat.

      Aus dem Hin- und Hergehen und den Gesprächen hatte ich gemerkt, dass der Pferdestall mit der Knechtekammer direkt an den Kuhstall stieß. Nun kam es darauf an, ob zum Abendessen alle auf einmal ins Wohnhaus rübergehen würden oder ob einer bei den Pferden blieb. Als die Türen klappten, war ich schon halb die Leiter vom Heuboden runter. Weder im Kuh- noch im Pferdestall war einer. In der Knechtekammer brannte sogar Licht, eine gewöhnliche Kerze, auf ein paar Haken in der Wand hingen eine Menge Sachen.

      Ich glaubte, jemand ginge über den Hof, ich war viel aufgeregter als draußen beim größten Bruch. Ich griff mit beiden Armen um das Paket Sachen, riss sie mit einem Ruck von den Haken. Die Aufhänger zerplatzten und ein paar Haken gingen auch mit. Ich schoss hinaus auf den Hof ins Dunkel, lief hinter die Scheune, schmiss den ganzen Klumpatsch auf eine Kartoffelmiete und lauschte. Nichts.

      Ich hatte ungefähr eine Ahnung von dem, was ich gegriffen hatte, ich konnte mich von unten auf anziehen. Zwei Hemden, zwei Unterhosen, eine dicke gestrickte Weste, eine Tuchweste, eine Joppe und eine Manchesterhose. Ich wurde mal so dick, wie ich gewesen war, und eine Masse Zeug ließ ich noch liegen. Nur keine Mütze, keine Strümpfe [94]und keine Schuhe. Ich überlegte, ob ich nicht noch mal reingehen sollte, aber ich hatte keinen rechten Mumm, wollte lieber bis zum nächsten Dorf warten.

      Es war bitter, wieder mit den bloßen wunden Füßen in den Schnee zu marschieren, aber ich reparierte das bald. Ich holte mir aus einem Stall ein paar Holzschuhe. Auch eine Mütze bekam ich, als ich kurz nach zehn auf der Chaussee einem Arbeiter begegnete. Ich markierte betrunken, rempelte ihn an und schob ihm mit dem Arm die Mütze vom Kopf. Ich stellte mich drauf, als wüsste ich nichts davon. Es war ein grässlich hartnäckiger Kerl,

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